Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

STANDPUNKT/085: Zum Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5/6 - Dezember 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Der Geist des Vertrages ist nicht Frieden
Zum Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung

Von Reiner Braun


"Die deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik oder Frieden ist die Maxime deutscher Außenpolitik" so die Leitgedanken der Koalitionsvereinbarungen unter Willy Brandt ja auch unter Gerhard Schröder. Selbst wenn die Taten, den deklamierten Worten wiedersprachen, zeigte die Betonung auf die Friedenssicherung doch die Akzeptanz des Grundgedankens der Geschichte der Bundesrepublik, das Frieden zwar nicht alles, aber alles nichts ohne Frieden ist"(Willy Brandt).

Anders der neue Koalitionsvertrag. - Das Wort Frieden wird marginalisiert, taucht nur noch in beschreibender Form nicht als Zielperspektive oder zu erhaltender Wert auf.

Ein zweite grundsätzliche Zielperspektive, der sich die Bundesregierungen - verbal - verbunden fühlten, wird kaum noch erwähnt, geschweige denn als positiver Wert ausgeführt. Das Wort Völkerrecht taucht nur zweimal im Koalitionsvertrag auf. Dafür kommen die deutschen Soldaten und die Bundeswehr 11 mal vor. Das mag rein quantitativ nicht viel sein, es wird aber verfänglich, wenn diese Erwähnung immer im Zusammenhang mit deutschen Interessen auftritt.

Selbstdefinierte "deutsche Interessen" und "westliche Werte" sind das Mantra des Koalitionsvertrages. Erinnerungen tauchen auf, die einen eher Schaudern lassen.

Die Überschrift des entsprechenden Kapitals des Koalitionsvertrages lautet " Wertegebundene und interessengeleitete Außenpolitik" Der Text beginnt mit folgender Einführung " Die enge Abstimmung und das gemeinsame Handeln der westlichen Wertegemeinschaft, d.h. der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien dieser Welt, waren und bleiben das Erfolgsrezept deutscher Außenpolitik. Auch in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts betrachten wir die Ideen des Westens als Grundlage und seine Institutionen als Plattform deutscher Außenpolitik."

In der Regierungserklärung am 10. November 2009 erklärte die Bundeskanzlerin den Zugriff auf die weltweiten Ressourcen zu einem der Werte, die im Mittelpunkt deutscher Außenpolitik stehen. Werte für die diese Regierung eintritt sind also freier Zugang zu den Märkten anderer Staaten (besonders des Südens und des Ostens), freie ungehinderte Handelswege, Zugriff zu den weltweiten Ressourcen, besonders zu Öl und Mineralien. Die Dominanz des Nordens über den Rest der Welt soll unter der Legitimation der angeblichen westlichen Werten verfestigt werden.

Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden existieren nicht - sie würden ja der ungehinderten ökonomischen und politischen Dominanz zutiefst wiedersprechen.


Imperiale Werte

Die Wertedemagogie erreicht ihren Höhepunkt in dem Koalitionsvertrag in dem internationale Organisationen, in denen Deutschland Mitglied ist, zu westlichen Wertegemeinschaften umgedeutet werden. Was die Mehrheit der Länder in den Vereinigten Nationen, in der eine Vielzahl von Wertegemeinschaften vertreten sind, dazu sagt, bleibt das Geheimnis der Regierung. Auf jeden Fall würde die Durchsetzung dieser Position der Bundesregierung, die Zerstörung der internationalen Organisationen bedeuten. Eine UN als westliche Wertegemeinschaft ist - Gott oder Marx sei dank nicht möglich. Eine konstruktive, Konflikte friedlich lösende Politik in dieser Weltorganisation sieht allerdings vollständig anders aus.

Konsequenterweise werden die globalen Probleme der Menschheit und ihre Lösungen durch internationale Kooperation und Zusammenarbeit nicht angesprochen: Der Hunger von über einer Milliarde Menschen, die größer werdenden Flüchtlingsbewegungen, die Ausrottung der Weltkrankheiten, die gerechte Verteilung der weltweiten Ressourcen, sie erscheinen nicht im Koalitionsvertrag. Der "Krieg gegen den Terror", dieses Relikt der gescheiterten Bush Politik jedoch findet seine (positive) Erwähnung im Koalitionsvertrag. Selbst Barack Obama hat davon Abstand genommen.

Die Außenpolitik ist eine Fortsetzung der neoliberalen Innenpolitik. Die Ideologie des Neoliberalismus prägt die Außenpolitik wie ein Dogma und Krieg nach Innen und nach Außen gehört - wenn notwendig - dazu. Krieg ist letztendlich unausweichlich.


Die heiße Luft der Abrüstung

Völkerrecht - Frieden durch Recht oder weltweite Abrüstung spielen außer einer kosmetischen Garnierung (man kann sich ja nicht vollständig von Obama abkoppeln) kaum eine Rolle. Trotzdem sei an dieser Stelle positiv hervorgehoben: der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland wäre ein erster positiver Schritt.

Er ist aber mit vielen wenn's und aber's (multilateral, mit Zustimmung der USA und der NATO) versehen, so dass er eher ein verbales Nachgeben gegenüber der Stimmung in der Bevölkerung ist als ein realer Politikansatz dieser Regierung. Die "schwarzen Atomwaffenpolitiker" wie von Klaeden, die Atomwaffen in Europa für sakrosant erklärt haben, werden schon drauf achten, dass dieser Satz schnell vergessen wird. Umso wichtiger bleibt für die Friedensbewegung, ihn immer wieder einzufordern und den Druck zu erhöhen.

Weltweite Abrüstung bedeutet Schritte zu mehr Gerechtigkeit und verlangt einseitige Maßnahmen, Verzicht auf eigene Aufrüstung und Beendigung des Rüstungsexportes - all das sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich. Rüstungskontrollmaßnahmen und entsprechende Verträge sind sicher zu begrüßen, sie sind aber keine Wende zu einer Abrüstungspolitik. Abrüstung beginnt zu Haus und auch einseitig - Schritte dazu hat diese Regierung ohne massiven Druck der Straße nicht vor.


Die Instrumente des Krieges ausbauen

Die europäische und internationale Zusammenarbeit zur Verteidigung gemeinsamer neoliberaler Interessen und zur Ausbalancierung unterschiedlicher Interessen der ersten Welt wird fortgesetzt - wenn auch mit klar erkennbarerem verstärkten deutschen Führungsanspruch.

Die Instrument für die (asymetrischen) Kriege des 21. Jahrhunderts werden ausführlich benannt. Dieses ist als aller erstes die NATO. Im Koalitionsvertrag setzen sich die Regierungsparteien für die weitere Stärkung der NATO ein und halten an der Fortsetzung ihrer Beteiligung an den Militäreinsätzen fest. Dieses gilt als erstes für den Krieg in Afghanistan. Die deutschen Truppen sollen bleiben. Nicht ein Ende des Krieges und damit ein Ende des Tötens, des Sterbens von Zivilisten, der täglichen Zerstörung ist das Ziel deutscher Politik sondern eine "neue Strategie" der Effektivierung des Krieges und der koloniale Abwälzung der Kriegführung auf das besetzte Land.

Bei der anstehenden Strategiedebatte in der NATO macht die Regierung sich für die Stärkung der militärischen Instrumente der NATO stark, setzen auf ihre Interventionsfähigkeit und hält an den Atomwaffen als "Abschreckungsinstrument" fest. An eine Kopplung der NATO-Einsätze zu mindestens an ein UN Mandat ist nicht gedacht, es bleibt bei der Selbstmandatierung. Die NATO wird auf eine Stufe mit der UN gehoben. Dieses ist eindeutig völkerrechtswidrig. Der gesamte Absatz zur NATO widerspricht dem Friedens- und "Verteidigungs"gebotes des Grundgesetzes

Die internationale (friedliche) Krisenprävention soll fortgesetzt werden, wird aber im Koalitionsvertrag weitestgehend reduziert auf die Stärkung von Polizei und Justiz. Repressionsapperate in anderen ändern sollen zur Unterdrückung berechtigter Proteste gestärkt werden. Für den zivilen Friedensdienst (ZFD) und ähnlich Instrumente internationaler friedlicher Konfliktlösungen lässt der Koalitionsvertrag nicht viel Gutes erwarten.

Eine herausgehobene Rolle im Vertrag spielt die "europäische Integration", besonders nach dem Inkrafttreten des Lissabon Vertrages. Wenn wir die Teile des Koalitionsvertrages von ihren Worthülsen entkleiden, bleibt übrig: Kooperation und Konkurrenz ist die Leitlinie deutscher EU-Politik. Dazu soll und muss Europa (unter militär-industriepolitischer Federführung von Deutschland (und Frankreich) weiter militarisiert und zu einem festen eigenständigen Standbein in der NATO ausgebaut werden. Die transnationale Rüstungskooperation und Rüstungsforschung soll dazu weiterentwickelt werden. Im Koalitionsvertrag ist hier sogar von der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze (des Todes) die Rede. Die Armeen der verschiedenen Länder unterliegen dem "Modernisierungszwang" des im Koalitionsvertrages hoch gelobten Lissabon Vertrages - auf Kosten der Sozialsysteme aller europäischen EU-Länder.

Die politische Realisierung und praktische Umsetzung dieser Politik geht nicht ohne schlagkräftige Instrumente zur Durchsetzung dieser Konzepte. Dazu sollen die bestehenden Institutionen ausgebaut und vor allem besser vernetzt werden: "Schließlich werden wir die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) und die Führungsakademie der Bundeswehr (FüAKBw) verstärkte nutzen, um Führungskräfte von Bund und Ländern sowei Wirtschaft, Wissenschaft und Medien weiterzubilden und die Prinzipien der Vernetzten Sicherheitspolitik kontinierlich weiterzuentwickeln."

Das Schlagwort "vernetzte Sicherheit" durchzieht große Teile des Koalitionsvertrages. Es bedeutet nicht nur die Unterordnung des Zivilen unter das Militärische, die Absicherung des Krieges durch zivile und infrastrukturelle Hilfsdienste sondern - im Koalitionsvertrag deutlich formuliert auch eine intensive Militarisierung nach Innen.


Zwei Beispiele - zum Erschrecken und Handeln

1. Lateinamerika:
"Die Partnerschaft zwischen Deutschland, Lateinamerika und der Karibik baut auf gemeinsamen Werten auf. Wir teilen ein kulturelles Erbe und Erfahrungen aus langjähriger Zusammenarbeit auf politischem, Wirtschaftlichem, Kulturellem und wissenschaftlich-technologischem Gebiet"

Das ist eine Sprache von Kolonialherren, an die Werte der Inquisition und des Völkermordes auf dem ganzen Kontinent gibt es nur ein Grauen der Erinnerung. Bei der langjährigen Zusammenarbeit könnte ja auch die Unterstützung Pinochets der Diktaturen in Argentinien und Brasilien durch die Konservativen gemeint sein und die Kumpanei der (FDP) Naumann Stiftung mit der Militärdiktatur in Honduras. Eindeutig ist, diese Regierung wird versuchen, die Emanzipation eines ganzen Kontinents zugunsten der Unterwerfung unter die neoliberalen Interessen des "freien Marktes der 1. Welt" zurückzudrehen.

2. Israel-Palästina:
Die verbale Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung wird durch die konkreten Aussagen konterkariert.

Es beginnt schon damit, dass im Mittelpunkt der Nahostpolitik nicht als erstes ein Bekenntnis zum Friedensprozess steht sonder unsere "besondere Verantwortung gegenüber Israel als jüdischen Staat". 25% der Bevölkerung Israels werden schlicht ausgegrenzt, diese Formulierung ist völkerrechtswidrig und behindert jede Friedensfindung in der Region.

Es gibt eine besondere historische Verantwortung Deutschlands gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Israels aber keine Kumpanei mit der Kriegspolitik der jeweiligen Regierung des Landes. Eine eigenständige, ermittelnde Nahostpolitik sieht anders aus.


Fazit:

Der Koalitionsvertrag, zu mindestens der hier untersuchte außen und sicherheitspolitische Teil, ist einerseits eine Fortsetzung des von rot-grün und schwarz-rot begonnenen Weges der kriegerischen weltweiten Intervention - er formulier dieses aber eindeutiger und aggressiver. Die militaristischen Grundpositionen der Regierungsparteien aber auch die tiefe kapitalistische Krise führt hier zu einer neuen Klarheit der Formulierung: es geht um ökonomische Herrschaftsinteressen, die weltweit auch militärisch abgesichert werden müssen. Erst Recht, wenn der Anspruch der Regierung Merkel, Westwelle, Gutenberg ist, Deutschland im Zusammenhang mit der EU als Großmacht mit eindeutigen geostrategischen Interessen in Osteuropa/Russlands, Naher und Mittlerer Osten, Afrika und China/Indien zu positionieren.

Ob die Friedensbewegung und andere soziale Bewegungen diese Herausforderungen für Frieden, Abrüstung und zivile Konfliktlösungen gewaltfrei annehmen und die Kraft zur Gestaltung von Alternativen aufbringen, ist die offene Frage - nicht nur für unser Land.


Reiner Braun, geboren 1952, studierte Literaturwissenschaften und Geschichte sowie Journalismus, Seit 1982 vielfältiges Engagement in der deutschen und internationalen Friedens- und anderen sozialen Bewegungen vor allen in kritischen WissenschaftlerInneninitiativen. Von 2003 bis 2005 Mitarbeiter des Max-Planck Instituts für Wissenschaftsgeschichte im Projekt Einsteinjahr 2005 Seit 2006 Geschäftsführer der IALANA (Juristen gegen die Atomwaffen - für zivile Konfliktlösungen) und der VDW (Vereinigung Deutscher Wissenschaftler) sowie einer der Sprecher der "Kooperation für den Frieden." Er ist Programmdirektor von INES "International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility"

Mehr Informationen: http://www.afghanistankampagne.de


*


Quelle:
ZivilCourage Nr. 5/6 - Dezember 2009, S. 12-13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/58 96 61 61, Telefax: 03212-10 28 255
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2010