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SERIE/044: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 02.06.2007 bis 20.06.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

6. Teil - 02.06.2007 bis 20.06.2007


2.6.07

Der 100. Tag meiner Gefangenschaft.


3.6.07

Zum Glück ist das Wetter deutlich wärmer geworden und die Friererei hat ein Ende. Heute mussten O. + ich unser tägliches Federballspiel abbrechen, weil es mit den kaputten Schlägern und einem Ball ohne Gummiteil einfach nicht ging. Ich müsste dringend zum Friseur, aber A. darf zur Zeit wegen psychischer Probleme nicht als Friseuse arbeiten und eine Alternative gibt es nicht. Super, ein Gefängnis mit ca. 70 Frauen und keine Möglichkeit, sich die Haare schneiden zu lassen. Hier in Neudeck ist man wirklich der letzte Dreck.


4.6.

Heute wurde meine Zelle wieder mal durchsucht, diesmal von Fr. S. Vielleicht war A. auch dabei, sie hat mich hinterher um Schokolade angeschnorrt. Eine Tafel habe ich ihr gegeben, kann man ja auch mal machen. Mehr gibts aber nicht. Natürlich wurde ich von Fr. S. wieder gemassregelt: 2 T-Shirts zuviel im Schrank und Essen in der Fensterbank aufgehoben. Die Poesie-Gruppe beim Pfarrer war heute schön, weil endlich mal ziemlich ernsthaft geredet wurde. Habe heute einen Brief von einem B. M. bekommen, ein Bekannter von M. und P., Mit-Gründer von Attac München. Er hat sehr nett geschrieben, dass sich immer wieder Menschen treffen, die aus ähnlichen Impulsen heraus leben und mir Mut gemacht.


7.6.

Heute ist Frohnleichnam und herrliches Wetter. Gott sei Dank erst einmal der letzte einer ganzen Reihe von Feiertagen, der nächste ist dann erst wieder Mitte August. Gestern habe ich einen Brief an Mutti geschrieben und lange vor dem Papier gesessen, weil mir nichts Neues eingefallen ist, das ich schreiben könnte. Hier passiert ja auch nichts, jeden Tag das Gleiche und das hat mich wirklich sehr erschreckt. Das ist es, was ich mit "stumpf und blöde machen der Leute hier drin" meine. Nachts habe ich erst von A., dann von S. geträumt. Ich war aus dem Gefängnis entlassen und saß mit S. zusammen. Es war total realistisch. Bis ich dann aufgewacht bin ... Heute ist im Hof wieder das Geplärre von der Kampflesbe zu hören. Sie sitzt zwischendurch immer wieder im Arrest oder Bunker, ist aber derartig dumm und dickfellig, dass es ihr offenbar überhaupt nichts ausmacht. Keine gute Nachbarschaft.


8.6.

Widerliche Intrigen laufen hier. Einige aus der Gruppe um die Kampflesbe wollten offenbar einer Beamtin eins auswischen und ihr sexuelle Belästigung von Gefangenen unterstellen. Allerunterste Schublade und einfach nur ekelhaft. Das Ganze ist irgendwie aufgeflogen und nun zerfleischen sie sich gegenseitig. Der totale Zickenkrieg. Ich mache einen riesengroßen Bogen darum. Es ist so schon schlimm genug hier. Heute war es sehr warm, jetzt donnert es ein bißchen. Mal sehen, ob ein richtiges Gewitter draus wird.


12.6.

Nichts passiert, überhaupt nichts. Ich schlafe nachts extrem schlecht, vielleicht auch deshalb, weil ich tagsüber relativ viel - echten - Kaffee trinke. Klar, das ist mein Körper nicht mehr gewöhnt. Extreme Probleme mit dem Knie habe ich auch wieder, wahrscheinlich vom Federballspielen. Mist, da hat man mal was, was einem ein bißchen Spaß macht... Habe mich für morgen zur Schwester angemeldet, vielleicht bekomme ich wenigstens ein bißchen Voltaren-Gel oder so. Gestern ist der Konto-Auszug gekommen, keine Überweisung in den letzten 4 Wochen, musste für den Einkauf am Donnerstag einiges wieder streichen, habe nicht mehr genug auf dem Konto. Aber egal. Sowieso, wenn ich an die Zukunft denke, steigt die blanke Panik in mir auf. Ich darf nie wieder legal Geld haben, Job sowieso weg und ab September auch die Wohnung. Sinnlos. Gestern war wieder Poesie-Gruppe. Es war wie im Kindergarten, eigentlich wie immer. Heute in der Emaus-Gruppe wird es ähnlich sein. Ein Großteil der Leute hier kann sich keine 5 Min. auf irgendetwas konzentrieren, sofort Gekicher und Gequatsche. Entweder bin ich zu blöd oder zu intelligent, lt. Gutachten wohl zu intelligent, aber manchmal weiß ich nicht.


14.6.07

Gestern abend war ein starkes Gewitter mit kräftigen Hagelschauern, sehr romantisch - wenn man im trockenen sitzt. Bei Mi. war nachmittags eine junge Frau in die Zelle gekommen, die an ihrem Arbeitsplatz verhaftet wurde, weil sie eine Offenbarungseid-Erklärung nicht vollständig ausgefüllt hatte - Beugehaft. Sie hatte auch gleich bei der Verhaftung eine fristlose Kündigung vom Arbeitgeber bekommen und war völlig von der Rolle und in Tränen aufgelöst. Nachts hat sie wohl ziemlichen Streß gemacht, dauernd an der Tür herumgefummelt und Mi. nicht schlafen lassen. Als wir heute Morgen zum Hofgang gingen und Mi. von der Nacht erzählte, sagte eine Beamtin, die zufällig dabeistand "Hätten Sie ihr halt ein paar gescheuert". Wie ein Scherz klang das nicht! Ich war wieder mal platt, auch noch nach 3 1/2 Monaten hier. Übrigens ist die Frau, die wirklich etwas seltsam war, heute mittag entlassen worden. Nachmittags war ich beim Arzt wegen meiner Blase, mit der ich in den letzten Tagen große Probleme hatte. Wir haben uns ganz nett unterhalten. Ich soll jetzt erst mal zum Gynäkologen (auch das noch), dann evtl. zum Urologen. Der Arzt meinte aber auch, die Probleme könnten von der Umstellung der Lebensweise und dem vielen Sitzen kommen. Seit gestern ist es wieder okay, wenn's so bleibt, kann ich die Untersuchungen ja noch absagen. Hoffentlich. Beim Basteln habe ich aus Ton einen ganz netten Hund geformt, den ich dann J. geschenkt habe. Sie ist die Freundin von der "Kampflesbe". Diese Clique mag ich nicht und mache einen großen Bogen um sie, aber das Mädchen hat sich gefreut und war so rührend ungeschickt, dass mein Herz sich für sie öffnete. Nach dem Einschluß war heute wieder ein fürchterlicher Lärmpegel im Hof: Geschrei, laut hysterisches Lachen, dröhnende Radiomusik. Irgendwann habe ich mir Ohropax in die Ohren gestopft, damit war's erträglich. Seit einer Woche habe ich jetzt weder Post noch irgendeine Art von Besuch bekommen und fühle mich von der Welt abgeschrieben und vergessen. Von der Anklageschrift, die ja lt. Herrn F. täglich kommen soll, ganz zu schweigen.


15.6.07

Wer sagt's denn, heute ist die Anklageschrift gekommen, ziemlich dick, aber egal, hauptsache, es geht endlich weiter. Tagsüber war heute herrliches Wetter, jetzt, ab ca. 18 Uhr wieder ein kräftiges Gewitter. So ist es angenehm. Heute gab es wieder eine Kostprobe von Ignoranz, Beschränktheit und Intoleranz: Niemand (außer mir) regt sich darüber auf, wenn stundenlang laute Radiomusik über den Hof schallt, Musik vom Band, Mainstream, Massengeschmack. Heute abend sang eine Afrikanerin (glaube ich jedenfalls) ein trauriges Lied, das relativ leise aus ihrer Zelle tönte. Ein Geplärre aus den anderen Zellen brach los: "Aufhören, Ruhe, das ist ja unerträglich". Was für ein Armutszeugnis stellen sich die Frauen hier selber aus!


19.6.

Nichts passiert, nur gestern ist von Mutti ein Brief gekommen. P. B. hat sie angerufen und will mir schreiben. Bin mal gespannt. Sie wird, ähnlich wie A. und S., wohl ziemlich geschockt sein. Naja, so erkennt man wahre Freunde. H. muss es mit seinem Schlaganfall ganz schön erwischt haben, aber immerhin, er arbeitet wieder 3 Stunden täglich und fährt wohl auch Auto. Mutti leidet wohl sehr. Mi., die Albanerin, die schon 3 Monate länger hier ist als ich und Asyl in D beantragt hat, weil ihre Kinder in Braunschweig leben, will sie mal besuchen. Hoffentlich klappt's. Heute ist wieder ein wunderschöner Sommertag. Die vermeintliche Afrikanerin, die immer singt, ist in Wirklichkeit eine etwas verwirrte Vietnamesin. Trotzdem, mir gefällt ihr Gesang gut, weil er authentisch ist. Die anderen regen sich immer noch total darüber auf. Mit O., die eine Fr. Dr. ist (polnisch oder russisch), spiele ich täglich Federball und obwohl 1 Schläger und der Ball ziemlich zerfetzt sind, funktioniert es einigermaßen. O. meint, sie geht heute in einer Woche. Schade, dann muss ich wieder stumpfsinnig im Hof rumlatschen. Außer Muttis Brief habe ich schon fast 2 Wochen keine Post mehr bekommen und fühle mich total vergessen und abgeschrieben. Ich hoffe sehr, dass Hr. F. diese Woche auftaucht. Wegen der Anklageschrift habe ich einige Fragen an ihn. Und natürlich hoffe ich auf einen Besuch von M. und/oder P. morgen. Das wäre schön. Heute nacht habe ich mal wieder von kriminellen Dingen und auch, in einem anderen Traum, von Neudeck geträumt. Der zweite Traum war denkbar schrecklich.


20.6.07

Heute vormittag war Fr. S. kurz da, es ging nochmal um die Wohnung und sie fragte, ob sie sich wegen einer ehrenamtlichen Arbeit im Frauenhaus für mich umhören soll. Das würde vor Gericht einen guten Eindruck machen und falls ich rauskäme ... Es gäbe da ein Café (nicht so mein Ding) oder eine Arbeitsvermittlung (das schon eher). Na, mal sehen. Dann sagte sie noch, es wäre ja ungewöhnlich, daß man in meinem Alter solche Dinge wie meine "Verbrechen" macht. Ich "Naja, manche wachen eben später auf". Darauf sie, "Das dürfen Sie aber vor Gericht nicht sagen!" Mal sehen, was ich sage. Jetzt ist Montags immer eine Atemgruppe, auch dafür hat sie mich eingetragen, weil das für den "Gerichtsstress" vorteilhaft ist. Erstens habe ich als Beruhigungsmittel Indien und insbesondere Amritsa im Kopf und außerdem ist mir momentan alles so egal ... Ich glaube, wenn morgen die Verhandlung wäre, würde ich heute nacht trotzdem schlafen wie ein Bär. Egal wie, hauptsache das hier hat endlich ein Ende! Nachmittags waren P. und M. da. Gott sei Dank, mal wieder mit netten, "normalen" Menschen reden, die meinem Herzen nahe stehen. M. meinte, sogar in meinen Englisch-Briefen würde man meine Schreibbegabung merken. Ich nehme es als Kompliment. Die beiden waren bis jetzt alle 14 Tage seit meiner Verhaftung da, sie beschämen mich immer wieder durch ihre Treue.


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2010