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BERICHT/014: Forschungsprogramm Zivile Sicherheit (Mitteilungen)


MITTEILUNGEN Nr. 198, III - September 2007
Humanistische Union für Aufklärung und Bürgerrechte

Innere Sicherheit
Forschungsprogramm Zivile Sicherheit: Eine Chance für die Bürgerrechte?

Von Axel Bußmer


Mit dem "Forschungsprogramm Zivile Sicherheit" verabschiedet sich ein Bundesministerium vom traditionellen Vergabewesen und probiert etwas Neues aus. Gleichzeitig eröffnen sich neue Einflussmöglichkeiten für kritische Wissenschaftler und Bürgerrechtler.


Was ist das "Forschungsprogramm Zivile Sicherheit"?

Das "Forschungsprogramm Zivile Sicherheit" wurde Anfang 2007 unter der Federführung des Bundesministerium für Bildung und Forschung gestartet. In den ersten Monaten stellte das Ministerium das Programm vor allem einer Fachöffentlichkeit vor und bat sie um Projektanträge. Das Programm läuft bis 2010 und hat ein Budget von 123 Millionen Euro. Dazu kommen bei Projekten von Firmen eine hälftige finanzielle Beteiligung der Antragsteller und Gelder aus dem Sicherheitsforschungsprogramm der EU. Dieses siebte Forschungsrahmenprogramm läuft von 2007 bis 2013, hat ein Budget von 1,4 Milliarden Euro und ähnliche Schwerpunkte wie das deutsche Programm. Die Programme sind eine Reaktion auf neue Bedrohungen, Anschläge und Naturkatastrophen und die teilweise chaotischen Reaktionen der zuständigen Stellen.

"Im Mittelpunkt des Sicherheitsforschungsprogramms steht die Verbesserung des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vor alten und neuen Gefahren. Die Abwehr besonders der neuen Gefahren erfordert hoch entwickelte Technologien in neuen Sicherheitssystemen und damit verbunden neue Handlungsstrategien. Die angestrebten innovativen Sicherheitslösungen sollen dazu beitragen, die Sicherheit der Menschen zu erhöhen ohne dadurch ihre Freiheit einzuschränken. Im Gegenteil: Handlungsspielräume, die durch Bedrohung bereits eingeschränkt wurden, können durch verbesserte Sicherheitssysteme zurückgewonnen werden, z. B. durch optimierte und innovative Detektionstechnologien in Flughäfen. Die notwendigen Abwägungen bezüglich der Folgen des Umgangs mit den neuen Sicherheitssystemen und ihrer Akzeptanz können nur im öffentlichen gesellschaftlichen Dialog bestimmt werden." (Forschungsprogramm für zivile Sicherheit, S. 3)

Innerhalb des Programms werden die gesellschaftliche Zustimmung und das Gewährleisten von Bürgerrechten als Herausforderungen genannt. Im Gegensatz zum normalen Beschaffungswesen wird mit dem "Forschungsprogramm Zivile Sicherheit" ein für Verwaltungen immer noch neuer diskursiver Ansatz mit einer permanenten Evaluierung und der damit verbundenen Möglichkeit, Projekte vor ihrem Abschluss zu verändern oder abzubrechen, ausprobiert. Bei allen Anträgen werden Vorschläge für eine fundierte Begleitforschung erwartet. Das heißt: ein Forschungsinstitut kann den technisch sicheren Flughafen entwerfen, aber wenn die Passagiere ihn nicht akzeptieren und Bürgerrechtler zu Recht dagegen protestieren, kann im Rahmen des Forschungsprogramms das Projekt sogar vorzeitig abgebrochen werden.


Was sind die Schwerpunkte des Programms?

Das "Forschungsprogramm Zivile Sicherheit" teilt sich in zwei interdisziplinär ausgerichtete Programmlinien mit jeweils vier Schwerpunkten auf.

Programmlinie 1: Szenarienorientierte Sicherheitsforschung

- Schutz von Verkehrsinfrastrukturen
- Schutz und Rettung von Menschen
- Schutz vor Ausfall von Versorgungsinfrastrukturen
- Sicherung von Warenketten

Programmlinie 2: Technologieverbünde

Detektionssysteme für CBRNE-Gefahrstoffe (chemische, biologische, nukleare, radiologische und explosive Gefahrstoffe)
Integrierte Schutzsysteme für Rettungs- und Sicherheitskräfte
Musterkennung
Biometrie

"In beiden Programmlinien werden im Rahmen der Begleitforschung Fragen zur Akzeptanz der Technologieentwicklungen, zu Quellen der Bedrohungen, zum Datenschutz oder zur Auswirkung auf die Menschen- und Freiheitsrechte einen hohen Rang einnehmen. Die Begleitforschung wird besonderen Wert auf den Wissenstransfer in die Öffentlichkeit legen. Publikationen, Workshops und Diskurse unter den Beteiligten verstärkten das Bewusstsein für sicherheitsrelevante Fragen und unterstützen die forschungspolitische Willensbildung. Dialog und Transparenz werden als wichtige Voraussetzung für einen Erfolg des Ganzen gesehen." (Forschung für die zivile Sicherheit, S. 8)

Aus bürgerrechtlicher Sicht sind nicht alle Themen problematisch. Im Gegenteil: gegen bessere technische Systeme zum Erkennen von CBRNE-Gefahrstoffen hat wohl niemand etwas. Auch wenn Menschen leichter aus Stadien, U-Bahnen und Hochhäusern gerettet werden können, wird die HU sicher keine Einwände haben. Interessanter aus bürgerrechtlicher Sicht ist unter anderem der "Schutz von Verkehrsinfrastrukturen". In ihm sollen "innovative Sicherheitslösungen zum Personenschutz im Bus-, Bahn- und Flugverkehr" erarbeitet werden. Hier wird es auch um biometrische Verfahren und das automatische Erkennen von gefährlichem Verhalten gehen. Dies kann mit verschiedenen Überwachungssystemen erreicht werden, wozu auch Videokameras gehören.


Wie ist der derzeitige Stand?

Kürzlich endeten die Fristen für den ersten Schwerpunkt pro Programmlinie. Über die Anträge wird bis Jahresende entschieden. Die Bekanntmachungen für die anderen Schwerpunkte, jeweils einer pro Programmlinie und Jahr, folgen in den kommenden Jahren. Die Projekte sind auf drei Jahre befristet. Über die Anträge entscheidet ein interdisziplinär besetzter Programmausschuss. Für einen positiven Bescheid werden folgende Kriterien angelegt:

Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit
Innovationshöhe und Erkenntnisgewinn
Ganzheitlichkeit und Breitenwirksamkeit des Lösungsansatzes unter Einbeziehung gesellschaftlicher Ziele und Wirkungen
Praxistauglichkeit beziehungsweise Marktfähigkeit der angestrebten Lösung sowie deren optimierte volkswirtschaftliche Hebelwirkung

Die geförderten Projekte müssen entweder Verbundprojekte sein, bei denen die Geisteswissenschaften ein Teil des Projektes sind, oder die Antragsteller müssen fundierte Vorschläge für eine angemessene, in die Projekte zu integrierende Begleitforschung machen. Bei einer Vorstellung des Programms Ende Juni in Berlin zeigte sich der Referent des Forschungsministeriums von der Qualität der bislang eingegangenen Anträge und der vorgeschlagenen Begleitforschung überrascht - es seien hochrangige und auch kritische Wissenschaftler und Institute vertreten.


Wie können wir Einfluss nehmen?

Weil in jedem Antrag auch Vorschläge für eine begleitende Forschung genannt werden müssen und es in den kommenden Jahren öffentliche Foren gibt, bestehen für die Humanistische Union mehrere Möglichkeiten, ihre Ziele in neuen Kooperationen (wenn sie auch von uns gewünscht werden) zu verfolgen:

indem wir das Programm auch in bürgerrechtlichen Kreisen bekannter machen,
indem wir die öffentlichen Foren besuchen,
indem wir kritische Wissenschaftler und Institute auffordern, sich zu beteiligen,
indem wir uns den Antragstellern als Ansprechpartner zur Verfügung stellen,
indem wir uns selbst als kritische Begleiter ausgewählter Projekte anbieten.


Was riskieren wir?

Wir können das bürgerrechtliche Feigenblatt sein. Es kann sein, dass aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen nicht auf unsere Bedenken gehört wird. Es kann sein, dass wir letztendlich bedenklichen Projekten mit unserem Votum ein bürgerrechtliches Sigel geben. Doch umgekehrt bietet die gewählte offene Form, die so ähnlich vor wenigen Jahren beim Konvent für eine Europäische Verfassung erprobt wurde, die Chance, unsere Anliegen in Kreise zu tragen, die normalerweise für bürgerrechtliche Bedenken nicht sehr aufgeschlossen sind. Wir können einige Projekte bereits in einem sehr frühen Stadium beeinflussen und müssen nicht darauf warten, dass sie technisch (noch) nicht funktionieren oder nachträglich von einem Gericht verboten werden. Wir haben die Chance, auf Teile der künftigen bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur, die normalerweise einer öffentlichen Diskussion entzogen sind, Einfluss zu nehmen. Wie entscheidend dieser Einfluss sein wird, hängt von unserem Engagement ab.


Axel Bussmer ist Mitglied im Landesvorstand der HU Berlin-Brandenburg.


Weitere Informationen zum Forschungsprogramm bei:

- BM für Bildung und Forschung: http://www.bmbf.de/de/6293.php
- Nationalen Kontaktstelle Sicherheitsforschung: www.vditz.de/nks
- Projektträger Sicherheitsforschung: www.vditz.de/sicherheitsforschung


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Quelle:
Mitteilungen der Humanistischen Union e.V.
Nr. 198, III - September 2007, S. 4-5
Herausgeber: Humanistische Union e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember