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SERIE/054: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 12.10.2007 bis 24.10.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

16. Teil - 12.10.2007 bis 24.10.2007


12.10.07

Habe heute einen Antrag an die Vollzugs-Geschäftsstelle hier geschrieben, daß ich schnellstmöglich nach Aichach will. Ob das richtig war, wird sich zeigen, wenn ich dort bin. Andererseits, irgendwann demnächst muß ich ja doch hin. Ich habe nur total Angst davor, daß ich keine Einzelzelle bekomme!

Heute wurde - natürlich - der Bundeswehr-Einsatz, im Klartext die deutsche Unterstützung an der kolonialistischen Besetzung Afghanistans, einschließlich des Nato-Terrors um 1 Jahr verlängert. Die Massenmedien überschlagen sich, um dies der Bevölkerung als unvermeidlich und human zu verkaufen. Nun ja, es wäre auch das erste Mal, daß das neue "Großdeutschland" "Nein" zu einem Kriegseinsatz sagt. Eine Tragödie!


13.10.07

Mir geht momentan alles auf den Geist, sogar Mo. und An., mit denen ich normalerweise gut auskomme. Nur in C.'s Anwesenheit fühle ich mich wohl. Morgen gehe ich zum Umschluß zu Mn. und Co., ich muß andere Gesichter sehen.


15.10.07

Heute kam eine Beamtin und sagte mir, daß die Revisionsfrist meines Urteils bis 2.11. geht, d.h. wenn die Revision nicht zurückgenommen würde, würde ich wohl erst am 9.11. nach Aichach gehen. Falls sie zurückgenommen wird, werde ich sofort nach Aichach geschickt. Mal sehen, wie Hr. F. jetzt reagiert, vorige Woche hatte ich ihm ja einen Brief geschrieben. Ich fühle mich, als wenn schon ein Teil von mir tot wäre, mein Kopf ist dumpf und ich bin total traurig. Haben sie ihr Ziel jetzt erreicht, nach ca. 8 Monaten? Heute mittag hatte ich das Gefühl, ich werde krank, es war ganz merkwürdig. Nachmittags war Atemgruppe, wir haben Stimmübungen gemacht, A, E, I, U und diese Vokale lange in uns vibrieren lassen. Es war sehr interessant. A = Schutzzelt, E = Ausdehnung und Kommunikation, auch Kontakt mit Ahnen, I = Wachsen nach oben, aber auch nach unten, U = der Brunnen in der Tiefe. Das O nahmen wir nicht, ich fragte aber, was es bedeutet: der Ring des Saturn, d.h. die Geschloßenheit.


16.10.07

Habe heute mit Fr. T. gesprochen, auch mit Fr. S. Sie gehen gemeinsam mit Hrn. F., der Beschwerde wegen Untätigkeit erhebt, massiv gegen das Sozialamt vor, wegen der 7-monatigen Untätigkeit des Hrn. B. Auch Mutti und H. haben ihre Hilfe angeboten und M.V. kümmert sich auch noch. Nach dem ich mich eine ganze Weile von der ganzen Welt verlassen und verarscht gefühlt habe, merke ich jetzt, wie viele Leute mir helfen. Auch Schwester M. hat noch einmal gesagt, daß sie sich in der Krankenstation für eine Einzelzelle in Aichach für mich einsetzen. Auch C. und Mo. haben jetzt Gerichtstermine bekommen, C. um den 20. November, Mo. im Dezember. Wenigstens geht es jetzt endlich voran.


17.10.07

Heute kam der Bescheid vom Oberlandesgericht, bei dem Herr F. ja Haftbeschwerde eingelegt hatte. Wie erwartet haben sie dieser wegen Fluchtgefahr nicht stattgegeben. Damit hatte ich gerechnet, geschockt hat mich nur der Satz in der Begründung, dass überhaupt noch nicht absehbar wäre, ob das letzte Drittel der Strafe überhaupt zur Bewährung ausgesetzt wird. Davon war ich 100%ig ausgegangen. Sie schaffen es immer wieder, einem einen Tritt und Schock zu versetzen. Hoffentlich meldet sich Hr. F. bald. Ich will jetzt nach Aichach, wenigstens einen Versuch ist es wert.

Heute kam K. wieder zu mir, es ging um ihre Streitereien mit M. Ich habe ihr gesagt, dass ich da nicht mit hineingezogen werden will. Ich finde beide ganz nett, aber ihre Differenzen sollen sie unter sich ausmachen. Ich hoffe, jetzt ist Ruhe!


19.10.07

Habe gestern im StGB nachgeschaut, wegen der Drittel-Straferlaß-Bestimmung. Hr. F. sagte, die Halbstrafe könnten sie mir geben, die Drittelstrafe müßten sie mir geben. Von wegen, § 57 Abs. 1 sagt, wenn 2/3 der Strafe verbüßt sind und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gewährleistet ist, kann das letzte Drittel der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Gefangene "Wohlverhalten" gezeigt hat, also sich "eingefügt" hat, brav war, gearbeitet hat usw., mit anderen Worten, wenn er zu Kreuze gekrochen ist. Also wieder einmal ist man von reinen Willkürentscheidungen deutscher Beamter abhängig.

Heute habe ich auch einen Brief vom Sozialreferat bekommen. Herr B. hat - wie ich ja schon von Fr. S. wußte - meinen Antrag auf Mietfortzahlung während der Untersuchungshaft, der am 18.3.07 gestellt wurde, am 5.10.07 abgelehnt - nach 7 Monaten Bearbeitungszeit! Ich habe ihm einen ziemlich sarkastischen Brief zurückgeschrieben.

Ich mochte dieses Land noch nie, mittlerweile hasse ich es abgrundtief. Nicht alle und alles natürlich, aber das System und die Masse der Schafe, die nicht aufbegehren. Wie heißt es so schön: "Die dümmsten Kälber wählen ihre Schlachter selber". Passt, die Schlachter 'expandieren' mittlerweile auch gerne wieder ins Ausland, z.B. in den Kosovo, nach Afghanistan usw., wo dann ganz reales Blut fließen darf, von fremden Kälbern, die diese Schlachter nicht gewählt haben.


24.10.07

Heute vormittag war Hr. F. da und wir haben eine gute Stunde geredet. Wie immer war die Unterhaltung mit ihm ein Genuß. Er zieht heute die Revision zurück, was bedeutet, daß ich spätestens nächsten Freitag nach Aichach käme. Obwohl ich es will, einfach weil ich das ständige Eingesperrtsein hier nicht mehr aushalte, habe ich schreckliche Angst. Erstens, daß ich trotz Arztattest keine Einzelzelle bekomme, zweitens vor der Aufnahme mit Ausziehen usw., drittens vor diesen ganzen asozialen Lesben dort und viertens, dass ich im schlimmsten Falle über 2 Jahre dort verbringen müsste. Naja, Schluß machen kann ich dort immer noch, wenigstens war es ein Versuch und lieber dort als in Neudeck. H. F. ist toll und kümmert sich um alles. Wie soll ich ihm das je danken? Morgen trifft er sich mit M.V. und gibt ihr meinen Wohnungsschlüssel. Auch kümmert er sich um mein Bankkonto (z. Zt. mit 700 Euro im Minus), das Mietkostenübernahme-Drama mit dem Sozialamt und Hrn. B., den Untermietvertrag meiner Wohnung, die Anträge auf Halb- und Drittelstraferlass und netterweise hat er mir auch versprochen, tätig zu werden, falls sie mir dort keine Einzelzelle geben. Ich brauche ihn dann nur anschreiben und er kümmert sich darum. Mit diesem Anwalt, der übrigens ein Halb?-Italiener ist, habe ich wirklich das große Los gezogen. Vielleicht ist es ja die Hilfe und Belohnung nicht für die Form meiner "Taten", aber für den Inhalt, von dem ich nach wie vor überzeugt bin und zu dem ich auch stehe. Wie auch immer, danke Herr F.!!! Nachmittags war M.V. da, diesmal allein, weil P. bis Ende Oktober in Palästina ist. Sie kümmern sich um die Wohnung (Nachmieter, Auslagerung) und auch hier weiß ich nicht, wie ich ihnen danken soll.


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2010