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INTERVIEW/055: Wendland frei trotz alledem - Worauf es ankommt ...    Peter Herrmann im Gespräch (SB)


Generationenübergreifender Widerstand

Interview in Gedelitz im Wendland am 22. August 2014


Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Peter Herrmann
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Peter, du trittst hier als Liedermacher auf, um den Atomwiderstand zu unterstützen. Hast du einen persönlichen Bezug zum Wendland?

Peter Herrmann: Ich habe als 15jähriger im Wendland gelernt und von daher die ganze Geschichte sehr früh mitbekommen. Damals war das hier eine ultraschwarze Gegend, deren landwirtschaftliche Struktur in den 60er Jahren zugunsten größerer Höfe mit Subventionen und dergleichen umgewandelt wurde, so daß sehr viele kleine Höfe auf der Strecke geblieben sind. Im Zuge dessen sind viele Leute aus Hamburg, Berlin und anderen Städten hierher gezogen und haben die leerstehenden Gebäude aufgekauft. Auf diese Weise wurde die erzkonservative Szene im Wendland ein bißchen gedreht. Dann kam eines Tages unser Atomminister Franz Josef Strauß mit dem Gorleben-Experiment, was natürlich Widerstand hervorrief, der in dieser Region ziemlich ausgeprägt war. Man muß wissen, daß das Endlager Gorleben vom damaligen Minister Albrecht an einen Ort nahe der Grenze gesetzt wurde, so daß dreiviertel der davon betroffenen Bevölkerung in der DDR lebte und kein Mitspracherecht hatte. Letzten Endes konnte nur eine kleine Minderheit der Betroffenen aktiv Stellung beziehen, während die Mehrheit gar nicht in die Entscheidungsfindung involviert war. Ich habe mich für den Widerstand engagiert, weil mir die schöne Landschaft hier am Herzen liegt und ich noch gute Erinnerungen an die frühere Zeit hatte.

SB: Könntest du noch etwas zu deiner persönlichen Geschichte erzählen?

PH: Nachdem ich die Lehre auf einem Hof im Wendland abgeschlossen hatte, bin ich weggezogen. Dann kam die Bundeswehr, ich bin zur See gefahren und habe später ein Krankenpfleger-Examen abgeschlossen und 36 Jahre in dem Beruf gearbeitet. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und seit sechs Jahren in Rente. Im Rahmen der Castorblockade habe ich mich hier im November mit auf die Straße gesetzt und mich ein Stück tragen lassen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

SB: Wie bewertest du rückblickend die Kontinuität des Widerstands hier im Wendland? Gibt es noch eine Bevölkerung, der kein Politiker irgend etwas vorzusetzen wagen würde, weil er befürchten müßte, daß ihm die Sache gleich um die Ohren fliegt, oder hat doch eine Art Befriedung Einzug gehalten?

PH: Mit der Ankündigung der Abschaltung der Atomkraftwerke haben sich sicherlich viele halbherzig entschlossene Leute wieder hingesetzt und Ruhe walten lassen. Ich denke aber, daß ein harter Kern geblieben ist. Allerdings müssen wir den Schwerpunkt von den in Betrieb gebliebenen Kraftwerken weg auf den Widerstand gegen die Endlagerung fokussieren. Denn die Endlagerung wird zukünftig unser Hauptproblem sein. Wir haben nur Gorleben und sonst nichts anderes. Es gibt nicht einmal eine adäquate Suche nach Alternativen. Die im Süden schreien sofort auf: Nein, bei uns nicht!

SB: Aus diesem Grund wurde jetzt eine Kommission eingesetzt, die die Suche nach einem Endlager angeblich nach gerechteren Kriterien vorantreiben soll.

PH: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bilde ich 'nen Arbeitskreis. Es ist fast unmöglich, ein Ergebnis zu kriegen, denn überall, wo man zu einem Ergebnis käme, würde sich sofort Widerstand manifestieren. Da gilt wirklich dieser Spruch: Die Geister, die man rief, wird man nicht mehr los; wir haben sie am Hals. In Brokdorf und Brunsbüttel rosten die Fässer vor sich hin. Krümmel und Brokdorf sind Zeitbomben. Jedes einzelne dieser drei Kraftwerke ist in der Lage, halb Norddeutschland zu entvölkern. Es reicht, wenn nur an einem dieser Kraftwerke ein Unfall passiert. Es ist eben so, daß die Betreiber nicht sonderlich an Pflege und Wartung interessiert sind, weil Atomstrom keinen Profit mehr einbringt. Ich habe dies in einem meiner Lieder so formuliert: "Und wird es desolat, zahlt den Verlust der Staat."

Letztendlich werden wir im Interesse unserer eigenen Sicherheit Milliarden in die Atomwirtschaft hineinpumpen müssen. Und die Atomindustrie wird sich die Hände reiben und sich sauber aus dem Geschäft herausziehen. Es ist immer so gelaufen und wird auch weiterhin so laufen. Wenn eine AG pleite macht oder sich auflöst, zahlen wir drauf, da Personen nicht haftbar gemacht werden können. Aber in diesem konkreten Fall ist es mit der Bezahlung nicht getan, weil das strahlende Material an den Atomkraftwerken, deklariert als Zwischenlager, zurückbleibt. Jedes einzelne Atomkraftwerk ist ein Zwischenlager und wird desaströs verwaltet.

SB: Könntest du dir vorstellen, daß der Atomausstieg rückgängig gemacht wird? So hat ein Wissenschaftler zur Debatte um den Konflikt mit Rußland die provokante These aufgestellt: Um Energieunabhängigkeit von Rußland zu gewährleisten, müßten wir möglicherweise wieder Atomkraftwerke hochfahren.

PH: Dazu bietet sich eine ganz andere Alternative an, die wir bisher gar nicht auf dem Zettel haben. Ich meine damit die riesigen Fracking-Vorhaben in den Vereinigten Staaten. Infolgedessen wird die Energie billiger werden und die Ölstaaten werden zum Teil auf ihrem Öl sitzenbleiben. Eventuell haben sie in China noch ein zweites Standbein, aber im wesentlichen wird die Verbilligung der Energie dadurch, daß die USA autark werden, katastrophale Folgen für die Umwelt und die Bewohner in den Fracking-Zonen haben. Und das wird rücksichtslos vorangetrieben, weil die Herren Bush, Cheney und Rumsfeld die Rechtslage so geklärt haben, daß die betroffenen Bewohner überhaupt keine Widerspruchsmöglichkeit mehr besitzen. Wenn Shell aus dem Eismeer im Norden seine Bohrplattformen zurückzieht, dann wird das so verkauft, als würden sie dies aus Umweltgründen machen, weil das Eismeer ein so sensibles Gewässer ist. Tatsächlich lohnt sich der komplizierte Abbau in dem Ökosystem Eismeer nicht mehr, weil das Fracking-Gas relativ billig zu fördern ist. Man muß wissen, daß im Eismeer eine ebensolche Artenvielfalt herrscht wie in anderen Gewässern, nur daß die Nachkommensrate geringer ist, was sich bei Katastrophen dort oben sehr viel verheerender auswirken wird.

SB: Du hast auch ein Lied zum Thema Braunkohle gemacht. Wie kann es deiner Ansicht nach angehen, daß die Braunkohleverstromung hier noch auf Jahrzehnte hinaus politisch gesichert ist und als relativ zuverlässige Energiequelle verkauft wird? Glaubst du, daß die Politiker die Stromerzeugung über Braunkohle trotz der erheblichen CO2-Emissionen durchsetzen werden?

PH: Ich bin sicher, daß sie das durchsetzen werden, wenn wir das zulassen. Wo andere Leute ein Gewissen haben, haben sie ein Portemonaie. Im übrigen geht das Verbrechen der Braunkohleverstromung und die Verstopfung der Netze ganz eindeutig zu Lasten alternativer Energien, die dann nicht mehr verkaufbar sind bzw. werden die Netze mit Braunkohlestrom derart verstopft, daß es nicht mehr möglich ist, alternative Energien einzuspeisen. Man muß sich diesen Wahnsinn einmal vor Augen führen: Pro Kilowattstunde setzt die Braunkohle ein Kilo CO2 frei. Insgesamt ist der CO2-Ausstoß der Braunkohlekraftwerke größer als der des gesamten Straßenverkehrs in Deutschland. Und das wird uns auch noch als gemeinnützig angepriesen und mit unserem Geld gefördert.

SB: Du warst auch auf dem Klimacamp im Rheinland. Wie hast du dort die jungen Aktivistinnen und Aktivisten erlebt? Hattest du den Eindruck, daß sich dort vitaler Widerstand formiert?

PH: Im Klimacamp ja, aber bei den anderen jungen Leuten habe ich so meine Zweifel. Bei ihnen ist es so, wie wenn man in einer Einkaufszone auf Leute stößt, die shoppen gehen und abends mit sechs Bier vor dem Fernseher sitzen. In einem normalen Alltag mit Arbeit und einigen Besorgungen bleiben ihnen ungefähr anderthalb bis zwei Stunden verfügbare Freizeit, die sie dann auch noch vor dem Fernseher zubringen. Ihr Gehirn wird dabei derart mit Banalitäten vollgestopft, daß sie für die wirklichen Probleme gar keine Zeit mehr haben.

Peter Herrmann im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Gegen die Unverbindlichkeit des Konsumismus
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Du bist über 70 Jahre alt und hast einen anderen Blick auf die Gesellschaft als junge Leute von 20 oder 25 Jahren, die die Hauptkraft des Braunkohlewiderstands bilden. Könnte das auch für andere junge Menschen attraktiv sein oder findest du, daß es eher eine Außenseitergruppe anspricht?

PH: Es gibt eine große Menge an Sympathisanten, die selbst nicht aktiv werden. Das liegt meines Erachtens daran, daß die Aufklärung blockiert wird. Dann ist es auch nicht verwunderlich, daß die alternativen Energien behindert werden, indem man zum Beispiel die Solarförderung streicht, aber gleichzeitig die Braunkohleförderung als gemeinnützig fördert. Was bitte ist an der Braunkohleförderung gemeinnützig? Braunkohle ist vielmehr gemeinschädlich und stellt ein Verbrechen an unserer Atmosphäre dar. Zum CO2-Ausgleich werden dann Klimazertifikate aus Namibia gekauft, aber das nützt der Atmosphäre herzlich wenig. Sie kann kein Geld zählen, CO2 aber schon.

SB: Du hast relativ spät damit angefangen, politische Lieder zu diesen Themen zu machen. Erfüllt sich darin für dich eine Art Lebenssinn?

PH: Ich will noch ein bißchen weitermachen, aber an einen Ausbau ist nicht zu denken. Was ich noch machen kann, werde ich tun. Ansonsten möchte ich für meine Enkel da sein. Ihrer Zukunft gilt mein Engagement, denn in meinem Alter wird mir das CO2 der Braunkohle nicht mehr lange etwas anhaben können.

SB: Du bist aber nicht ohne Hoffnung für die nachwachsenden Generationen.

PH: Wenn man der anderen Generation ein Vorbild gibt, dann werden sie in dieser Beziehung auch aktiv werden. Im Moment ist die nachfolgende Generation jedoch stark eingespannt durch Arbeit und Kinder. Wenn in einer Elefantenherde die Mutter überfordert ist, springen die Tanten ein. Wir Menschen hatten einen evolutionären Generationsvorteil gegenüber den Neandertalern, weil wir älter wurden. Während die Neandertaler nicht älter als 25 Jahre wurden, hatten wir eine Lebenserwartung von 45 Jahren. Das heißt, bei uns war die dritte Generation noch am Leben, als die erste geboren wurde. Dieser Informationsvorteil hat sicherlich ganz maßgeblich dazu beigetragen, daß wir den Kampf mit den Neandertalern partiell gewonnen haben. Nun, sie sind ja nicht ganz weg. Wir haben noch Neandertalergene in uns. Natürlich ist es im Interesse des Kapitals und der Herrschenden, eine Generation von der anderen zu entkoppeln. Daher ist es für uns auch so wichtig, den Generationsbruch zu verhindern und die Verbindung zur Nachkommenschaft aufrechtzuerhalten.

SB: Peter, vielen Dank für das Gespräch.


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17. September 2014