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STANDPUNKT/114: Rüstungsexporte - Lug und Trug (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai/Juni 2013
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Lug und Trug
Warum die Rüstungsexporte nach der Bundestagswahl 2013 massiv ansteigen werden

Von Jürgen Grässlin



Im Herbst 2013 steht die nächste Bundestagswahl an. Deren Ausgang gestaltet sich im Vorfeld offen, jede Stimme zählt. Lange zuvor haben die Wahlkampfstrategen von CDU/CSU und FDP ausgemacht, welche Themenfelder das Wählervotum für die Regierungskoalition ungünstig beeinflussen werden, sollten die altbekannten Negativschlagzeilen erneut hochkochen. Zu diesen zählen bei Kampfeinsätzen getötete Bundeswehrsoldaten ebenso wie der stetig steigende Waffenhandel.

Die christlich-liberalen Wahlkämpfer haben geregelt, was zu regeln war: Zum einen, so die bereits eingeleitete Entwicklung, wird sich die Bundeswehr bis 2014 aus Afghanistan zurückziehen. Der Abzug läuft längst. Und zum anderen wurden die Rüstungsexporte erstmals nach langen Jahren profitablen Wachstums gesenkt: Waren im Jahr 2010 noch ganz legal Waffen im Wert 2,119 Mrd. Euro ins Ausland transferiert worden, so minderte die Bundesregierung das Volumen des realen Waffenhandels 2011 deutlich auf 1,284 Milliarden Euro.

Sie reagierte damit auf die seit einem Jahrzehnt regelmäßig attestierten Umfragewerte von bis zu achtzig Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung, wonach die Truppen schnellstmöglich aus dem afghanischen Kriegsgebiet abzuziehen seien. Auch im Rüstungsexportbereich ergaben zwei repräsentative Meinungsumfragen ein eindeutiges Votum versus Waffenhandel. In einer Forsa-Umfrage vom Sommer 2011 zur Aussage, dass die BRD "Leopard-Panzer an Saudi-Arabien liefern will", erklärten 73 Prozent der Befragten, diese seien "nicht richtig". Anhänger aller fünf Bundestagsparteien sprachen sich eindeutig gegen die Lieferungen schweren Kriegsgeräts an das repressive Königshaus in Riad aus.

Ein Vierteljahr danach hatte TNS Emnid gefragt: "Sollte Deutschland Ihrer Meinung nach Waffen und andere Rüstungsgüter in andere Länder verkaufen oder nicht?" Diese noch tiefgreifendere, weil umfassender gehaltenere Frage erbrachte ein noch eindeutigeres Bild: Gerade mal 20 Prozent der deutschlandweit Befragten votierten pro Waffenexport. Dagegen sprachen sich 78 Prozent der Bundesbürger - 72 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen - definitiv gegen Rüstungstransfers in andere Staaten aus.

Waffenhandel in Wahlkampfzeiten birgt Sprengpotenzial, zumal dieser Politikbereich mittlerweile den Status eines Randthemas hinter sich gelassen hat und bei Anlass die Titelseiten der renommiertesten Tageszeitungen und Politikmagazine ziert. Man denke nur an die beiden Spiegel-Titelgeschichten zu den U-Boot-Lieferungen an Israel und den Kriegswaffenlieferungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten. Diese erregten international Aufsehen und rückten die Merkel-Rösler-Regierung in ein katastrophales Licht.

Im Bundessicherheitsrat (BSR) werden die besonders brisanten Waffendeals entschieden, unter anderem die Schenkung oder Teilschenkung atomwaffenfähiger U-Boote an Israel oder die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern an Saudi-Arabien. Dem Kabinettsgremium gehören neun Mitglieder an: neben Bundeskanzlerin Merkel und deren Stellvertreter Wirtschaftsminister Rösler auch Außenminister Westerwelle, Finanzminister Schäuble, Innenminister Friedrich, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, Verteidigungsminister de Maizière sowie Niebel als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Stimmberechtigt ist zudem Pofalla als Chef des Bundeskanzleramts. Bei Bedarf nehmen weitere Minister sowie der Generalinspekteur beratend teil.

Die Entscheidungen des BSR erfolgen in geheimer Sitzung. Kein Wunder, ist dieses Thema doch mehr als jedes andere dazu geeignet, den Regierenden in Berlin die Maske der Menschenrechtswahrer und Friedensschaffenden vom Gesicht zu ziehen. Denn nur allzu gerne sprechen Merkel oder Westerwelle den Unterdrückten in der arabischen Welt und darüber hinaus Mut zu, sich für Demokratie und Meinungsfreiheit einzusetzen.


Die Hochrüstung der Unterdrücker des arabischen Frühlings

Genau das taten Abertausende von Mitgliedern der Demokratiebewegungen seit dem Jahr 2011. Von Tunesien ausgehend wagten sie es, den repressiven Machthabern im Maghreb sowie im Nahen und Mittleren Osten mutig entgegen zu treten. Bei einer Ägypten-Reise verkündete Westerwelle im April 2011: In diesem Land werde entschieden, "ob dem arabischen Frühling ein Sommer folgt, oder ob es ein Zurück in einen Winter" gäbe. Seine Worte wiesen den Weg in die richtige Richtung: "Demokratie und Rechtsstaat gehören zusammen."

Die demokratische Entwicklung dürfe nicht in Ägypten halt machen, so der Außenminister in einer Regierungserklärung vom Frühjahr 2011: Ziel der Bundesregierung seien "stabile Demokratien und demokratische Stabilität". Stellungnahmen wie diese gehören zum Standardrepertoire der Repräsentanten einer christlich-liberalen Bundesregierung bei Auslandsreisen im Maghreb sowie im Nahen und Mittleren Osten. Während Kanzlerin und Minister den Demokratiebewegungen aufmunternde Worte zusprechen, wurden und werden knallhart Geschäfte getätigt.

Westerwelle postulierte seine wohlklingende Weltanschauung zu einem Zeitpunkt, da das Regime des Diktators Mubarak längst gestürzt war. Bei einer Ägypten-Reise zuvor hatte er dem Diktator in Kairo noch seine achtungsvolle Aufwartung gemacht. Zugleich hatte die Bundesregierung mittels Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen und Rüstungsgüter das Regime Mubarak stabilisiert. Im Jahr 2009 verantwortete die Regierung sogar die Verdoppelung der Waffentransfers auf 77,5 Millionen Euro gegenüber 33,6 Millionen Euro im Vorjahr. Die Lieferungen umfassten Kommunikationsausrüstung sowie Teile für gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge und Panzer - optimal geeignet zur Unterdrückung der Protestbewegung. Das diktatorische Regime in Ägypten rückte auf Platz 17 der deutschen Bestimmungsländer für Kriegswaffen vor.

Bei Rüstungsmessen offenbart sich, welch skrupelloses Geschäft der staatlich legitimierte Waffenhandel darstellt. Die größte im arabischen Raum ist die alle zwei Jahre in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindende International Defence Exhibition and Conference, kurz Idex. Besonders bedrückend war die Idex im Februar 2011, als sich in Nordafrika der Widerstand gegen die verhassten Diktatoren formierte. Zeitgleich präsentierte auch die mit mehr als 70 Firmen breit vertretene deutsche Rüstungsindustrie ihre Todesprodukte in Waffenschauen und bei Kampfvorführungen.

Bedurfte es noch eines letzten Beweises dafür, dass die Menschenrechtslage im Empfängerland deutscher Kriegswaffen keinerlei Rolle spielt, die Idex lieferte ihn 2011 wie auch 2013. Hier zeigt auch die deutsche Rüstungsindustrie ihr wahres Gesicht. Was zählt, ist der Profit - nicht Menschenrechte und auch nicht Menschenleben.

In ihrem aktuellen GKKE-Rüstungsexportbericht publizierten die evangelische und katholische Kirche die Übersicht der 18 Empfängerländer deutscher Kriegswaffen und Rüstungsgüter, deren Menschenrechtssituation 2011 als "schlecht" oder "sehr schlecht" klassifiziert wurde: Ägypten, Algerien, Indien, Indonesien, Irak, Israel, Kolumbien, Libyen, Marokko, Oman, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Türkei, Venezuela, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam.

Ein Blick in den im letzten November veröffentlichten Rüstungsexportbericht für 2011 der Bundesregierung belegt, dass sich fünf Staaten unter den 20 wichtigsten Bestimmungsländern deutscher Waffentransfers finden: die Vereinigten Arabischen Emirate (auf Platz 3), der Irak (6), Algerien (8), Saudi-Arabien (12) und die Türkei (13). Allein das Könighaus in Riad erhielt Waffen und Rüstungsgüter im Wert von 139,5 Millionen Euro, darunter Grenzsicherungssysteme, Teile für Feuerleiteinrichtungen, Waffenzielgeräte, Teile für Kampfflugzeuge, Transportflugzeuge und unbemannte Luftfahrzeuge sowie Zieldarstellungsdrohnen. Todbringend auch die Kleinwaffen- und die Munitionsausfuhren. Zu ihnen zählten Gewehre, Maschinenpistolen und Pistolen sowie Munition für Granatmaschinenwaffen und Teile für Geschütz-, Haubitzen- und Mörsermunition. Im Libyen-Krieg konnten sich im Sommer 2011 alle drei Konfliktparteien - Gaddafis Militärs, die Rebellen und die Nato - mit zuvor von der EADS/MBDA gelieferten Waffen bekriegen. Selten zuvor wurde offenbar, wie gut ein Krieg für das Geschäft eines Rüstungskonzerns ist.

Dass dieses inzwischen neue Dimensionen annimmt, zeigte sich im Herbst 2011: Der Bundessicherheitsrat genehmigte die Lieferungen von Fregatten, Militärfahrzeugen, Grenzsicherungsanlagen und eine Lizenz zum Bau des Transportpanzers Fuchs im Wert unglaublicher 10 Milliarden Euro an die Machthaber in Algerien. Die Sicherheitskräfte des Regimes von Staatspräsident Bouteflika unterdrückt die dortige Demokratiebewegung mit harter Hand. Saudi-Arabien und Algerien stehen pars pro toto für eine Politik, die von Frieden, Freiheit und Menschenrechten spricht und zeitgleich Beihilfe zu Unterdrückung und Mord leistet.


Krieg ist gut fürs Geschäft

Hoffnung flammte auf, als das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) jetzt für die weltweite Entwicklung sinkende Rüstungsexporte auswies. Doch gegen dem internationalen Trend einer immerhin fünfprozentigen Senkung legten die EADS (mit dem industriellen Anteilseigner Daimler und der staatlichen KfW-Bank) sowie die vier in Deutschland situierten Rüstungskonzerne mit ihren Waffenverkäufen im Vergleich zu den Vorjahren zu.

Unter Einbeziehung der EADS fanden sich im Jahr 2011 fünf Unternehmen aus Deutschland im Ranking der "Top 100": die EADS (auf Platz 7), die Rheinmetall AG (26), die Thyssen-Krupp AG (49), die Krauss-Maffei-Wegmann GmbH & Co. KG (54) und die Diehl-Stiftung GmbH (60). Laut Sipri steigerte die EADS die Waffenverkäufe von 2010 auf 2011 von 16,36 auf 16,39 Milliarden US-Dollar, Rheinmetall von 2,66 auf 2,98 Mrd. Dollar, Thyssen-Krupp von 1,34 auf 2,08 Mrd. Dollar, KMW von 1,59 auf 1,74 Mrd. Dollar und Diehl von 1,21 auf 1,38 Mrd. Dollar. Während die Welt insgesamt etwas friedlicher wurde, verdienten Deutschlands führende Rüstungsriesen verstärkt am Geschäft mit dem Tod.

Auch die aktuellen Bilanzzahlen der EADS sprechen eine klare Sprache: Dem Einbruch im Krisenjahr 2009 folgten Umsatzsteigerungen von 42,8 auf 45,8 Milliarden Euro (2010), auf 49,1 Milliarden Euro (2011) und auf 56,5 Milliarden Euro (2012).

Über Direktexporte bzw. die Vergabe von Nachbaurechten per Lizenzfertigung gelangen mehr und mehr in der Bundesrepublik Deutschland produzierte bzw. entwickelte Waffen und Rüstungsgüter in die entferntesten Winkel der Welt. Dabei ist die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen der Regelfall, die Untersagung die Ausnahme. Im Jahr 2010 standen den Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von rund 4,75 Milliarden Euro und Sammelausfuhrgenehmigungen (SAG) von 737,3 Millionen Euro abgelehnte Anträge im Wert lächerlicher 8,1 Millionen Euro gegenüber. Mit einer SAG wird die Ausfuhr einer Gruppe von Gütern, beispielsweise Waffen, an mehrere Empfänger erteilt. Sie kann sich über mehrere Jahre hinweg ziehen und somit intransparent in der Statistik verbucht werden. Dramatischer noch sind Zahlen für 2011: Da erreichten die Einzelausfuhrgenehmigungen ein Volumen von 5,41 Milliarden Euro, die Sammelausfuhrgenehmigungen einen Umfang von 5,38 Milliarden Euro. Dem standen Ablehnungen im Gesamtwert von 24,8 Millionen Euro entgegen.

Der Gesamtwert genehmigter Einzel- und Sammelausfuhren von weit mehr als 10 Milliarden Euro allein im Jahr 2011 lässt für die nahe Zukunft eines voraussagen: In den nächsten Jahren - also nach der Bundestagwahl - werden die Rüstungsexporte Deutschlands erneut massiv ansteigen. Eine solche Prognose ist wenig gewagt. Die im letzten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung vor der Bundestagswahl dokumentierte Senkung der real erfolgten Rüstungsexporte für das Jahr 2011 erweist sich damit als eine Art Wählertäuschung.

Wohin die Reise geht, ließ die Bundeskanzlerin im September 2011 beim Bergedorfer Gesprächskreis in Berlin und im Oktober 2012 bei der Bundeswehrtagung in Strausberg durchblicken: Die neue "Merkel-Doktrin" besagt, dass Scheindemokraten und Diktatoren zukünftig noch mehr Kriegsgerät aus Deutschland erhalten sollen. Die geplante Lieferung von 270 Leopard 2 an das saudi-arabische Königshaus ist lediglich der bekannteste der geplanten Waffentransfers. Verräterisch ist der Bautyp: Der Kampfpanzer von Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall Defence soll in der Version A7X geliefert werden: bestens geeignet zur Aufstandsbekämpfung. In diesem Sinne können die Sicherheitskräfte vor Ort das tödliche Geschäft mit deutschen Waffen selbst erledigen.

Die Vorteile aus Sicht der Bundesregierung liegen auf der Hand: Mit dem Export von Mordwerkzeugen können Auslandseinsätze der Truppe minimiert und die Profite der Rüstungsindustrie gesichert werden - weit über die Bundestagswahl hinaus. Eine völlig neue Generation von Kriegswaffen und Rüstungsgütern soll die Zukunft der deutschen Rüstungsindustrie sichern: vom XM25-Granatwerfer von Heckler & Koch (und Alliant TechSystems), über Grenzsicherungsanlagen bis hin zu Kampfdrohnen der EADS und ihrer Kooperationspartner um nur einige Beispiele zu nennen.

Die mehr als hundert Mitgliedsorganisationen der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" setzen sich aktiv dafür ein, Rüstungsexporte grundsätzlich zu verbieten. In Zusammenarbeit mit den AktivistInnen von "Legt den Leo an die Kette" soll der Export der Leopard-2-Kampfpanzer an Saudi-Arabien verhindert werden.


Jürgen Grässlin ist DFG-VK-Bundessprecher und einer der Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" (aufschrei-waffenhandel.de). Weitere Informationen auch auf juergengraesslin.com

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Mai/Juni 2013, S. 10 - 11
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2013