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INTERVIEW/116: TTIP Nein danke - alte Fronten, neue Gräben ...    Tobias Pflüger im Gespräch (SB)


Von Bündnispartnern und unsicheren Kantonisten

Demonstration gegen TTIP am 23. April 2016 in Hannover


Tobias Pflüger ist seit den 80er Jahren in der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung aktiv. Er initiierte die Gründung der Informationsstelle Militarisierung e. V. (IMI), deren Vorstandsmitglied, Referent und Redakteur er war. Pflüger ist unter anderem aktives Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und war bei den Europäischen- und Weltsozialforen präsent. Bei der Europawahl 2004 kandidierte er als Parteiloser für die Partei des Demokratischen Sozialismus, für die er ins Europaparlament einzog. Im Mai 2008 trat er in Die Linke ein und im Mai 2014 wurde er zu einem der vier stellvertretenden Vorsitzenden seiner Partei gewählt.

Bei der Auftaktkundgebung zur Demonstration in Hannover nahm Pflüger an einem Parteien-Talk teil, in dem die Positionen der Linkspartei, Sozialdemokraten und Grünen zu den Freihandelsabkommen ausgelotet wurden. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Tobias Pflüger
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Tobias, die heutige Demonstration steht unter dem Motto "Für einen gerechten Welthandel". Ist das unter den herrschenden Verhältnissen überhaupt möglich? Oder müßte man da nicht tiefer greifen und den Handel als solchen kritisch thematisieren?

Tobias Pflüger (TP): Ein gerechter Welthandel ist einerseits nicht möglich, doch wäre die Situation andererseits noch einen enormen Schritt verschärfter und schlimmer als im Moment, wenn wir diese Abkommen TTIP und CETA hätten, weil dann auch sämtliche demokratischen Kontrollmöglichkeiten ausgeschaltet wären. Insofern muß man im Wissen, daß diese Abkommen in der Gesamtlogik eines kapitalistischen Systems enthalten sind, selbstverständlich etwas gegen sie unternehmen. Solange es sie nicht gibt, hat man zumindest noch eine Reihe von demokratischen Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen, die allerdings begrenzt sind. Insofern ist die Frage sehr berechtigt, und ich bin jemand, der das auch sehr grundsätzlich sieht.

SB: Warum ist aus deiner Sicht die Frage des Freihandels so wichtig für seine Betreiber?

TP: Weil sich vor allem die Großkonzerne sehr viel davon versprechen. Kleinere und mittlere Betriebe sind da eher Opfer des Freihandels zwischen den westlichen Hemisphären. Für die Großkonzerne würde sich die Möglichkeit eröffnen, ohne dieses "Gelaber" der Parlamente oder einer Bürgerbeteiligung ihre Geschäfte zu machen und ihre Interessen noch wesentlich leichter als ohnehin schon durchsetzen zu können.

SB: Die Befürworter der Freihandelsabkommen argumentieren, daß es angesichts des Vorsprungs, den die USA durch TPP im asiatischen Raum erlangen, um so notwendiger sei, TTIP durchzusetzen. Was könnte man dem entgegenhalten?

TP: Dagegen kann man ins Feld führen, daß die beiden großen Wirtschaftsblöcke Europäische Union und USA schon jetzt gegenüber allen anderen Weltregionen einen enormen Vorsprung haben, der weiter anwachsen würde, wenn sie sich auch noch zu Lasten ihrer Konkurrenten verbünden. Der eigentliche Konflikt spielt sich zwischen den Blöcken der westlichen Industrieländer und den BRICS-Staaten, also Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika, wie auch den sogenannten Entwicklungsländern ab. De facto richten sich die Freihandelsabkommen gegen diese Länder und ihre wirtschaftlichen Strukturen. Im Kern formiert sich ein Westblock, um insbesondere den globalen Süden weiter abzuhängen.

SB: Oft wird das Argument vorgebracht, daß die Zollschranken ohnehin schon weitgehend abgebaut worden seien. Welche anderen Verwertungsmöglichkeiten erhoffen sich die Befürworter der Freihandelsabkommen?

TP: Das Argument abgebauter Zollschranken stimmt und stimmt auch wieder nicht. Wenngleich die Handelsschranken in Teilen tatsächlich relativ durchlässig geworden sind, bestehen doch gleichzeitig überall noch gewisse Grundstandards weiter fort. Beispielsweise gibt es die Regelung, daß in den USA im Moment sehr viele Wirtschaftsverträge lokal vergeben werden. Das verstößt zwar gegen die WTO-Richtlinien, wird aber so gemacht. Hingegen muß in der EU schon europaweit ausgeschrieben werden. Würden die Freihandelsabkommen durchgesetzt, müßten Ausschreibungen im gesamten Handelsraum erfolgen. Das hätte dann den Effekt, daß beispielsweise eine deutsche Stadt einen Auftrag von 200.000 Euro ausschreibt und sich plötzlich ein Unternehmen aus den USA dafür bewirbt. Diese Erweiterung des Raumes im Rahmen des Freihandels führte also zu einer weiteren Verschärfung der Konkurrenz.

Mit den USA und Kanada plus der Europäischen Union würden sich drei ohnehin zentrale Akteure im westlichen Wirtschaftsraum um so mehr gegenüber anderen stärken. Dabei gibt es ja Zollschranken, die durchaus Sinn machen. Daß man sogenannte Entwicklungsländer nicht nur zu Rohstofflieferanten degradiert, sondern Zollbeschränkungen so organisiert, daß dort einheimische Produkte hergestellt werden, die dann exportiert werden können, weil das mehr Geld bringen und die eigene Wirtschaft entwickeln würde, wäre ohne die Zölle nicht möglich.

SB: Derzeit steht die Frage an, ob CETA auf Ebene der EU vorläufig in Kraft gesetzt wird, bevor die Mitgliedsstaaten und deren Parlamente gefragt werden. Wie schätzt du diese Gefahr ein?

TP: Ich halte es für einen hochgradigen Skandal, daß der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange gesagt hat, man könne dieses Freihandelsabkommen vorläufig ratifizieren. Wie wir gerade auf dem Podium gehört haben, scheint eine Aushebelung der nationalen Parlamente aber nicht eine einheitliche Position der SPD zu sein. Schließlich ist die Beteiligung der Parlamente ein Mindeststandard, was die Mitsprache und Mitentscheidung betrifft. All die vielen Initiativen und Aktionen, die wir organisieren, und der Druck, den wir auf diese Weise aufbauen, lassen sich im einzelstaatlichen Rahmen leichter in Stellung bringen. Diesen Schub auf die europäische Ebene zu transferieren, wäre erheblich schwieriger. Sollte CETA vorläufig in Kraft gesetzt werden, wäre das absolut skandalös.

SB: Was könnte man in dem Fall tun?

TP: Öffentlich machen, öffentlich machen, öffentlich machen!

SB: Wie könnte das geschehen, müßte man dazu nach Brüssel gehen?

TP: Brüssel auch - aber das Verrückte ist ja, daß sich das Zentrum der EU immer mehr nach Berlin verlagert hat. Im Grunde müßte man nach Berlin gehen. Denn es sind vor allem Merkel und Gabriel, die im Moment die größte Verantwortung tragen.

SB: Nach der großen Berliner Demonstration im Oktober haben nur wenige Medien darüber berichtet. Diesmal war die Ankündigung selbst in den sogenannten Leitmedien präsent. Ist das ein Zeichen dafür, daß der deutschen Öffentlichkeit die Problematik allmählich bewußt wird?

TP: Meines Erachtens ist einiges in Bewegung geraten. Wie die Berichterstattung zeigt, bricht allmählich etwas auf, wenngleich das noch viel zu wenig geschieht und viel zu langsam voranschreitet. Wenn ich sehe, wie über AfD und Pegida ständig rauf und runter berichtet wird, fällt die Reaktion auf die Bewegung gegen die Freihandelsabkommen vergleichsweise noch sehr verhalten aus. Und dabei führen wir hier in Hannover erneut eine Großdemonstration durch, bei der eindeutig klargestellt wurde, daß wir mit rechten Tendenzen nicht das geringste zu tun haben. Wie man sieht, berichten das bestimmte Medien immer noch nicht, doch geht die Tendenz dahin, TTIP und CETA mehr und mehr zu thematisieren. Deshalb bin ich recht zuversichtlich, daß die Medien nicht umhin können, von dieser Demonstration zu berichten.


Tobias Pflüger wird von Ernst-Christoph Stolper auf der Bühne befragt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Positionierte Stellungnahme im Parteien-Talk
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Im Parteien-Talk wurde vorhin auf der Bühne darüber diskutiert, wie Die Linke, die Sozialdemokraten und die Grünen zu den Freihandelsabkommen stehen. Wer ist deines Erachtens ein zuverlässiger Bündnispartner oder könnte dazu gebracht werden, ein solcher zu werden?

TP: Der zuverlässigste Bündnispartner ist die Bewegung. Die Linke hat eine klare Beschlußlage und wird im Bundestag wie auch im Bundesrat gegen die Freihandelsabkommen stimmen. Die Grünen werden sich wahrscheinlich im Bundestag dagegen aussprechen, doch kommt es dann darauf an, wie sich die Bundesländer mit grüner Beteiligung verhalten. Wir haben Signale aus Baden-Württemberg, daß man dort zustimmen will. Damit wäre wie schon bei der Asylrechtsabschaffung Kretschmann erneut der Mehrheitsbeschaffer für Merkel und Gabriel. Also muß da jetzt Druck gemacht werden. Das war auch der Grund, warum ich das vorhin angesprochen habe, denn es ist einfach notwendig, daß auch Baden-Württemberg im Bundesrat die Zustimmung verweigert. Es gibt ja eine Sperrmöglichkeit: Sofern alle Bundesländer mit grünen und linken Beteiligungen nicht zustimmen, gibt es im Bundesrat keine Mehrheit für die Freihandelsabkommen. Das muß genutzt werden.

SB: Wenn man die zurückliegenden Landtagswahlen in drei Bundesländern betrachtet, ist die Position der Linkspartei insofern geschwächt, als sich die Parteienlandschaft auch zu ihren Lasten erheblich bewegt hat. Was müßte Die Linke deines Erachtens tun, um sich stärker zu profilieren?

TP: Zum Beispiel in dem Themenbereich Freihandelsabkommen eine klare Position behalten, im Bereich von Krieg und Frieden eine klare Position behalten, im Flüchtlingsbereich eine klare Position behalten. Die Menschen wollen Klarheit und Verläßlichkeit, und wenn da rumgeeiert wird, bringt das nichts. Ist aber Vertrauen vorhanden, gibt das den entsprechenden Rückhalt und der Linkspartei ein klares Profil. Insofern plädiere ich stets für eindeutige Positionen, die nach draußen kommuniziert werden können.

SB: Tobias, vielen Dank für das Gespräch.


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