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MELDUNG/006: Vik, Du fehlst (Vera Macht)


Vik, Du fehlst

Von Vera Macht, 24. April 2011


Du fehlst mit einer unglaublichen Intensität, die dich dadurch nur noch präsenter macht.

In unser aller Köpfen, in unser aller Herzen. Es ist dein Fehlen, was deine Stärke, deine Güte, und deinen unglaublichen Einsatz für die Menschen und für unser aller Menschlichkeit so wahnsinnig präsent macht. Du fehlst als Symbol für den Kampf für Gerechtigkeit, für den Wert eines jeden einzelnen Menschen, für den Wert gerade der Menschen, die vergessen zu worden scheinen.

Du fehlst in dieser Welt, Vik. Du fehlst in meiner Welt. Du fehlst als mein bester Freund, als der, der immer da war, im ganzen letzten Jahr, zu jeder guten und schlechten Zeit. Du hast mir einmal gesagt, ich soll lächeln, weil mein Lächeln dich heller machen würde. Aber Vik, es warst du, der mich zum Lachen gebracht hat. Nicht nur durch deinen Humor, sondern durch deine unvergleichliche Art, die Welt ein wenig besser zu machen, nur durch deine Anwesenheit.

Das weiß jeder, der dich kannte, der dich nur einmal getroffen hat. Du hast die Menschen in deinen Bann gezogen, durch dein Charisma, durch deine Ausstrahlung, durch deine Wärme. Die Welt ist ohne dich ein kleines bisschen dunkler geworden. Es ist auch meine eigene kleine Welt, die durch dein Fehlen ein Stück dunkler geworden ist.

Und Gaza natürlich, das ich mir ohne dich gar nicht vorstellen kann. Das sich wahrscheinlich noch keiner hier ohne dich vorstellen kann. Dein arabischer Wortschatz von: mushkile? Leeesh?? Mish mushkile! Yallah! reichte vollkommen aus, um die Menschen um dich herum aufzubauen, und jeden in Gaza zu deinem rafiq und deiner rafiqa zu machen.

Und die Menschen in Gaza haben dich geliebt und geschätzt, das wusstest du, und du hättest nie irgendetwas anderes gedacht. Ich und wir alle waren gerührt und überwältigt von der Trauer und Anteilnahme, die dein Tod hervorgerufen hat. Eine Anteilnahme, die mir und uns allen über unseren ersten Schock hinweggeholfen hat, dafür möchte ich euch danken.

Adie, mein Freund und ISM Kollege sagte einst, als ISM in Gaza zu sein heißt nicht nur die Menschen hier zu unterstützen, sondern vielmehr selbst ein Stück weit Palästinenser zu sein, und die Last ein Stück weit mitzutragen. Es heißt, den Schmerz nicht nur mitzufühlen, sondern auch selbst zu fühlen, was es bedeutet einen geliebten Menschen zu verlieren. Denn Palästinenser zu sein bedeutet, Menschen zu verlieren, die man liebt.

Wer immer deinen Tod verschuldet hat, er hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was er bezweckt hat. Durch deinen Tod Vik, sind wir alle Palästinenser geworden. Wir sind entschlossener denn je. Wir werden weitermachen und weiterkämpfen, in dem Geist deiner Menschlichkeit und mit der Stärke und Unbeugsamkeit der Palästineser. Nicht nur weil du es so gewollt hättest, sondern weil wir gar nicht mehr anders können. Nicht die Menschen da draußen, die du inspiriert und aufgerüttelt hast, und nicht wir hier, die wir vereint sind im selben Traum, im selben Ziel für das wir kämpfen: ein freies Gaza, ein freies Palästina.

Ich erinnere mich an einen Morgen im Herbst. Der Tag davor war ein schwarzer Tag für Gaza gewesen, und so waren wir alle die ganze Nacht zusamen im ISM Büro gesessen und haben geschrieben. Vik und ich gingen in der Morgendämmerung. Als wir gerade ein paar Schritte gelaufen waren, fing es an zu regnen. Der erste Regen des Jahres. Wir standen mitten auf der Straße und haben den Regen auf uns hinabprasseln fühlen und gelacht, und auf einmal war es, als ob die ganze Trauer der letzten Stunden weggespült würde. Als ob es ein neuer Anfang wäre, bei dem die Welt auf einmal rein und unschuldig und voller Hoffnung wäre.

Ich werde nicht trauern, weil ich weiß, dass dort, wo du hingegangen bist, ein solcher Morgen auf dich gewartet hat. Ich werde nicht trauern aus Dankbarkeit, dich gekannt haben zu dürfen. Weil du gezeigt hast, dass durch Menschen wie dich auch für unser aller Menschlichkeit ein solcher Morgen auf uns warten könnte.


Vera Macht lebte und arbeitete von April 2010 bis April 2011 in Gaza.


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Quelle:
© 2011 by Vera Macht
mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2011