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INTERVIEW/112: Das Anti-TTIP-Bündnis - Einfluß nehmen ...    Jörg Haas im Gespräch (SB)


Ein legitimatorischer Popanz

TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel


J. Haas im Porträt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jörg Haas
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Proteste gegen Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP, die bundesweit zu koordinieren und strategisch zuzuspitzen Anlass und Ziel der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz am 26. und 27. Februar in Kassel war, haben an Aktualität und Brisanz nichts verloren. Die Ratifizierung von CETA könnte noch in diesem Jahr bevorstehen. Dieses Abkommen wurde zwar "nur" zwischen Kanada und der EU ausgehandelt, würde aber nach Ansicht vieler Kritikerinnen und Kritiker für US-amerikanische Konzerne ein Einfallstor bieten, weil sie dann - auch ohne TTIP - über ihre in Kanada ansässigen Tochterfirmen europäische Staaten verklagen könnten. Wir werden den Druck auf die politischen Entscheidungsträger weiter erhöhen, hieß es in der Abschlusserklärung der Konferenz, denn bislang konnte weder CETA noch TTIP verhindert werden. [1]

Im Entscheidungsprozess um CETA, TTIP und TISA halte die SPD, wie Jörg Haas, Pressesprecher von Campact, gegenüber dem Schattenblick deutlich machte, eine strategische Schlüsselposition inne. [2] Ohne die Zustimmung ihrer Fraktionen im Bundestag und im Europaparlament, so seine Begründung, kämen die Abkommen nicht durch. Die SPD stellt den zuständigen Wirtschaftsminister, ein SPD-Parlamentarier ist Vorsitzender des Handelsausschusses des Europaparlaments. Sie ist im Gegensatz zu den Christdemokraten/EPP in der Frage der Handelsabkommen, die von großen Teilen ihrer Parteibasis abgelehnt werden, gespalten. Im September 2014 hatte ein Parteikonvent der SPD einen Kriterienkatalog ("rote Linien") zu TTIP und CETA beschlossen, der bei genauer Beachtung eine Ratifikation von CETA (und voraussichtlich TTIP) ausschließen müsste.

Auf dem SPD-Parteitag im Dezember vergangenen Jahres wurde mit knapper Mehrheit ein Leitantrag für die Freihandelsabkommen angenommen. Die Parteiführung wurde jedoch verpflichtet, vor einer Zustimmung zu CETA die Partei erneut zu befragen. Zuvor hatte Sigmar Gabriel bei der Wahl zum Parteivorsitz sein bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren. Beobachter bewerten die Zustimmung zum TTIP-Leitantrag, so Haas, auch als einen Versuch der Delegierten, einen bereits beschädigten Parteivorsitzenden vom Rücktritt abzuhalten. Die TTIP-kritische Bewegung verfolge als Teil eines breiten Fächers von Strategien unter anderem den Ansatz, den Druck der Bevölkerung auf die SPD so zu erhöhen, dass sie es sich nicht mehr leisten könne, den Abkommen zuzustimmen.

Der Campact-Pressesprecher ist im Zuge seines langjährigen Engagements in der Umwelt- und der globalisierungskritischen Bewegung auch mit strategischen Bündnisfragen befaßt. Auf der Konferenz war er Referent eines Workshops zum Thema "Antiamerikanismus - Argumentationstraining und Strategien in der Öffentlichkeitsarbeit". [3] Im Anschluß an die Veranstaltung erklärte er sich bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu diesem Thema, der Bündnispolitik der Anti-TTIP-Bewegung und der Resonanz auf die Konferenz zu beantworten.


Schattenblick (SB): Der Begriff Antiamerikanismus stand im Mittelpunkt des heutigen Workshops. Gab es in der Vorbereitung auch eher theoretische Diskussionen beispielsweise zu der Frage, ob unter Antiamerikanismus antikapitalistische Positionen zu verstehen sind?

Jörg Haas (JH): Es gibt sicherlich unterschiedliche Traditionen antiamerikanischen Denkens. Da sind zum einen Traditionsströme, die eher links kodiert sind, und andere, die von konservativer Seite kommen. Das geht teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurück. Aber insgesamt ist so, dass der Antiamerikanismus mit seinen Schnittmengen zu Antikapitalismus und auch Antisemitismus eine manchmal sehr gefährliche Mischung ist, weil verschiedene negative Stereotype vermischt und unzulässig pauschalisiert werden.

SB: Häufig wird gesagt, dass bei TTIP, das zwischen der EU und den USA ausgehandelt wird, die Interessen der gegeneinander konkurrierenden Kapitalseiten im Spiel sind. Thematisiert wird aber auch das gemeinsame Interesse beider Seiten, einen westlichen Handelsblock zu bilden gegenüber allen übrigen Staaten und Regionen. Wie schätzen Sie das ein?

JH: Es gibt da ganz unterschiedliche Interessen. Zum einen ist zu betonen, dass Europa genauso stark auftritt wie die USA, zumindest als Promoter oder Vorantreiber von TTIP. Das ist kein US-amerikanisches Projekt, sondern wird von den europäischen eher neoliberalen Eliten genauso stark - wenn nicht stärker - vorangetrieben wie von der US-Seite. Zum zweiten gibt es einen Argumentationsstrang, der besagt: Nur wenn wir gemeinsam mit den USA einen großen Handelsblock bilden, wird Europa die Chance haben, die Standards auf der Welt zu beeinflussen. Ich halte das für einen ziemlichen Unsinn. Europa ist allein schon einer der größten Märkte der Welt. Kein relevanter Anbieter irgendeines Industrieprodukts wird sich diesen Markt entgehen lassen, auch wenn hier die Standards, die die EU-Kommission an vielen Stellen erfolgreich durchgesetzt hat, andere sind als in anderen Teilen der Welt.

Bei Mobiltelefonen zum Beispiel hat die EU-Kommission den USB-Anschluss als Standard durchgesetzt. Inzwischen werden keine Ladegeräte mehr mit jedem Mobiltelefon mitgeschickt, weil die alle mit dem gleichen Standard produziert werden. Natürlich stellt sich die Industrie darauf ein, denn der europäische Markt ist viel zu wichtig, als dass sie dies ignorieren könnte. Meiner Meinung nach wird da momentan ein legitimatorischer Popanz aufgebaut, so als wäre Europa viel zu klein und zu schwach und würde untergehen in der Welt, wenn es nicht mit den USA zusammen eine Art Freihandelsblock bildet. Das halte ich aber für ein nicht stichhaltiges Argument.

SB: In der Podiumsdiskussion wurde vorhin von einer Teilnehmerin angemerkt, sie würde in der politischen Arbeit zu TTIP sehr darauf achten, keine Begriffe wie Kapitalismus oder Antikapitalismus zu verwenden, damit die Protestbewegung nicht als links oder kommunistisch wahrgenommen wird. Wie handhaben das Aktionsbündnis hier in Kassel bzw. Campact solche Fragen der Bündnispolitik?

JH: Zunächst einmal ist zu Campact sagen, dass es keine Organisation ist, die eine eng definierte ideologische Sicht hätte. In der Linken gibt es ja ganz unterschiedliche Spektren. Campact ist da eher offen und definiert sich als progressive Bürgerbewegung mit ein paar Grundpositionen, hat aber nicht ein Manifest von 50 Seiten, in dem sozusagen die Welt erklärt wird. Das ist nicht unser Selbstverständnis.

Was die Bündnisfrage betrifft, legt das TTIP-kritische Bündnis "TTIP unfairhandelbar", wovon Campact ein Teil ist, großen Wert darauf, breit aufgestellt zu sein. Große Teile der Gesellschaft sollen sich darin wiederfinden können. Das bedeutet zum Beispiel, dass hier auf der Konferenz auch kleine und mittlere Unternehmer, die sich gegen TTIP äußern, mit dabei sind. Der Kultursektor ist auch dabei, die Gewerkschaften, die Landwirte und so weiter. Wir vereinen ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen, weil wir glauben, dass wir TTIP nur stoppen können, wenn wir einen großen Teil der Gesellschaft für unsere Position gewinnen und mobilisieren können. Es wäre wirklich fatal, wenn man eine antikapitalistische Weltsicht zur Voraussetzung der Ablehnung von TTIP machen würde.

SB: Bei der Berliner Demonstration im Oktober konnte mit einer Viertelmillion Menschen bereits eine sehr große Mobilisierung erreicht werden, ohne dass das eigentliche Ziel, die Freihandelsabkommen zu stoppen, näher gerückt ist. Gab es im Aktionsbündnis Diskussionen zu diesem Problem?

JH: Natürlich gibt es unterschiedliche Strategien, wenn es um die Möglichkeiten der Bürger geht, in unserem politischen System tatsächlich effektiv Druck ausüben zu können. Wir als Campact thematisieren TTIP auch bei Landtagswahlen, weil wir glauben, dass die Parteien dann sensibel sein müssen für die Themen, die von den Bürgern kommen. Sie wollen ja deren Stimmen, und das macht sie verwundbar. Wir verfolgen dabei die Strategie, die Positionen der Parteien zu TTIP vorher abzufragen und dann auf Türhängern bekannt zu machen.

Eine andere Strategie, bei der es um die Positionierung der Sozialdemokratie zu TTIP geht, haben wir schon im vergangenen Herbst verfolgt. Es gab einen zentralen Aktionstag, an dem Campact-Aktive an verschiedenen Orten in Deutschland auf die Delegierten des SPD-Parteitags zugegangen und mit ihnen ins Gespräch gekommen sind. Das ist eine Art Lobbyarbeit durch die Bürger, um die Delegierten zu beeinflussen. Ich glaube, das hat durchaus dazu beigetragen, dass die TTIP-Kritiker in der SPD noch einmal gestärkt und ermutigt wurden. So werden wir weiter verfahren und an den verschiedenen Stellen, wann immer politische Entscheidungen anstehen, dafür sorgen, dass die Bürger sich einbringen und die politischen Repräsentanten versuchen festzunageln.

SB: Die Konferenz ist fast schon zu Ende. Können Sie ein erstes Fazit ziehen? Sind Sie mit der Resonanz zufrieden?

JH: Oh ja, wir sind sehr zufrieden. Wir haben über 500 Teilnehmer. Eine so große Resonanz ist einfach überwältigend. Was mich persönlich sehr beeindruckt hat, war der Aktionsaustausch gestern abend, diese unglaubliche Kreativität und Vielfalt der Aktionen vor Ort. [4] Das war ganz wunderbar. Eine Gruppe hat Tango gegen TTIP getanzt! Da habe ich gedacht: Wenn jetzt der BDI-Chef hier wäre und würde diesen Tango sehen, könnte er doch nur noch nach Hause gehen, weinen und sagen: Okay, wir haben verloren. (lacht) Es gibt tatsächlich eine unglaubliche Stärke in der Fläche. Die vielen lokalen Bündnisse haben mich enorm ermutigt und mir Hoffnung gegeben, dass wir diese gefährlichen Projekte stoppen können: TTIP, TISA und CETA.

SB: Vielen Dank, Herr Haas, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://ttip-aktionskonferenz.de/abschlusserklaerung/

[2] Siehe auch zur Rolle der SPD den Bericht zur CETA-Ratifizierung im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
BERICHT/077: Das Anti-TTIP-Bündnis - Abwicklungsdruck ... (SB)

[3] Siehe den Bericht zum Antiamerikanismusvorwurf im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
BERICHT/075: Das Anti-TTIP-Bündnis - beim Thema bleiben ... (SB)

[4] Siehe den zweiteiligen Bericht zu diesem Aktionsaustausch im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
BERICHT/078: Das Anti-TTIP-Bündnis - Ein großes Spektrum ... (1) (SB)
BERICHT/079: Das Anti-TTIP-Bündnis - Ein großes Spektrum ... (2) (SB)


TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:

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19. April 2016


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