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SERIE/060: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 25.12.2007 bis 31.12.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

22. Teil - 25.12.2007 bis 31.12.2007


25.12.07

Gestern war Heiligabend. Meine "Kolleginnen" haben sich zusammengesetzt und den Kuchen und die Plätzchen vertilgt, den sie seit Tagen von morgens bis abends gebacken haben. Ich hatte schon im Vorfeld genug, ich mache nicht mit und habe mich auch nicht dazugesetzt. Ich war mein ganzes Leben lang Außenseiter früher unfreiwillig, jetzt ganz bewußt. Wie oft wurde mir gesagt: "Du bist sowieso anders als wir." Stimmt. Heute sage ich: Gott sei Dank. Gestern war ich im evangelischen Gottesdienst und es war schrecklich. Laut und unruhig. Frauen verschiedener Nationalitäten trugen in ihren Sprachen eine kurze Weihnachtsbotschaft vor, u.a. in Englisch, Spanisch, Russisch, Rumänisch, Holländisch. Jedesmal gab es ein Gejohle und Gepfeife wie bei einem Popkonzert. Bin ich kleinkariert, wenn mich das stört? Heute war ich im Katholischen Gottesdienst, der ruhiger und feierlicher ablief. Auch dort wurde der Chor beklatscht, aber anders und ich fühlte mich deutlich wohler.


28.12.07

Wenigstens Weihnachten ist vorbei. Gott sei Dank! Wir können ab Januar nur noch alle 2 Wochen zum Arzt gehen, sonst ging es wöchentlich. Grund: zuwenig Personal. Der Zahnarzt kommt zweimal wöchentlich - halbtags. Und das für mehr als 500 Frauen. Prophylaxe, die "draußen" schon im Kindergarten propagiert wird, ist nicht.

Es gibt Stress wegen der Federballspielerei. N. meinte, der Super-Federball würde ihr gehören und wolle unbedingt, dass ich mit ihr spiele. Ich sagte, ich spiele immer mit A. und kann sie jetzt nicht einfach stehenlassen, worauf N. droht, ihren Ball nicht mehr herzugeben. Im Hof hatte A. dann weniger Hemmungen als ich und spielte sofort mit N. So kam es, dass ich blöd daneben stand. Gestern ging N. nach einer halben Stunde Spiel mit A. wieder rein, ich hatte keine Lust, Lückenbüsser zu spielen, und spielte nicht mehr, sondern ging nur im Hof herum. Als wir zurückgingen, sah ich, dass A. die Schläger und den Ball im Hof liegengelassen hatte. Heute klopfe N. an meine Tür und fragte nach Schlägern und Ball. Ich verwies sie an A., die aber heute für ein paar Tage auf der Krankenstation ist. Als wir in den Hof gingen, waren die Sachen nicht mehr da, irgend eine andere Abteilung muß sie mitgenommen haben. Schöner Mist, vor allem weil ich das Gefühl habe, sie könnten denken, ich habe das Zeug versteckt, weil sie ohne mich gespielt haben.

Ich halte es hier nicht noch 20 Monate aus, mindestens, wenn ich das Drittel nicht auf Bewährung bekomme (was bei meiner Oppositionshaltung denkbar drin ist) wären es sogar noch 2 Jahre und 11 Monate. Niemals, habe wieder ein starkes Verlangen danach, endlich Schluss zu machen.

Nachmittags waren M.V. und Ca. hier, es war sehr schön, sie zu sehen. Sie durften nur eine halbe Stunde bleiben, weil so viel Andrang war. Mist, so verfällt jetzt schon wieder eine Stunde von meiner Besuchszeit.


29.12.07

Mit den Federballschlägern und dem Ball hat es sich geklärt, A. hat selber gesagt, dass sie sie nicht mit zurückgenommen hat. Irgendjemand vom C-Flügel muss alles an sich genommen haben, Frechheit!


31.12.07

Silvester! Heute war "Narrenfreiheit" angeordnet. Superlaut Musik, Geschrei, Gepfeife auf dem Flur und keine Möglichkeit, dem zu entgehen. Habe mir Ohropax in die Ohren gestopft und war heilfroh, als um 18.00 Uhr Einschluß war. Alle hatten wieder gefeiert, ich habe, wie schon Weihnachten, frühzeitig gesagt, dass ich nicht mitmache. Habe die Schnauze gestrichen voll und will nur noch weg, egal auf welchem Weg.

Habe einen traurigen Brief von Mutti bekommen. Sie sieht meine Selbstzerstörung. Sie hat recht. Lieber sterbe ich hier, als mich zu unterwerfen.


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2010