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SERIE/040: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 03.05.2007 bis 09.05.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

2. Teil - 03.05.2007 bis 09.05.2007


4.5.07

Heute hat H. Geburtstag, den ersten nach seinem Schlaganfall. Ich denke oft an ihn und unsere Australienreise. Heute habe ich zum Abendessen von N. eine Portion Spaghetti mit Thunfischsoße geschenkt bekommen. An die Kalorien darf ich gar nicht denken. Zu meinem Entsetzen habe ich festgestellt, dass mir außer meiner Krone rechts oben auch noch ein Stück vom Backenzahn links unten abgebrochen ist. Wahrscheinlich vom Herumbeissen auf dem teilweise uralten, betonharten Brot, dass wir hier bekommen. Jahrelang hatte ich kein Problem mit den Zähnen. Nur gut, dass ich Dienstag schon einen Zahnarzttermin in Stadelheim habe. In meiner Nachbarzelle sitzt jetzt T., eine von den vieren, die am 1. Mai hier die Drogen genommen haben und einen großen Polizeieinsatz ausgelöst haben. Sie muss 10 Tage in den berüchtigten Bunker. Nicht beneidenswert.


5.5.07

Leichter Regen. Herrlich! Hofgang um 8.30. Eine geht mit runter in den Hof im dünnen T-Shirt. Kurz nach 9 fängt sie an zu krähen, es regnet, sie will wieder rein. Wie ein Tier(e), (die) dass wieder in ihren Käfig wollen. Etliche andere, ich auch, wollen draußen bleiben, wir haben ein Recht auf 1 Std. Aufenthalt im Freien. Keine Chance. Als wir sagen, dann wollen wir wenigstens den Rest der Zeit auf dem Flur herumlaufen, sagt die Beamtin nur: "Das geht nicht." Fertig. Gerade an einem Sonnabend, an dem wir 22 ½ Stunden in die Zellen gesperrt werden, betrügen sie uns auch noch um die paar Minuten Auslauf. Nachmittags lese ich meine "junge Welt". Jetzt werden deutsche Soldaten auch in "Bodeneinsätzen" in Süd-Afghanistan beim Abschlachten afghanischer Widerstandskämpfer teilnehmen. Endlich, werden manche sagen und Herr Jung wird fast platzen vor Stolz über seine strammen Jungs (die KSK ist ja schon lange dabei), die in ihren schönen deutschen Uniformen für die Terror-Organisation Nato morden dürfen und für deren Rohstoffe und ihre wirtschaftlichen und militärischen Machtansprüche. "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen", es hat sich nichts geändert. Die (amerikanische) Verpackung ist ein bißchen geändert worden, der Inhalt ist das gleiche. Morast wie vor 70 Jahren. Und wieder schweigt die Masse der Deutschen oder klatscht Beifall. Selbst wenn ich "draußen" wäre, wie soll ich hier leben? No war.


6.5.07

Kühl, nachmittags gewittrig. Eine Wahnsinns-Fluktuation hier, urplötzlich sind Leute weg, meist entweder entlassen oder nach Aichach transportiert und Neue da. Mittlerweile gehöre ich schon zu den "Alten" hier. Heute wieder Probleme mit der Blase. Mist, ich dachte, ich hätte es überstanden, aber der Stress, das ständige Sitzen, die Alpträume und wer weiß, was noch fordern halt ihren Tribut. Ich halte das hier nicht mehr monatelang aus. Heute fragt mich S. beim Hofgang, wie's mir geht. Ich erzähle es ihr und sie sagt: "Du hast nur zwei Möglichkeiten, entweder hängst dich mit dem Bademantelgürtel auf (Kann sie Gedanken lesen oder denkt das jeder hier?) oder du musst es überstehen. Ich wünsche dir viel Kraft, woher auch immer." Ja, woher? Was erwartet mich? Noch Monate hier, dann wahrscheinlich mindestens 1 1/2 Jahre Aichach, dann keine Wohnung? Kein Geld! Lohnt sich das?! Den Kriegstreiberstaat Deutschland hasse ich. Trotzdem, eigentlich möchte ich wenigstens die Verhandlung noch erleben. Nun ja, der Gürtel ist ja da.


8.5.07

Heute nacht grauenvolle Alpträume gehabt, erst, dass mir alle Zähne ausfallen und dann von einem mörderischen Killerhund. Ich habe totale Panik und Todesangst gehabt. Früh um 7 dann zum Zahnarzt nach Stadelheim, er war sehr nett und hat mir meine Krone wieder befestigt und einen Backenzahn glattgeschliffen, von dem ein Stück abgebrochen war. Ich habe gemerkt, dass ich es gar nicht mehr gewöhnt bin, dass jemand normal und freundlich mit mir umgeht. Bei diesem Kasernenhofton in Neudeck, obwohl sie zu mir ja dort erstaunlich friedlich und vergleichsweise nett sind. In 11 Wochen ist meine Zelle 1x durchsucht worden, bei anderen mehrmals die Woche. Naja, mit Drogen hatte ich noch nie etwas zu tun, aber trotzdem. Auf dem Rücktransport von Stadelheim nach Neudeck mussten wir stundenlang in einer eiskalten Zelle warten. Danach wurden wieder Einkaufszettel und Kontoauszüge verteilt. Habe wieder kein Geld bekommen.

Ich verstehe das nicht, auch nicht, dass ich weder von Mutti noch von H. etwas höre. Habe ich die Familienehre so beschmutzt? Draußen regnet es kräftig und donnert ab und zu. Herrlich!


9.5.07

Heute nacht und fast den ganzen Tag über ziemlich starker Regen. Wie immer gingen um 9.45 Uhr etliche zum Hofgang hinunter, nach 10 Min. wollten sie wieder rauf. Ich machte keine Anstalten, ihnen zu folgen und zu meiner Verblüffung fragte die Beamtin, ob ich im Hof bleiben wolle.

Ich erwiderte, dass ich das sehr gern wolle und sie meinte, es sei kein Problem. So drehte ich fast 1 Stunde im strömenden Regen meine Runden und sie saß in ihrem Glaskasten. Ich habe mich hinterher bei ihr bedankt, es war wirklich nett. Nachmittags kamen wieder M. und P. Sie waren es, die mir auch noch das Radio geschenkt haben. Was für Menschen! Heute kam auch Post von V. Ein schönes Gefühl, wenn jemand an einen denkt, während man in diesem abgeschotteten Verließ sitzt.


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2010