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SERIE/011: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 9. Brief - Neudeck 1


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 9. Brief

17.2.08

Neudeck I


Nachdem ich ein paar Tage hier bin, gewöhne ich mich langsam an den Alltag in Neudeck. In "meiner" Abteilung sind die Leute, die arbeiten, untergebracht, die meisten tun es freiwillig - für 55 Cent in der Stunde. Untersuchungsgefangene sind, im Gegensatz zu Strafgefangenen, die 1,30 Euro stündlich verdienen, nicht verpflichtet, zu arbeiten. Trotzdem drängen sich viele hier danach: Um überhaupt etwas Geld zu haben, um öfter aus der Zelle heraus zu kommen und um die anderen Vergünstigungen zu erhalten, die ihnen gegenüber den sog. "Untätigen" gewährt werden: Öfterer Aufschluss der Zellen, Fernsehen am Wochenende und tägliches Duschen ohne Schlangestehen gehören zu dem ausgeklügelten Belohnungssystem für Leute, die kooperativ sind und gewünschte Verhaltensweisen zeigen. Die Frauen können in der Küche arbeiten oder als "Hausmädchen", die u.a. putzen und Essen verteilen. Deren Zellentür ist meist offen und sowie der laute Ruf "Hausmädchen" aus dem Mund einer Beamtin erschallt, haben sie sofort herbeizueilen. Es gibt auch einen sogenannten "Nähsaal", in dem einerseits wirklich genäht, vor allem aber für Fremdfirmen Etiketten an Kleidung und Schmuck angebracht oder ähnliche Tätigkeiten verrichtet werden. Dann gibt es noch die Arbeit in der Wäschekammer und jedes Mal graut es mich, wenn ich die erwachsene, reife Frau im sog. "besten Alter" sehe, auf deren Kittel das Schild "Wäschemädchen" aufgenäht ist. Stets erweckt dieser Anblick Assoziationen zu Berichten vom im Jahre 1939 eingerichteten Reichsarbeitsdienst und den dabei eingesetzten "Jungmaiden" in mir. Bei dieser Dame wird regelmäßig die Kleidung getauscht, auch Handtücher, Bettwäsche, Bademäntel usw., die schmutzige Wäsche wird in Säcken zum Waschen nach Stadelheim gebracht. Irgendwann werde auch ich gefragt, ob ich arbeiten will, sage "Momentan noch nicht" und bekomme später zu spüren, daß das fast als persönliche Beleidigung aufgefasst wird. Wer einmal abgelehnt hat, bekommt später nur sehr schwer oder gar keine Arbeit mehr. Zwei Wochen bin ich in der großen Eckzelle, in der 4 Betten stehen alleine, dann kommt einen junge Rumänin. Wir unterhalten uns ein bisschen und sie erzählt, daß ein Großteil ihrer Verwandtschaft - Brüder, Onkel, Mutter - im Gefängnis sitzt, der Vater hat Einreiseverbot nach Deutschland. Sie redet ganz unbefangen darüber und später helfe ich ihr, einen Brief in Deutsch an ihre Tante zu schreiben. Am nächsten Tag kommt wieder ein Neuzugang in unsere Zelle - ein junges Mädchen, das mit Falschgeld in einer Münchner Diskothek erwischt wurde. Sie versteht sich auf Anhieb gut mit der Rumänin, beide sind starke Raucher und ich als Nichtraucherin fühle mich in der verqualmten Zelle ziemlich unwohl, aber verbieten kann ich ihnen nichts und jetzt, Anfang März, ist es noch zu kalt zum Dauerlüften. Nachts wache ich mit kratzendem Hals auf. Das Falschgeld-Mädchen hat einen gutsituierten Vater, der sofort einen befreundeten Rechtsanwalt einschaltet und sie geht nach einer Woche wieder nach Hause. Von so einem Hintergrund können die meisten hier nur träumen.

Wenn ich anderen Gefangenen auf dem Flur begegne, habe ich immer noch den Rat meines Anwalts im Kopf, alle Häftlinge und Beamten stets freundlich zu grüßen und mich nicht in Streitereien verwickeln zu lassen. Das befolge ich fast ängstlich. Ständig werde ich als Neuling angesprochen, ob ich Zigaretten hätte. "Tut mir leid, ich bin Nichtraucher." Schokolade, Kaffee? "Ich hatte noch keinen Einkauf, ich habe selber nichts." Die Fragen werden immer freundlich gestellt, aggressiv ist zum Glück keiner.

Nach und nach bekomme ich ein bisschen Kontakt zu anderen Gefangenen, z.B. A., die mich zu einem Kaffee in ihre Zelle einlädt. Sie wurde während der Fußball-WM 2006 mit mehr als 100 kg Drogen an der deutsch-holländischen Grenze erwischt und hat demnächst Verhandlung, am Ende bekommt sie 8 ½ Jahre.

Auch mit B., eine der vielen Abschiebehäftlinge hier unterhalte ich mich oft. Sie kommt aus Erithrea und ihre Familie ist, bedingt durch den Krieg dort, in alle Winde verstreut. Sie weiß nicht, wo ihre Leute jetzt leben und die wissen nicht, wo sie ist. B. ist ein großer Fan von G. W. Bush und findet es gut, daß er gegen "die Islamisten" kämpft. Sie selbst ist überzeugte Christin. Zu mir ist sie sehr freundlich, gibt mir Süßigkeiten und will mir unbedingt eine englischsprachige Bibel schenken. Ich sträube mich, will sie nicht annehmen. Als sie keine Ruhe gibt und mich immer wieder flehentlich anschaut, gebe ich nach und sage "Okay", weil ich sie nicht kränken will. Sie schreibt mir eine persönliche Widmung auf die vorderen Seiten, gibt mir dann das Buch und strahlt mich dabei an wie ein Missionar, der einen vermeintlich "Wilden" bekehrt hat.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2008