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SERIE/026: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 24. Brief - Neudeck 15


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 24. Brief

1.6.08

Neudeck 15


Sieben Wochen sitze ich jetzt schon in U-Haft in Neudeck. Wochenlang habe ich nichts mehr von meinem Anwalt gehört, immer wieder versprach er zu kommen, tat es aber nicht. Jetzt erhalte ich endlich wieder ein Lebenszeichen von ihm - einen Brief, in dem steht, daß seit kurzem ein neuer Staatsanwalt für mich zuständig ist und daß er in den nächsten Tagen zu mir kommen will. Ich hoffe diesmal ist es mehr als nur eine Ankündigung, denn ich habe viel mit ihm zu besprechen, auch wegen meiner Wohnung. Seit 7 Wochen hat niemand mehr einen Fuß hineingesetzt, der Kühlschrank war voll, meine Zimmerpflanzen sind wahrscheinlich längst tot. Zur Zeit träume ich ständig von wilden Polizeiaktionen und meiner Verhaftung, wache dann klatschnass auf und liege hellwach bis zum Morgen da. Tagsüber bin ich todmüde. Ich denke viel an meine letzten Tage in Freiheit, in denen ich genau gespürt, ja gewusst habe, daß etwas passieren wird. Unglaublich, wie glasklar es in der Luft lag. Am letzten Abend bin ich mit der S-Bahn ein Stück aus München herausgefahren und bei Mondschein und sternenklarem Himmel durch den gar nicht so dunklen nächtlichen Wald bis zum nächsten S-Bahnhof gelaufen. Kurz davor habe ich noch einmal das Bild weiter Felder unter dem sternenübersäten Himmel in mich eingesaugt. Seltsam, ich wusste, daß ich mich von der Freiheit verabschieden muss und habe es auch getan. Ein würdiger Abschluß. Jetzt, hier im Verlies Neudeck merke ich, daß ich auf meinen langen Wanderungen, Schiffsfahrten und Reisen in den letzten Jahren ebenso wie den Sternenhimmel an jenem Abend auch Licht, Wärme und Weite tief in mir gespeichert habe und sogar hier in meiner Zelle abrufen kann. Gibt es einen Sinn hinter all dem? Zufällig bekomme ich eine "Bild"-Zeitung in die Hände, blättere sie durch und stoße wieder einmal auf eine ganzseitige Hassseite, gerichtet gegen den Iran, ähnliches stand vor ein paar Tagen, nur subtiler, seriöser und intellektueller verpackt auch in der "Süddeutschen". Heute ist Sonntag, Traumwetter draußen. Wir dürfen nachmittags eine Stunde fernsehen - unter Aufsicht und nur das von der Gefängnisleitung vorgeschriebene Programm, zur Zeit SAT 1, in dem irgendwelche Daily Soap-Serien laufen. Umschalten ist verboten. Ich empfinde dieses Angebot als Teil eines systematischen Verblödungsprogrammes, das wir hier durchlaufen. Die Alternative ist, statt 21 ½ Std. 22 ½ in der Zelle zu sitzen, die Wahl zwischen Pest und Cholera. Am nächsten Tag fällt mir beim Hofgang eine junge Frau auf, klein und zierlich, die Runde um Runde im Hof joggt. Sie ist neu hier und als wir ins Gespräch kommen, erklärt sie, daß sie Amateur-Jockey ist und in München-Riem Rennen reitet. Auch ich hatte früher Pferde, bin viel geritten und habe an ein paar kleinen Turnieren teilgenommen - so haben wir viel Gesprächsstoff, endlich einmal ein anderes Thema als immer nur Drogen, Rechtsanwälte und Verhandlungen. S. hat Glück im Unglück, sie muss nur für ein paar Wochen hierbleiben, weil sie die Geldstrafe für einen Ladendiebstahl nicht bezahlen kann. Der Wetterbericht sagt eine Verschlechterung für die kommenden Tage an. Mich freut's, um in der Zelle zu hocken kann das Wetter gar nicht schlecht genug sein. Erneut habe ich einen Antrag auf Arbeit abgegeben, ich weiß nicht mehr, der wievielte es jetzt ist. Noch nie habe ich eine Rückmeldung bekommen - vielleicht ist es die Rache dafür, ganz am Anfang meines Aufenthalts hier ein Angebot abgelehnt zu haben. Offenbar habe ich die maßgeblichen Damen damit brüskiert, ohne es zu wollen. Endlich kommt mein Anwalt, für gerade einmal zwanzig Minuten. Viel zu kurz um alle Fragen, die mich beschäftigen, mit ihm zu besprechen. Wenigstens bringt er die erfreuliche Nachricht mit, daß der Gutachter mir eine hohe Intelligenz bescheinigt, mich für voll zurechnungsfähig und nicht gefährlich erklärt hat. Gott sei Dank, jetzt können sie mich wenigstens nicht mehr als debile Idiotin, die reif für die Klapsmühle ist, hinstellen. Dafür liegen meine Nerven momentan ziemlich blank, weil auf Grund des schönen Wetters fast alle Zellenfenster zum Innenhof bis in den späten Abend weit offen stehen und es unwahrscheinlich laut ist - Schreien, Pfeifen, manchmal auch nur unartikuliertes Gebrüll. All das ist eigentlich verboten, gemacht wird es trotzdem. Ich habe mir Ohropax besorgt, stopfe es in die Ohren und das Ganze wird deutlich gedämpft. Sehr angenehm. In der wöchentlich stattfindenden Poesie-Gruppe beim katholischen Pfarrer sollen wir aufschreiben oder malen, was wir Neues für uns sehen. Immer die Gleichen sitzen stumm da und machen gar nichts, einige blödeln herum, der Rest bemüht sich um das Thema. Ich zeichne in Anbetracht meiner bevorstehenden Verhandlung eine Guillotine, deren Fallbeil an einem seidenen Faden befestigt über meinem Kopf schwebt.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2008