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STANDPUNKT/067: Mairead Maguire - Die Abschaffung des Militarismus als gemeinsame Vision (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juni 2014

Abrüstung: Die Abschaffung des Militarismus als gemeinsame Vision

Ein Kommentar von Mairead Maguire



In ihrem Kommentar für IPS schreibt die nordirische Friedensaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin von 1976, Mairead Maguire, dass 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Zeit für einen Neustart gekommen sei. Es gelte einer Menschheit Mut zu machen, die unter den Geißeln Militarismus und Krieg leide.


Sarajewo, 6. Juni (IPS) - Am 6. Juni haben sich Menschen aus aller Welt im bosnischen Sarajewo versammelt, um über unterschiedliche Ideen zu diskutieren, die der Welt den Frieden bringen sollen.

Sarajevo war einst Schauplatz des Attentats auf Erzherzog Ferdinand, das 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste. Die in Sarajewo abgefeuerten Schüsse vor einem Jahrhundert setzten einen Wettlauf um Macht, zwei Weltkriege und den Kalten Krieg in Gang. Wir erlebten ein Jahrhundert der explodierenden Entwicklung von Tod und Zerstörung bringenden Technologien, die allesamt teuer und risikoreich sind.

Das war ein großer Schritt nach vorn in der Geschichte des Krieges, aber auch gleichzeitig ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des Friedens. Noch nie war die Friedenbewegung politisch so stark gewesen wie in den drei Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sie war eine Größe im politischen Leben, in der Literatur, in Organisation und Planung, in den Haager Friedenskonferenzen, beim Bau des Haager Friedenspalastes, der Entstehung des Internationalen Schiedsgerichtshofs und dem Bestseller Bertha von Suttners 'Die Waffen nieder!"


Alte Forderung neu denken

Der Optimismus mit Blick auf die Möglichkeiten dieser 'neuen Wissenschaft' des Friedens für die Menschheit war groß. Parlamente, Könige und Kaiser, bedeutende Kulturschaffende und Unternehmen beteiligten sich daran. Die große Stärke der Bewegung bestand darin, dass sie sich nicht darauf beschränkte, den Militarismus zu zivilisieren oder abzuschwächen, sondern seine völlige Abschaffung verlangte. Den Menschen wurde eine Alternative aufgezeigt, und sie vermochten ein gemeinsames Interesse an diesem alternativen Weg erkennen, der die Menschheit voranbringen sollte.

Was in Sarajewo vor 100 Jahren geschah, war ein vernichtender Schlag, von dem sich die Bewegung nie wirklich erholt hat. Heute, 100 Jahre später, ist die Zeit für eine sorgfältige Aufarbeitung gekommen. Wir sollten uns mit den Verdiensten der ursprünglichen Abrüstungsvision auseinandersetzen und uns fragen, wie es uns ohne sie ergangen ist, Für ein erneutes Engagement brauchen wir einen ehrgeizigen Neubeginn, der der Menschheit, die mit den Geißeln Militarismus und Krieg geschlagen ist, neue Hoffnung gibt.

Die Menschen haben von Aufrüstung und Krieg die Nase voll. Sie haben gesehen, wie dadurch unkontrollierbare ethnische und nationalistische Kräfte freigesetzt wurden. Wir sollten erkennen, dass unser gemeinsames Menschsein und unsere gemeinsame Würde wichtiger sind als unsere unterschiedlichen Traditionen. Wir sind in der Lage, unsere Probleme zu lösen, ohne uns gegenseitig umzubringen. Wir müssen Vielfalt und Anderssein akzeptieren und zelebrieren. Wir müssen vergeben und die Bitte um Vergebung annehmen sowie auf Töten und Gewalt verzichten, um unsere Probleme zu lösen.

Wir stehen ebenfalls vor der Herausforderung, die Strukturen zu schaffen, die uns die Zusammenarbeit ermöglichen und die gleichzeitig unsere gegenseitige Abhängigkeit widerspiegeln. Die Vision der Gründer der Europäischen Union (EU), Länder wirtschaftlich zu verbinden, um die Wahrscheinlichkeit eines Krieges unter den Ländern zu verringern, ist ein lohnenswertes Unterfangen.


Zunehmende Militarisierung Europas

Doch anstatt den EU-Bürgern Hilfe zu leisten, beobachten wir die wachsende Militarisierung Europas, das die Rolle der treibenden Kraft einnimmt, um unter Führung der USA/NATO auf Wiederaufrüstung, einen neuen 'kalten' Krieg und militärische Aggression zuzusteuern. Die EU und viele ihrer Mitglieder pflegten einst innerhalb der Vereinten Nationen die Initiative zur friedlichen Beilegung von Konflikten zu ergreifen. Traditionell friedliche Länder wie Norwegen und Schweden gehören inzwischen zu den wichtigsten US/NATO- Kriegsaktivposten. Inzwischen ist die EU eine Gefahr für den Fortbestand der Neutralität.

Viele Länder wurden in die Rolle der Komplizen gedrängt, um durch die Kriege von USA, Großbritannien und NATO in Afghanistan, dem Irak, in Libyen und anderswo gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Ich bin der Meinung, dass die NATO aufgelöst und dass die Vereinten Nationen insofern reformiert werden müssen, dass sie wieder aktiv ihr Mandat übernehmen, die Welt vor der Geißel des Krieges zu bewahren.

Doch es gibt Hoffnung. Die Menschen sagen Nein zu Militarismus und Krieg und beharren auf Abrüstung. Jetzt ist es an der Zeit, uns auf die Anregungen der vielen zu besinnen, die uns vorausgegangen sind wie Bertha von Suttner, die als erste Frau 1905 den Friedensnobelpreis erhalten hat, die Alfred Nobel überhaupt erst dazu brachte, den Friedensnobelpreis zu stiften. Es waren ihre Bewegung und ihre Ideen, die Nobel dazu veranlassten, die 'Verfechter des Friedens' in seinem Testament zu bedenken, also diejenigen, die für Abrüstung eintreten und dafür, dass Macht dem Recht und internationale Beziehungen weicht.

Das es diese Ideen waren, die Nobel mit seinem Preis zu würdigen wünschte, zeigten uns drei Stellen in seinem Testament, in denen er von der Brüderlichkeit der Staaten, dem Streben nach Abrüstung und Friedenskongressen sprach. Es ist wichtig, dass das Nobelpreiskomitee sich an seine Wünsche hält und die Auszeichnungen an diejenigen vergibt, die Nobel als Preisträger im Sinn hatte.

Dieses 100 Jahre alte Programm für globale Abrüstung hat sich dem Militarismus in einer fundamentalen Weise entgegengestellt. Es fordert die heutige Friedensbewegung zum erneuten Nachdenken über die Fragen auf: Reicht es, nach Verbesserungen und Reformen zu streben, oder ist es notwendig, eine Alternative zum Militarismus zu sein? Die Geistesverirrung und das gestörte System sind mit der wahren Wesensart von Männern und Frauen, zu lieben und geliebt zu werden und Probleme durch Zusammenarbeit, Dialog, Gewaltlosigkeit und Konfliktbewältigung zu lösen, nicht kompatibel.

Das Treffen in Sarajewo bringt eine Vielfalt von Aktivisten zusammen. Sie spüren die Wärme und Stärke, die entstehen, wenn man unter tausenden Freunden ist und von der Vielfalt der Friedensaktivisten und Ideen inspiriert wird, damit sie ihre unterschiedlichen Projekte, sei es der Kampf gegen den Waffenhandel, gegen den Krieg mit Drohnen oder die Atomkraft oder sei es für Gewaltlosigkeit und eine Kultur des Friedens einzutreten, voranbringen können. Doch kaum sind sie wieder daheim, wird ihnen schnell wieder bewusst, dass man ihnen mit Gleichgültigkeit oder einem stierem Blick begegnet.


Gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten

Das Problem ist nicht, dass den Menschen nicht gefällt, was sie sagen. Was sie richtig erkennen, ist, dass die Welt ist, wie sie ist, und nur wenig dagegen getan werden kann. Doch Friedensaktivisten wollen eine andere Welt. So unterschiedlich ihre Arbeit ist, gemeinsam ist ihnen die Vision, dass eine Welt ohne Waffen, ohne Militarismus und Krieg Voraussetzung für einen Erfolg ist. Kann die Bewegung einen wirklichen Wandel erreichen, wenn sie den Militarismus nicht vollständig als die Fehlentwicklung und Verirrung, wie es die Geschichte der Menschheit bereits bewiesen hat, begreift und bekämpft? Ist es nicht an der Zeit, dass alle Länder zu einem Abkommen zusammenfinden, um Waffen und Kriege abzuschaffen und sich darauf verständigen, ihre Differenzen mit Hilfe von internationalem Recht und Institutionen zu lösen?

Auch wenn es in Sarajewo nicht möglich sein wird, einen gemeinsamen Friedensfahrplan aufzustellen, müsste es realisierbar sein, sich auf ein gemeinsames Ziel zu verständigen. Wenn der gemeinsame Traum eine Welt ohne Waffen und Militarismus ist, warum das nicht ausdrücken? Warum sollten wir schweigen?

Es würde einen himmelschreienden Unterschied machen, wenn Friedensarbeit nicht länger aus vereinzelten Versuchen bestehen würde, das Militär zu verändern. Jeder einzelne Aktivist sollte seine Bemühungen als Teil eines großen globalen Ganzen betrachten. Jenseits aller nationalen Trennlinien wie Grenzen, Religionen und Ethnien sollte unser Ziel klar sein: eine Alternative zu sein, die auf dem Ende von Militarismus und Gewalt beharrt. Das würde für jeden Einzelnen eine ganz neue Chance bedeuten, gehört und ernst genommen zu werden.

Sarajevo als der Ort, an dem der Frieden einst endete, sollte der Ausgangspunkt für einen universellen Ruf nach Frieden durch die umfassende Abschaffung des Militarismus sein. (Ende/IPS/kb/214)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/06/a-common-vision-the-abolition-of-militarism/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2014