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OFFENER BRIEF/069: Den Atomausstieg nicht weiter "vergolden" (IPPNW)


IPPNW-Pressemitteilung vom 21. August 2017
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland

Den Atomausstieg nicht weiter "vergolden"

IPPNW fordert noch vor der Wahl deutliche Vorgaben für die Atomindustrie


Die Ärzteorganisation IPPNW fordert die Parteivorsitzenden von CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Die Linke auf, der Atomindustrie deutliche Vorgaben zu möglichen Laufzeitverlängerungen, zur Höhe finanzieller Ausgleichszahlungen und zu den Kosten von Zwischenlagerung und Endlagersuche zu machen. Den Konzernen dürfe der Atomausstieg nicht weiter "vergoldet" werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Atomausstieg Ende 2016 zwar gebilligt, den Bundesgesetzgeber aber dazu verpflichtet, bis Juni 2018 den begrenzten Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu gestatten oder alternativ einzelne Atomkraftwerksbetreiber zu entschädigen. Die Bevölkerung habe einen Anspruch darauf, noch vor der Bundestagswahl zu erfahren, was Atomkonzerne und Regierung nach der Wahl im Hinblick auf den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken bzw. mögliche Entschädigungszahlungen vereinbaren werden.

Schon durch andere Entscheidungen und Unterlassungen von Bundesregierung und Landesregierungen, wurden die Kosten des Atomausstiegs unnötig in die Höhe geschraubt: Das dreimonatige Stilllegungs-Moratorium nach Fukushima erfolgte ohne förmliche Anhörung der Konzerne, so dass diese eine Grundlage hatten, auf Entschädigung zu klagen.

Bei den Verhandlungen über Entsorgungsfragen wurde hingenommen, dass die Atomkonzerne ihre Verfassungsbeschwerde gegen die Kernbrennstoffsteuer aufrechterhielten. Da die Kernbrennstoffsteuer vom Gesetzgeber als "Verbrauchssteuer" bezeichnet wurde und sie fahrlässigerweise nicht mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wurde, konnte sie gerichtlich gekippt werden. Auf die Steuerzahler, die die Kernbrennstoffsteuer durch erhöhte Strompreise bereits finanziert haben, kommen nun 7 Milliarden "Rückzahlungen" an die Atomkonzerne zu.

Mit der Gründung des Atommüll-Fonds gehen künftig sämtliche Kosten-Risiken für die Atommüllentsorgung an den Staat und somit an die Steuerzahler über. Laut Bundestagsbeschluss von Ende 2016 konnten sich die Atomkonzerne mit der Einmalzahlung von 24 Milliarden Euro von jeder Haftung für ihren Atommüll freikaufen. Auch für die Zwischenlager ist künftig der Staat verantwortlich, während die Konzerne als Dienstleister versuchen werden, mit dem Atommüll Geschäfte zu machen.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte kürzlich im Deutschlandfunk vor den finanziellen Folgen dieser Entscheidungen: Das "ohnehin nicht ausreichende Geld" für den Atomfonds werde durch die Rückzahlung der Kernbrennstoffsteuer nun noch weniger werden "und die Steuerzahler müssen noch mehr Geld bezahlen, denn der riesige Kosten-Tsunami rollt ja erst durch die Atomenergie auf die Gesellschaft zu, mit dem Rückbau der Atomkraftwerke und dem Atommüll, was dort auch noch bezahlt werden muss allein durch die Gesellschaft. Es wird ein Fass ohne Boden, die Kosten sind einfach immens groß."

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Offener Brief an die Parteivorsitzenden*

Nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Weiterbetrieb von Atomkraftwerken oder Entschädigungszahlungen?



Sehr geehrte Damen und Herren,

das Bundesverfassungsgericht hat den Atomausstieg Ende 2016 zwar gebilligt, den Bundesgesetzgeber aber dazu verpflichtet, bis Juni 2018 den begrenzten Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu gestatten oder alternativ einzelne Atomkraftwerksbetreiber zu entschädigen.

Bislang ist nicht bekannt, wie die einzelnen Parteien beabsichtigen, diesem Urteil nachzukommen. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, vor der Bundestagswahl zu erfahren, welche Regelung nach der Wahl mit den Atomkonzernen getroffen werden soll.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.16 wird der Gesetzgeber verpflichtet, festgestellte Verfassungsverstöße bis spätestens bis zum 30.06.18 durch eine Neuregelung im Atomgesetz zu beseitigen. Die Atomkonzerne seien in ihren Eigentumsrechten verletzt worden, weil sie durch die 2011 erlassenen Abschaltfristen ihre im "Atomkonsens" von 2002 zugebilligten Reststrommengen nicht vollständig nutzen könnten. Das Gericht gibt dem Bundesgesetzgeber drei alternative Regelungsvorschläge vor:

1. Laufzeitverlängerung konzerneigener Atomkraftwerke:
"Dem könnte etwa mit einer entsprechenden Verlängerung der Laufzeiten einzelner konzerneigener Kernkraftwerke Rechnung getragen werden."

2. Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke anderer Konzerne:
"Eine Kompensation der Verstromungsdefizite könnte womöglich auch durch gesetzliche Sicherstellung einer Weitergabemöglichkeit von nicht mehr verstrombaren Elektrizitätsmengen an Konzerne mit überschießenden Verstromungskapazitäten zu ökonomisch zumutbaren Bedingungen erfolgen."

3. Finanzielle Entschädigung:
"Insbesondere bleibt es dem Gesetzgeber aber auch unbenommen, einen angemessenen finanziellen Ausgleich für aufgrund der gesetzlichen Regelung nicht verstrombare Reststrommengen vorzusehen (...)."

Welche der drei Ausgleichsmöglichkeiten der Gesetzgeber nutzt, liegt laut Urteil "im politischen Gestaltungsermessen des Gesetzgebers".

Sollte es auf eine finanzielle Entschädigung hinauslaufen, so stellt sich die Frage nach der Höhe. Auch dies lässt das Bundesverfassungsgericht offen, betont aber: "Der Ausgleich braucht auch nur das zur Herstellung der Angemessenheit erforderliche Maß zu erreichen, das nicht zwingend dem vollen Wertersatz entsprechen muss."

Die IPPNW warnt davor, den Konzernen "den Atomausstieg weiter zu vergolden". Schon durch andere Entscheidungen und Unterlassungen von Bundesregierung und Landesregierungen wurden die Kosten des Atomausstiegs unnötig erhöht:

• Das dreimonatige Stilllegungs-Moratorium nach Fukushima erfolgte fahrlässig ohne förmliche Anhörung der Konzerne, so dass diese eine Grundlage hatten, auf Entschädigung zu klagen.

• Bei den Verhandlungen über Entsorgungsfragen wurde hingenommen, dass die Atomkonzerne ihre Verfassungsbeschwerde gegen die Kernbrennstoffsteuer aufrechterhielten. Da die Kernbrennstoffsteuer vom Gesetzgeber als "Verbrauchssteuer" bezeichnet wurde und sie fahrlässigerweise nicht mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wurde, konnte sie gerichtlich gekippt werden. Auf die Steuerzahler, die die Kernbrennstoffsteuer durch erhöhte Strompreise bereits finanziert haben, kommen nun 7 Milliarden "Rückzahlungen" an die Atomkonzerne zu.

• Mit der Gründung des Atommüll-Fonds gehen künftig sämtliche finanzielle Risiken für die Atommüllentsorgung an den Staat und somit die Steuerzahler über. Laut Bundestagsbeschluss von Ende 2016 konnten sich die Atomkonzerne mit der Einmalzahlung von 24 Milliarden Euro von jeder Haftung für ihren Atommüll befreien. Auch für die Zwischenlager ist künftig der Staat verantwortlich, während die Konzerne als Dienstleister mit dem Atommüll Geschäfte machen können.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte kürzlich im Deutschlandfunk (07.06.17) vor den finanziellen Folgen dieser Entscheidungen: Das "ohnehin nicht ausreichende Geld" für den Atomfonds werde durch die Rückzahlung der Kernbrennstoffsteuer nun noch weniger werden "und die Steuerzahler müssen noch mehr Geld bezahlen, denn der riesige Kosten-Tsunami rollt ja erst durch die Atomenergie auf die Gesellschaft zu, mit dem Rückbau der Atomkraftwerke und dem Atommüll, was dort auch noch bezahlt werden muss allein durch die Gesellschaft. Es wird ein Fass ohne Boden, die Kosten sind einfach immens groß."

Angesichts der großen finanziellen Belastungen, die gegebenfalls auf sie zukommen zukommen, wäre es für die Wählerinnen und Wähler wichtig, von den Parteien vor der Bundestagswahl klare Aussagen zu möglichen Laufzeitverlängerungen und zur Höhe finanzieller Ausgleichszahlungen an die Atomindustrie zu erhalten - daher unsere beiden Fragen:

a) Hat Ihre Partei vor, nach der Bundestagswahl Laufzeitverlängerungen für einzelne Atomkraftwerke zu vereinbaren und wenn ja, für welche?

b) Beabsichtigt Ihre Partei finanzielle Ausgleichszahlungen für die Atomkonzerne und wenn ja, lediglich im "erforderlichen Maß" oder dem "vollen Wertersatz" entsprechend?

Vielen Dank, wir sehen Ihrer Antwort bis zum 31. August 2017 entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Alex Rosen
Vorsitzender der IPPNW

Henrik Paulitz
Energiepolitischer Referent der IPPNW



* Dieser Offene Brief wurde versendet an:
- Frau Katja Kipping, Die Linke
- Herrn Christian Lindner, FDP
- Frau Dr. Angela Merkel, CDU
- Frau Simone Peter, Bündnis 90/Die Grünen
- Herrn Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen
- Herrn Bernd Riexinger, Die Linke
- Herrn Martin Schulz, SPD
- Herrn Herr Horst Seehofer, CSU

Den Offenen Brief an die Parteivorsitzenden als PDF-Datei finden Sie unter:
http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/IPPNW_Offener_Brief_Urteil_Bundesverfassungsgericht.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung vom 21. August 2017
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2017

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