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SERIE/077: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 23.04.2008 bis 27.04.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

39. Teil - 23.04.2008 bis 27.04.2008


23.4.08

Heute früh wieder das fast schon übliche Ritual. Ich ging beim Medikamente holen 3 Treppenstufen aufwärts, Beamtin K. kam mir entgegen. "Sie können gleich wieder Arrest haben", ich entgegnete "Ich arbeite daran". Es wird langsam schon langweilig. Mittags war ich bei Sozialarbeiterin Fr.E. Sie fragte, wie ich heute zu meinen Taten stehe. "Heute genauso wie ich es bei der Verhandlung schon gesagt habe".[*] Es ging auch um mein Verhalten hier, um Arbeit und um das Thema der Demütigungs- und Erniedrigungszeremonie in der Kleiderkammer. "Ist für Sie nicht ein Mittelweg zwischen "in den Hintern kriechen" und "gegen alles opponieren" gangbar?" "Das kommt auf die Situation an".

[*] Auch sie sprach, wie schon der Psychologe von Führungsaufsicht auch nach Verbüßung der Gesamtstrafe. Auch die Ausgangsablehnung wegen Fluchtgefahr kam zur Sprache, wobei ich schon verstehen kann, daß sie Angst davor haben, daß ich nicht vom Ausgang zurückkomme.

Dann habe ich Mutti angerufen, die Sozialarbeiterin war so nett und ging sogar kurz aus dem Raum. Sie, Mutti, klang alt und matt, es war nicht die junge Stimme, die sie noch vor kurzem hatte. Aber sie hat sich gefreut, meine Stimme zu hören. Ich mache mir große Sorgen um sie, hoffentlich berappelt sie sich wieder. Nachmittags war die Geburtstagsfeier von N., der Russin. Sie hat sich unwahrscheinlich Mühe gegeben, warmes Essen, Salate und 2 Kuchen gemacht - russische Gastfreundschaft und Großzügigkeit war zu spüren. Es war ein nettes, lustiges Zusammensein, der halbfertig operierte Sa., der übrigens Rumäne ist, war auch dabei, hat die Mädels kräftig angebaggert und sich in der Rolle des Hahns im Korb sichtlich wohl gefühlt.


24.4.08

15.00 Uhr. Gerade kam Beamtin M. mit meinem Antrag auf Verlegung von der D I weg. Herr Z. persönlich schrieb: "Bei der derzeitigen Haftsituation ist eine Verlegung nicht vorgesehen, die von der Gefangenen angegebenen Gründe (Bunkeratmosphäre) sind nicht relevant. Abgelehnt." Natürlich. Ich konnte gerade noch zur Beamtin sagen, daß es Leute gibt, die verlegt werden, nur weil sie irgendwo Bekannte haben, in deren Nähe sie gerne wollen. Achselzucken.


25.4.08

Heute hatte Mn. Geburtstag, ihren 25sten. Sie ist hier, weil sie ihren Ex-Freund zu einem Überfall, von dessen Planung sie wußte, gefahren hat - 3 Jahre Monate. Sie war nicht in U-Haft und ist freiwillig ins Gefängnis gegangen. Ich habe heute ein Stück von ihrem Geburtstagskuchen bekommen, den die Schneiderei ihr geschenkt hatte. Eine Kirschrolle mit reichlich Alkohol darin. Als das hier auf dem Flur bekannt wurde, brach unter den Mitarbeiterinnen der Schneiderei leichte Panik aus. Niemand hätte das erfahren dürfen.

Nachmittags kamen für mich völlig unerwartet P.V. und Ca. zu Besuch. Es war einfach nur schön. M.V. ist gerade zu einem Italienisch-Kurs in Florenz.

Als wir heute eingeschlossen wurden stand ich natürlich nicht schon im vorauseilenden Gehorsam vor "meiner" Zelle. Beamtin M.: "Bald werde ich richtig sauer". Ich: "Wir sind doch hier nicht bei der Bundeswehr". Sie: "Nein, aber woanders".


26.4.08

Heute war - ausnahmsweise am Samstag - evangelischer Gottesdienst, wegen des jüdischen Passah-Festes. Ich habe wenig davon mitbekommen, habe mich so gut es ging mit Da. unterhalten. Auch C. habe ich gesehen, wie gerne würde ich wieder einmal mit ihr reden. E. sagte auch, sie würde sich gern einmal mit mir unterhalten, aber wir dürfen nicht -. Da. erzählte mir, das eine Frau vom Putzkommando im Büro von Herrn Z. Packungen mit Beruhigungs(Nerven)Tee gefunden hat. Grinsend flüsterte sie mir zu "Herr Z. trinkt Beruhigungstee".

Die alte Rollwägelchen-Frau dreht zur Zeit wieder total am Rad, schreit herum, streitet sich mit den Beamten und drückt ständig den Notruf. Sie sollte und will ja auch in ein Heim. Warum quält man die alte Frau so? Würde man sie fragen: Alle tun nur ihre Pflicht und alles ist streng legal. Natürlich!


27.4.08

Ich halte das hier nicht mehr aus. Heute ging A. über mir auf dem Flur entlang, kam dann an, grüßte und als ich sie fragte, ob es dort oben nicht besser ist, sagte sie, "Ein bisschen schon". Ein bisschen. Dann meinte sie, "Vielleicht wirst du irgendwann ja auch mal verlegt". Ich weiß nicht, wie sie es meinte, nett oder grausam? Ich hab mich dann in meine Zelle zurückgezogen. Später sah ich sie in der Sonne am großen Fenster stehen.[*1] Mn. hat mir stundenlang von ihrer Wäsche erzählt. Mein Gott hat sie keine anderen Sorgen? Sie ist ein Kind, naja 25 Jahre.[*2] Ich war total unwirsch zu ihr, habe mich zum Glück aber entschuldigt.

[*1] Ich bin neidisch auf sie und fühle mich als Verlierer, weil ich keine Chance habe, von der D I wegzukommen, Hr. Z. hat es mir ja schriftlich gegeben.

[*2] Sie schwärmt davon, wie gut sie es bei ihrer Arbeitsbeamtin Fr. J. in der Wäscherei hat. Stimmt, sie behandelt "ihre" Frauen gut und mag sie vielleicht sogar. Sie mag sie in einer Weise wie die Tierpfleger im Zoo ihre Tiere mögen. Sie bringen ihnen Leckerchen mit, reden mit ihnen und tun viel, damit sie sich wohlfühlen. Aber niemals würden sie sie freilassen - selbst wenn es ein Umfeld wäre, in dem die Tiere leben könnten. Stets achten sie darauf, daß alle Riegel zu sind. Nichts anderes ist Beamtin J. Nunja, es gibt Tiere, die sich gut in Gefangenschaft halten lassen, andere nicht. Auch sonst fühlt sich Mn. im Sicherheitstrakt wohl, sie kann hier waschen, putzen, kochen und ist froh, daß sie "behütet" wird. Ich finde sie ganz nett, aber auch sie ist eine Sklavenseele.

Nach dem Einschluß wieder Experimente mit Plastiktüte und Strumpfhose. Warum werde ich nicht endlich einmal ohnmächtig, dann wäre es geschafft.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2010