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SERIE/039: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 29.04.2007 bis 03.05.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

1. Teil - 29.04.2007 bis 03.05.2007


29.4.07

Keine Wetteränderung. Zum Glück habe ich heute zum erstenmal seit langem keine Blasenprobleme. Ich hoffe, es bleibt so. Mich erschreckt manchmal, wie ich mich doch an die Verhältnisse hier und den Kommandoton gewöhnt habe. Ich will das nicht, es ist gefährlich.


30.4.07

Heute vormittag war Hr. H. da, ehemals Rechtsanwalt und Ehemann von M., die ich ja über MAPC kenne. Er war sehr nett, hat mich ausführlich zu meinen Taten befragt und seine Hilfe als Berater angeboten. In den nächsten Tagen will er mal mit Hrn. F. telefonieren. Damit der das nicht in den falschen Hals bekommt, habe ich ihm geschrieben, dass er mein alleiniger mit allen Kompetenzen ausgestatteter Verteidiger ist und es allein in seinem Ermessen liegt, ob er diese Hilfe annehmen will oder nicht. Danach hatte ich noch ein Gespräch mit Fr. S. vom Sozialdienst. Es ging neben vielem Gerede über Gefangene, Strafen, Justiz usw. um meine Wohnung. Sie wird sich weiter um die Mietfortzahlung kümmern. Alle bestätigen immer wieder, dass die Höhe meines Urteils nur davon abhängt, wie der Richter den Fall sieht. Auch 3 Englisch-Lehrbücher, die ich am 23.3. beim Anstaltsleiter bestellt hatte, sind mir heute ausgehändigt worden, bis zum 29.5. kann ich sie behalten. Nachmittags war Poesie-Gruppe und es war sehr interessant. Thema "Und vergib uns unsere Schuld". Der Pfarrer gefällt mir gut, er hat nichts dogmatisches und viel Humor. Beamtin S. hatte wieder oder immer noch eine katastrophale Laune, ich trau mich schon fast nicht mehr ins Büro. Habe gerüchteweise gehört, dass sie trinkt.


1.5.07

Wieder ein Feiertag, d.h. nur 1/2 Std. Aufschluß und ab 15.15 Uhr ganz weggesperrt. Natürlich auch wieder schönstes Wetter, der wärmste und trockenste April seit Menschengedenken. Habe heute mittag beim Hofgang ein bißchen Federball mit B. gespielt. Dafür, daß es ziemlich windig war, der Federball kein Gummi mehr hatte und vom Schläger diverse Saiten fehlten ging es eigentlich ganz gut und hat mir sehr viel Spaß gemacht.


2.5.

Wieder 136 Afghanische Bürger im Widerstand gegen die Besetzer ihres Landes und deren Marionetten in Kabul von der ehrenwerten Nato ermordet. Sie werden als "mutmaßliche Taliban" bezeichnet und schon kräht kein Hahn mehr danach - Schweigen im Walde. Wegen gleichzeitig ermordeten dutzenden Zivilisten fragt die UNO dann doch schon mal sanft an, ob die Gewalt vielleicht doch "unverhältnismäßig" war.

Heute wieder sonniges Wetter, aber beim Hofgang um 9.45 Uhr war es richtig kalt. Nachmittages war Fr. T. wieder da, leider gerade in der Zeit, in der beim Pfarrer Videostunde war und der Rest von "Einer flog übers Kuckucksnest" gezeigt wurde. (Den Anfang des Videos hatten wir vorige Woche gesehen). Schade, hätte es gern gesehen, weil vieles an die Situation hier erinnert. Trotzdem, das Gespräch mit Fr. T. war wohltuend. Sie erzählte, dass gestern auf der F1 vier Frauen mit Drogen erwischt wurden, die wohl durch Besucher hereingeschmuggelt wurden. Deshalb die Unruhe gestern, es hat wohl mächtig Ärger gegeben. Wir haben auch über einen Anwaltswechsel gesprochen, da Hr. F. ja weder auftaucht noch auf meinen Brief reagiert hat, leider. Wir haben vereinbart, dass ich mich bis zu unserem nächsten Treffen am 15. nach Adressen umschaue und sie mir gegebenenfalls auch ein paar Tips gibt. Sie besorgt mir auch einige Bücher - Englische u.a. Bücher. Es ist wirklich toll, dass solche Hilfen von der Kirche angeboten werden, ich leiste innerlich Abbitte und würdige das sehr. An meinem agnostischen Glauben ändert das allerdings nichts, aber ich habe Hochachtung vor all diesen Leuten, die außer den Sozialarbeiterinnen die einzigen sind, die uns helfen. Vom Staat kommt sonst garnichts. Ich habe dann von G. und E. 2 Adressen bekommen, beide schwärmen von ihren Anwälten. Scheint, als wenn ich ausgesprochenes Pech mit meinem Hrn. F. gehabt hab, aber noch hat er eine Chance.

Zur vorigen Seite: Beim Abendessen ein Schock, eine Krone aus meinem Gebiß ist herausgefallen, als ich auf dem harten Brot herumkaute. Muss mich gleich morgen zum Zahnarzt in Stadelheim anmelden, der nur Dienstags Sprechstunde hat. Toll, heute ist Mittwoch. Als ich von dem Einschluß auf dem Flur stehe, ruft mich Fr. S. und gibt mir die neue SZ von heute. Habe mich gefreut, das war wirklich nett von ihr.


3.5.07

Heute ist es endlich mal bedeckt und kühl. Herrlich! Mittags hatten wir Bastelstunde und haben Kartoffeldrucken auf Stoff gemacht. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Werk: schwarze Gitter auf weissem Stoff und in der Mitte ein fliegender blauer Vogel. Sieht gut aus, finde ich. Dann war Gott sei Dank Hr. F. da. Wir haben lange geredet, er hat alle Punkte aus meinem Brief bearbeitet und erklärt. Ich bin jetzt wieder beruhigt und weiss, dass mein Gefühl mich nicht getrogen hat und er der richtige Anwalt für mich ist. Er stellt einen Strafantrag gegen die Bild-Zeitung wegen der Großaufnahme von mir, mal sehen, was dabei herauskommt. Als ich ihm vorschlage, dass ich ja vor Gericht nichts sagen muss und ihm das Reden überlassen könne, meinte er: "Auf keinen Fall. Sie haben die Polizisten überzeugt, sie haben den Gutachter überzeugt, sie müssen reden." Unter 4 oder 6 Augen hab ich auch keine Probleme, aber in einem Gerichtssaal? Hoffentlich habe ich dann keinen Blackout. Kein gutes Gefühl, wenn ich daran denke. Naja, es ist ja noch ein Weilchen hin. Er meinte auch, das meine Chancen, eine Bewährungsstrafe zu bekommen bei ca. 30% liegen. Besser als nichts. Dann noch eine große Freude für mich: "Ich soll Sie von Herrn K. grüßen." Vielen Dank!


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2010