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BERICHT/094: Klimacamp im Rheinland - getrennt marschieren, vereint ... (SB)


Der Kampf ums Klima ist zugleich auch ein feministischer, antirassistischer, anti-staatlicher und antikapitalistischer Kampf, ein Klassenkampf und ein Kampf gegen Tierausbeutung und Militarismus. Oder kurz: Ein Kampf gegen Herrschaft im Allgemeinen.
Positionsbestimmung "Zucker im Tank" [1]



Flyer von Zucker im Tank für Klimacamp im Rheinland - Grafik: 2017 by Zucker im Tank

Grafik: 2017 by Zucker im Tank

Hektische Betriebsamkeit auf der Bundesstraße 477 zwischen Niederaußem und Pfaffendorf. Am frühen Morgen des 26. Augusts, eines Samstags, an dem es die meisten Menschen eher ruhig angehen lassen, fahren PKWs und Mannschaftswagen der Polizei in hohem Tempo von Niederaußem in Richtung Pfaffendorf. Die Aktivitäten der Braunkohlegegnerinnen und -gegner, die nicht nur im Klimacamp bei Erkelenz, sondern auch in einem Basiscamp für Aktionen im nahegelegenen Bedburg präsent sind, halten die Region in Atem. In diesem Fall wurde die Hambachbahn, mit der die Kohle aus dem Tagebau Hambach zu den Kohlekraftwerken Niederaußem, Neurath und Frimmersdorf transportiert wird, von sechs Aktivistinnen und Aktivisten blockiert. Zwei Menschen liegen im Gleisbett, jeweils einen Arm durch ein Betonfaß gesteckt und mit Ketten so gesichert, daß man sie nicht einfach herausziehen kann.


Aktivist und Aktivistin im Gleisbett - Fotos: © 2017 by Schattenblick Aktivist und Aktivistin im Gleisbett - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Gleisblockade gegen Kohleverstromung
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Als der Schattenblick eintrifft, sind die vier Unterstützerinnen und Unterstützer, die unter anderem dafür gesorgt haben, daß die Kohlebahn nicht über die beiden fest im Gleisbett Liegenden hinwegfährt, bereits von der Polizei verhaftet und abtransportiert worden. Das RWE-Personal ist mit einem Montagefahrzeug gekommen, hält sich jedoch im Hintergrund, denn die Polizeibeamtinnen und -beamten sind dafür verantwortlich, die Blockade aufzulösen, ohne Schaden an dem Aktivisten und der Aktivistin anzurichten. Man bereitet das Durchtrennen des Betonfasses und der Kette vor, nun allerdings hinter einem aufgespannten Tuch, so daß die Presse nicht genau verfolgen kann, was vor sich geht.


Aufstemmen des Betonfasses wird vorbereitet - Fotos: © 2017 by Schattenblick Aufstemmen des Betonfasses wird vorbereitet - Fotos: © 2017 by Schattenblick Aufstemmen des Betonfasses wird vorbereitet - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Aufwendige Beseitigung der Gleisblockade
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Auch der Zugverkehr wird wieder aufgenommen, nun allerdings eingleisig, doch der Kohlebrand darf nicht unterbrochen werden. Eben das ist das Ziel der Blockade, die die eng ineinander greifende Logistik der Kohleverstromung für vielleicht zwei Stunden lahmlegte. Wie in allen Wirtschaftsbereichen ist die Infrastruktur zwischen Tagebau und Kraftwerk so effizient wie möglich organisiert, soll es doch zu möglichst wenig kostensteigernden Formen des Zwischenlagerns kommen.

Nur wenige Journalisten befinden sich zu dieser frühen Stunde an dem entlegenen Ort. Zu den Bahngleisen gibt es hier keinen freien Zugang, die Schienen verlaufen in einer tiefergelegten Trasse, die zu beiden Seiten durch dichte Bewaldung abgeschirmt ist. Zudem ist dieser Samstag praktisch der Höhepunkt der Aktionstage, die im Klimacamp vorbereitet und organisiert werden. Mittags soll die Rote-Linie-Aktion am Hambacher Tagebau stattfinden, und vom Basiscamp in Bedburg aus werden mehrere Finger einer Ende-Gelände-Aktion zu weiteren Blockaden der Kohlebahn starten.


Wartender Kohlezug und Gleisblockade von Brücke aus gesehen - Fotos: © 2017 by Schattenblick Wartender Kohlezug und Gleisblockade von Brücke aus gesehen - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Morgendliche Unterbrechung des Braunkohletransportes durch RWE-Betriebsbahn
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Kleingruppenaktion hat Zukunft

Koordiniert gegenüber der Presse wird diese Gleisblockade von Zucker im Tank. Auf die Frage des SB, was es mit der erklärten Absicht, Kleingruppenaktionen zu unterstützen, auf sich hat, antwortet die der Kampagne angehörende Aktivistin Lara im Klimacamp:

"Für uns ist es wichtig, daß Menschen ihre Aktionen auch selbst organisieren. Wir finden es sehr wichtig, daß es eine große Diversität an Aktionen gibt, das gilt auch für selbstorganisierte Aktionen. Ende Gelände und KOHLE erSETZEN! können auch total unterschiedlich sein, können kreativ, militant oder eine Form von direkter Aktion sein. Wir haben keinen Aktionskonsens, da jede Gruppe selber beschließt, wie sie ihre Aktion durchführen möchte. Diese Gruppen schließen sich uns auch nicht an, es ist vielmehr so, daß wir eine unterstützende Struktur für sie sind. Selbstorganisierte Gruppen planen und handeln selber, wir sind lediglich ein Kanal für den Zugang zur Öffentlichkeit.

Uns ist nicht wichtig, daß Zucker im Tank als Label auftaucht. Uns ist schon wichtig, den Kleingruppen eine Bildfläche zu geben, es zu ermöglichen, daß sie auch gesehen werden. Wir sind nicht sehr stark sichtbar, aber hoffentlich doch so, daß die Pressemitteilungen von den selbstorganisierten Gruppen veröffentlicht werden."


Plakat im Klimacamp warnt vor verdeckten Ermittler*innen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aus leidvoller Erfahrung ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Es liegt auf der Hand, daß Aktionen kleinerer, autonom agierender Gruppen in einem gesellschaftlichen Klima zunehmender Überwachung und Kontrolle besser zu planen und weniger leicht zu verhindern sind als die großer Menschenmengen, die sich schon beim Aufbruch im Visier der Ordnungskräfte befinden. Höchstwahrscheinlich noch früher, denn die Durchdringung oppositioneller Kräfte mit Informanten und V-Leuten der sogenannten Sicherheitsbehörden erweist sich immer wieder als hochwirksam und psychisch höchst belastend für die davon Betroffenen. In den letzten Jahren wurden unter anderem in Hamburg mehrere V-Leute der Polizei enttarnt, die nicht davor zurückschreckten, auch Liebesbeziehungen mit nichtsahnenden Aktivistinnen und Aktivisten einzugehen.

Der Staat greift nicht etwa nur im Bereich der Terrorismusabwehr zu allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, auch radikalökologischer Aktivismus gerät zusehends ins Blickfeld seiner Exekutivorgane. Die logistische Infrastruktur industrieller Produktion ist, wie auch die Gleisblockade an diesem Tag zeigte, eine Schwachstelle des kapitalistischen Geschäftsbetriebes. Ob Autobahnen, Zuggleise, Wasserstraßen, Energieleitungen oder Kommunikationsstrecken, allein die räumliche Ausdehnung dieser Infrastrukturen macht es praktisch unmöglich, sie gegen störende Eingriffe hermetisch abzuriegeln. Die Anfälligkeit dieser Ver- und Entsorgungsstrecken für aktivistische Interventionen wird durch die hochgradig integrierte, auf hohe Taktraten und knappe Zeittoleranzen verdichtete Produktivität in Fabrik und Verwaltung noch gesteigert. So gehören Autobahnblockaden, wie LKW-Fahrer in Frankreich schon mehrfach bewiesen haben, zu den wirksamsten Druckmitteln in Arbeitskämpfen, führen sie doch schnell zu Versorgungsengpässen und hohen Ausfallkosten.


Zelte, Polizeisperre am Campeingang - Fotos: © 2017 by Schattenblick Zelte, Polizeisperre am Campeingang - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Basiscamp bei Bedburg wird abgeschottet
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Sofern der nicht durch Stellvertreterpolitik und Alibipartizipation wirkungslos gemachte Kampf gegen die weitere Zerstörung der Natur und die Ausbeutung von Mensch und Tier überhaupt noch zu einem vertretbaren Preis hinsichtlich der dafür angedrohten und verhängten Strafen geführt werden kann, ist die Entwicklung zu kleinteiligen und hochflexiblen Strukturen des sozialökologischen Aktivismus naheliegend. Der Blick in die USA [2] oder ins Vereinigte Königreich, wo bei der strafrechtlichen Verfolgung radikalökologischen Widerstandes zu hohen Zeitstrafen gegriffen werden kann, läßt ahnen, daß die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen Form und Struktur organisierten Protestes maßgeblich beeinflussen können. Das gilt selbst für die Inhalte sozialen Widerstandes - sie zu korrumpieren und zu unterdrücken ist die Aufgabe einer Bewußtseinsindustrie, die sich sogar den Glauben an die Freiheit der Gedanken auf herrschaftsförmige Weise zunutze zu machen versteht.


Dampfwolken über den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Niederaußem - Foto: © 2017 by Schattenblick Dampfwolken über den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Niederaußem - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prähistorisches Wachstum aus der Erde gerissen, das schlafende Feuer zum heißen Brand erweckt, in die Wolken des Treibhauses Erde entlassen - energiereicher Wasserdampf, Kohlendioxid, Feinstaub, Schwefeldioxid, Stickoxide, Schwermetalle, radioaktive Elemente ...
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://www.zuckerimtank.net/?page_id=285#338

[2] BERICHT/115: Sozialökologische Bewegungen im Visier der Staatsgewalt (SB)
http://schattenblick.org/infopool/politik/report/prbe0115.html


13. September 2017


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