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INTERVIEW/013: La ZAD - Rechtsempfinden, Rebellion und Horizonte (SB)


Interview mit dem Bauernaktivisten Julien Durand am 13. April 2013 in La ZAD



Julien Durand ist ein Aktivist der ersten Stunde im Kampf gegen das Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes. Er war 1973 nach dem offiziellen Planungsbeginn für dieses verkehrsinfrastrukturelle Bauvorhaben daran beteiligt, den bäuerlichen Widerstand in der Organisation ADECA zu organisieren. Der in der Region ansässige Milchbauer, der einen Kleinbetrieb mit etwa 30 Milchkühen auf 55 Hektar Land führte, wurde im Aufbruch des Jahres 1968 politisiert und übertrug seine dabei gemachten Erfahrungen auf den bäuerlichen Widerstand. Als das zwischenzeitlich vermeintlich aufgegebene Flughafenprojekt Jahr 2000 erneut aufgegriffen wurde, wurde Durand wieder aktiv und fungiert heute als Sprecher der den bürgerlichen Widerstand organisierenden Initiative ACIPA. In dieser Eigenschaft stellt er auch ein Bindeglied zwischen den alteingesessenen Gegnern des Flughafens und den Zadistas dar, die La ZAD seit einigen Jahren im weiteren Sinne sozialökologischer und sozialrevolutionärer Ziele verteidigen. Auf dem enteigneten und von den Bauern wiederbesetzten Hof Bellevue beantwortete Julien Durand dem Schattenblick einige Fragen.

Im Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Julien Durand
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Monsieur Durand, könnten Sie etwas über die Anfänge des Flughafenprojekts und die Geschichte des Widerstands gegen ihn sagen?

Julian Durand: Ja. Offiziell haben wir von dem Projekt im Jahr 1973 erfahren, die Akte war jedoch schon in den 60er Jahren eröffnet worden. 1973 haben wir die ADECA gegründet, die Association de Défense des Exploitant Contre l'Aéroport [1]. In ihr waren nur Bauern und Landarbeiter organisiert, und ihr Ziel war die Verteidigung des Bodens als Produktionsmittel. Die Basis unseres Kampfes ist bis heute dieselbe geblieben. Das Projekt sollte im Jahr 1985 abgeschlossen werden und Start und Landung der Concorde ermöglichen. Aufgrund der durch den Ölkrieg, den Yom-Kippur-Krieg zwischen Israel und Ägypten, ausgelösten wirtschaftlichen Rezession steckte man die Akte zurück in die Schublade. Als sich dann im Jahr 2000 bei Gonesse im Großraum Paris der Concorde-Unfall ereignete, zog man sie wieder hervor. Jean Marc Ayrault war gerade Bürgermeister von Nantes, und Lionel Jospin war Premierminister. Sie haben beschlossen, das Vorhaben wieder aufzunehmen und daraus einen dritten Flughafen für Paris zu machen, um die Flugfrequenz in der Hauptstadt zu reduzieren. Heute, im Jahr 2013, ist der Widerstand durch das Bündnis von Bauern und Bürgern ein ungleich stärkerer geworden. Die Bauern allein können gegen ein solches Projekt nichts ausrichten. Es mußte bei den Bürgern in großem Rahmen ein Bewußtsein dafür geschaffen werden, damit es zu dem heutigen Ausmaß der Mobilisierung und zur gemeinsamen Besetzung der Zone durch die jungen Leute, durch die Bauern und die Bürger kommen konnte.

SB: In welchen Jahr wurde den Bauern das erste Land weggenommen und wann wurden die ersten Bauern von ihrem Land vertrieben?

JD: Bis heute hat es - im Gegensatz zu dem, was verlautet wird - noch keine Vertreibung von Bauern gegeben. Die entsprechenden juristischen Verfahren sind noch im Gange; Zwangsräumungen hat es nicht gegeben. Die Enteignungsverfahren vor Gericht sind nichts als Manöver, mit denen man die Räumung durchsetzen will, denn ohne Gerichtsurteil kann kein Bauer von seinem Land vertrieben werden. Auch die Bewohner von Häusern mit Pachtverträgen wurden noch nicht gezwungen, auszuziehen. Sie sind 1985 in Häuser gezogen, die der Generalrat des Departements mit seinem Vorkaufsrecht erworben hat, und haben einen Anspruch, den man nicht übergehen kann. Man kann nicht einfach morgen sagen, wir räumen jetzt. Geräumt wurden Besetzer, denn für den Staat sind sie Illegale. Aus unserer Sicht habe sie volle Legitimation hier zu sein und uns im Kampf zu unterstützen, für den Staat ist das die Grundlage für ihre Vertreibung. Was Bellevue angeht, so war das in unseren Augen eine legitime Besetzung und für den Staat ist es illegal. Hier steht eine Räumung an. Bei der großen Wiederbesetzung wurden auf Bellevue zusätzliche Hütten errichtet und zahlreiche wiederaufgebaut.

Demonstration mit Traktoren - Foto: © 2013 by Schattenblick

Traktoren auf dem Weg zur Aktion "Sème ta ZAD"
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Welches übergeordnete Interesse kann der Staat geltend machen, das über das Eigentumsrecht hinausgeht? Und welche rechtliche Grundlage gibt es dafür?

JD: Es gab mehrere angeblich demokratische Verfahren zur Befragung der Öffentlichkeit zu diesem Projekt. Im Jahr 2003 fand eine öffentliche Debatte statt, 2006 führte man eine Studie zur Frage des allgemeinen Nutzens durch, der dann am 9. Februar 2008 die Unterzeichnung der Verordnung über den öffentlichen Nutzen folgte. Und nach der Unterzeichnung der Verordnung hat man mit den Verfahren zur Enteignung der Parzellen begonnen. Es folgte eine Studie über die Parzellen. Die Enteignung wurde angeordnet, dann wurde sie gerichtlich verfügt. Jetzt sind wir am Ende der Verfahren angekommen. Es bleiben noch einige Formalitäten zur Umsetzung der Enteignungen, Dreiviertel der Urteile stehen. Wer das Urteil akzeptiert hat, hat auch eine finanzielle Regelung durch Vinci akzeptiert. Aber alle anderen, zu denen wir gehören, haben das Geld zurückgewiesen. Dieses Geld kommt dann in eine für diesen Zweck eingerichtete Treuhandkasse, aber Vinci hält sich jetzt für berechtigt, überall einzudringen.

Durch einen 28 Tage dauernden Hungerstreik während der Präsidentschaftswahlen ist es uns gelungen, ein paar geringfügige Zugeständnisse seitens der Parti socialiste zu bekommen. Sie erklärte: Gut, es wird keine Räumungen geben, aber das gilt nur für die Anwohner und Bauern, die sich in der ZAD befanden, als die Erklärung über den öffentlichen Nutzen des Vorhabens unterschrieben wurde. Das war der 9. Februar 2008. Die Situation ist im Moment also festgefahren, bis über unsere Anträge vor dem Kassationsgericht entschieden ist und bis über die Eingabe von seiten der CéDpa [2] - des Abgeordnetenkollektivs, das die Sachdienlichkeit des Flughafens Notre-Dame-des-Landes anzweifelt - gegen die Erklärung über den öffentlichen Nutzen beim Staatsrat entschieden wurde. Die CéDpa hat nämlich eine Wirtschaftsstudie in Auftrag gegeben, eine Gegenstudie, die die vorherige Studie auseinandernimmt und nachweist, daß in dem Finanzkonzept, das die Feststellung des öffentlichen Nutzens gerechtfertigt hat, mit den Zahlen getrickst wurde.

SB: Welche Rolle spielt der multinationale Konzern Vinci als Hauptbauherr und Konzessionär des Flughafens in den rechtlichen Verfahren? Hat er dort eine Stimme?

JD: Vinci hat die Konzession für die Leitung und die wirtschaftliche Nutzung der bestehenden Flughäfen Nantes Atlantique und Saint Nazaires und für den Bau von Notre-Dame-des-Landes. Laut Vertrag handelt der Konzern im Auftrag des Staates. Er kümmert sich um die Situation, was den Besitz des Bodens und der Wohnhäuser angeht, aber immer stellvertretend für den Staat. Der Staat ist also letztlich verantwortlich. Wenn das Flughafenprojekt gestoppt wird, dann geht das Land, das gekauft oder enteignet wurde, in den Besitz des Staates über. Es ist nicht im Besitz von Vinci. Vinci kümmert sich um die wirtschaftliche Nutzung von Loire Atlantique und Saint Nazaires. Die Rolle von Vinci besteht also darin, die Situation für den Staat zu regeln.

JD: Das Projekt wurde von gewählten Abgeordneten des Departements Loire Atlantique und der Region Pays de Loire initiiert. Es ist ihnen gelungen dafür zu sorgen, daß das Projekt beantragt und zu einem Projekt des Staates wurde. Das erhöht die finanzielle Kapazität, weil es sich dann um eine nationale Finanzierung in Zusammenarbeit mit den Gebietskörperschaften handelt, die sich aufgrund der größeren Legitimität und Bedeutung des Projekts in einem höherem Maße finanziell beteiligen. Das ist der Vorteil. Was die juristischen Verfahren angeht, so liegen diese direkt in der Verantwortung des Staates. Das Projekt ist als lokale Idee entstanden, und die örtlichen Abgeordneten haben sich zur letztlichen Realisierung des Projekts mit einer Studie an den Staat gewendet.

Transparent an Hänger auf dem Hof Bellevue - Foto: © 2013 by Schattenblick

"Die Lösung liegt in Nantes Atlantique, nicht in Notre Dame des Landes"
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: In Deutschland gilt Frankreich als Land, das über eine reiche Geschichte an Massenstreiks, starken Arbeiterbewegungen und sozialen Rebellionen verfügt. Gibt es auch eine Tradition des Widerstands der Bauern in Frankreich?

JD: Die Loire Atlantique und der Westen Frankreichs im allgemeinen verfügen über ein großes Erbe und eine starke Tradition fundamentaler Kämpfe. Es ist unsere grundlegende Philosophie, daß die Erde ein Produktionsmittel ist und nicht ein Besitz. Die gewerkschaftliche Tradition in Loire Atlantique bestand schon immer darin, den Status der Arbeiter der Erde ein bißchen nach dem Bild der Arbeitergewerkschaften zu formen, die den Status des Arbeiters gegenüber dem Unternehmen verteidigen. Als Arbeiter der Erde versuchen wir, den Status des Bauern zu verteidigen, zu schützen und zu verbessern, um unseren Beruf als Landwirt in aller Sicherheit ausüben zu können. Und wenn man von Sicherheit spricht, bedeutet das für einen Landwirt, über 15, 20 oder 25 Jahre planen zu können. Wir versuchen zu erreichen, daß ein Bauer für seine gesamte Laufbahn auf einem Gebiet beschäftigt ist. 30 Jahre Landnutzung wären ideal, das sind 30 Jahre Sicherheit für Investitionen und gesicherte Arbeit für diesen Zeitraum.

SB: Zum Abschluß gefragt: Könnte das Beispiel von La ZAD insgesamt auf die französische Gesellschaft oder zumindest die französische Jugend ausstrahlen? Meinen Sie, daß La ZAD eine Bedeutung für die Zukunft und für andere Dinge hat, die falsch laufen? Für andere Kämpfe, soziale Kämpfe, Agrarkämpfe?

JD: Der große Gewinn, den ich im jetzigen Stadium des Kampfes, in dem wir uns befinden, schon sehe, ist daß der Kampf nicht innerhalb der Zunft der Bauern geblieben ist, wie es im Jahr '75 war. Es ist uns gelungen, daraus einen Kampf der Bürger zu machen. Da heute die Bauernschaft allein - aus Mangel an Bauern - immer weniger Gewicht hat, mit dem sie den politischen Entscheidungsträgern als Wähler gegenübertreten kann, muß man neue Allianzen über das ganze Land hinweg schmieden. Und daran arbeiten heute die Bauerngewerkschaft und andere Bauernvereinigungen, angefangen mit jenen, die sich in der Direktvermarktung engagieren, für eine Regionalisierung der Produktion und versuchen, sich den Konsumenten anzunähern. Sie versuchen, mit den Konsumenten, den Bürgerinnen und Bürgern einen gemeinsamen Standpunkt zu finden und ihnen die Schwierigkeiten der Bauern von heute begreiflich zu machen, um sich so Verbündete zu schaffen. Mit einer solchen Bewegung kann man wieder Gewicht haben und Einfluß nehmen. Das bedeutet, daß man Einfluß auf die Entwicklung der gesamten Gesellschaft hat. Es korrespondiert mit der Wendung, die wir am Ende der öffentlichen Debatte genommen haben.

Aus dem Protest gegen das Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes ist ein Protest geworden, der sich auf die gesamte Gesellschaft bezieht. Die Bürgerinnen und Bürger befinden sich in einer neuen Lage, was den Bedarf betrifft, und sie sehen sich einer neuen gesellschaftlichen Problemstellung gegenüber, die wir als Bauern erkennen. Es geht um den Schwund der Agrarflächen, dem die politische Welt nur mit Worten, aber nicht mit Taten begegnet. Also muß man zu Taten übergehen. Und es bedeutet auch Solidarität zu üben. Wir haben eine Wirtschaftskrise, und wer muß für die Haushalteinsparungen zahlen? Man muß den Mut haben, mit dem Finger auf die Probleme zu zeigen. Die Banken, die der Grund für alle Finanzcrashs, für alle monetären Entwicklungen sind, mit denen wir zu tun haben, rührt niemand an. Man versucht, eine Scheidewand zwischen Politik und Banken zu schieben, damit das liberale System weiter funktioniert. Von Zeit zu Zeit macht man Korrekturen, aber das sind Placebos. Und es sind immer die Arbeiter, die die Zeche zahlen müssen. Man muß sich nur die Fabriken anschauen, die im Namen der Rentabilität und der industriellen Konzentration schließen. In der Welt der Bauern sind es die großen Agrarindustriekonzerne, die den größten Mehrwert absahnen. Um mit unserem Beruf fortfahren zu können, muß man das alles mit einbeziehen. Es geht also um eine Neuerschaffung des Bauernberufs und eine Neuerschaffung der Ziele der Gesellschaft im allgemeinen.

SB: Monsieur Durand, vielen Dank für das Gespräch.

Blick auf Weide mit Hof - Foto: © 2013 by Schattenblick

Der besetzte Hof Bellevue
Foto: © 2013 by Schattenblick

Fußnoten:

[1] dt.: Vereinigung zur Verteidigung der Bauern gegen den Flughafen

[2] Collectif d'élus Doutant de la pertinence de l'aéroport de Notre-Dame-des-Landes


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2. Mai 2013