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SERIE/087: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 19.06.2008 bis 21.06.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

49. Teil - 19.06.2008 bis 21.06.2008


19.6.08

Wieder Streß. Als ich mittags Tee holen war, kamen ein paar Junkies vom C-Flügel und plauschten gemütlich mit ihren "Kolleginnen" vom D-Flügel. Eine Beamtin kam vorbei, sprach sie darauf an, daß sie doch nicht im D-Flügel sein dürften. Ein bißchen "Hi,hi", "Ha,ha". Die Beamtin blieb stehen, plauderte ein bisschen und dann gingen alle gemächlich und gemeinsam zurück in den C-Flügel. Ich starrte ihnen erstaunt nach, als eine "unserer" Beamtinnen mir sagte, ich soll zurück auf die D I gehen. Ich sprach sie auf die Begebenheit an. "Die kommen bestimmt aus der Krankenabteilung". Nein, kamen sie nicht. Dann mischte sich noch eine andere Beamtin ein, sagte etwas in der Art, ich würde auf die D I gehören, dort herrschen andere Regeln. Ich drehte mich einfach um, winkte ihr kurz zu "Adios!". Sie reagierte gekränkt, lief mir bis ins Treppenhaus hinterher, ich hätte ihr abfällig zugewinkt. Abfällig? So könnte ich nicht mit ihr reden, sie bäte sich Respekt aus. Ich schaute sie an, nickte leicht "Jawohl" und ging dann weiter. Neue Anzeige oder Nicht-Anzeige, das ist hier die Frage.

Heute vormittag Hundegekläff und -gejaule auf dem C-Flügel. Die Bullen mit ihren Kötern. Hoffentlich kommen sie nicht zu uns.

Fußball-EM. Abends Deutschland - Portugal 3:2. Leider. Gehämmer gegen die Türen und Gekreische, zum Glück aber nur kurz. Aus dem Lautsprecher kommt eine Durchsage, dass das Ergebnis ja ganz erfreulich wäre, aber "wir" uns noch Energie für Halbfinale oder Endspiel aufsparen sollten. Noch während die Sprechanlage auf Betrieb geschaltet ist, schreie ich laut hinein: "Scheiß-Deutschland!".


20.6.08

Heute morgen steht die Beamtin, mit der ich gestern Zoff hatte, bei der Kaffeeausgabe, mit einem schwarz-rot-goldenen Hut auf dem Kopf. Beim Vorbeigehen rief ich laut "Scheiß-Deutschland", später als ich im Büro mein Medikament holte, saß sie am Computer. Wenn Blicke töten könnten ...

Derweil saßen die anderen Beamtinnen am Tisch und schnüffelten unsere Post durch. Geiler Job. Ich werde immer ekliger und aggressiver, unter den gegebenen Umständen ist das wohl "normal", vielleicht sogar gewollt.

Auf dem Gang sind fast alle begeistert, daß "wir", d.h. Deutschland gestern gewonnen hat. Dieser Staat hält uns hier gewaltsam gefangen, sperrt uns wie Tiere hinter Gittern ein, will uns stumpf und dumm machen. Und sie schreien aus ihren Käfigen heraus: "Deutschland, Deutschland". Sie sind so, wie sie uns haben wollen: Marionetten nach erfolgreicher Gehirnwäsche, ohne Stolz und Widerstandsgeist. Mir selber ist mittlerweile alles egal, auch ob ich noch zwei, vier oder zehn Wochen "Freizeitsperre" sprich Isolation bekomme, wenn nicht sogar Schlimmeres passiert.

Gefangene S. sagte heute in der Küche zu mir, die Beamten würden sich von mir total gestört fühlen. Gut so, das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich würde aber mit meiner ganzen Art auch total provozieren. Sie sehen mich mit den Augen der Beamten. Gehirnwäsche erfolgreich abgeschlossen. Nachmittags bin ich von 14.00 - 15.30 Uhr "irrtümlich" aufgeschlossen worden. Glück gehabt! Als ich mit K. am Fenster stand, sagte sie "Hoffentlich bekomme ich keine Probleme, weil ich mit dir rede".

Abends experimentiere ich wieder ziemlich viel herum. Vorm Schlafengehen ist mir grottenschlecht, vielleicht lags aber auch an zuviel Schokolade.


21.6.08

Sommeranfang. Sonnabend. Heute morgen schließt die Beamtin auf, die sehr streng ausschaut, aber sehr nett ist.[*] Ein Wunder geschieht: Als ich die Medikamente bei ihr abhole, sagt sie freundlich "Was haben Sie denn schon wieder angestellt?" Ich erkläre kurz und sie sagt "Ich weiß schon. Mir tut das beinahe leid. Wenn Sie dasein müssen, sind Sie da." Sie schüttelt den Kopf. "Ich bin nicht oft hier, aber am Rande bekomme ich es schon mit." Ich habe mich bei ihr bedankt. "Wenigstens einer, der mich versteht, vielen Dank". "Ja, das tut schon gut", sagt sie und lächelt mir zu. Sommeranfang.

[*] Sie ist mir das erstemal aufgefallen als ich beim Hofgang mit A. Tischtennis spielte, sie zu uns kam, als die Stunde um war und fragte, wie lange unser Spiel noch dauert, sie wolle uns zu Ende spielen lassen. Das tat sie dann auch. Undenkbar bei den meisten ihrer Kolleginnen, auch wenn es sich nur um wenige Minuten handelt.

Um 16 Uhr ist heute Einschluß. 15.45 lässt mich die ältere Beamtin heraus, ob ich mir noch Tee holen will. Ja, gerne. "Aber kommen Sie sofort zurück. Nicht, daß ich noch Probleme bekomme". Meine Güte, was ist hier los?

In der Küche herrscht eine total gereizte Atmosphäre. Russin N. ruft mich, weil sie Wasser für mich aufgesetzt haben, das jetzt kocht. Ich sage, "Ich liebe Dich", sie "Ich Dich auch". Es klingt wie "Ich jage Dir gleich ein Messer in den Bauch". Zum "Glück" verwickelt sie sich gleich darauf in eine Streiterei mit Sa., dem "Halbmann", so daß ich aus der Schusslinie heraus bin und mich auch gleich wegschleiche.

Im Radio ein markiger deutscher Nato-General, der mit Inbrunst und alten Phrasen erklärt, warum unbedingt noch mehr Deutsche bei den Massenmördern der Nato in Afghanistan gebraucht werden. Allein gestern haben sie stolz die Ermordung von 50 Widerstandskämpfern bekannt gegeben. Da es "nur" Untermenschen der Taliban sind, regen sich wenige darüber auf. So wie damals, als es nur um Juden und Bolschewicken ging, die den Herrenmenschen im Weg standen.


[*] Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Hier endet das Tagebuch. Am Morgen des 22. Juni 2008 wurde Heide Luthardt erhängt in ihrer Zelle aufgefunden.


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2010