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STANDPUNKT/072: Jürgen Rose zur Laudatio von Andreas Zumach auf Agustín Aguayo (FP)


Forum Pazifismus Nr. 17 - I/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Und sie verweigern doch!
Zu Andreas Zumachs Laudatio auf Agustín Aguayo

Von Jürgen Rose


"Ein wahrer Held heutiger Kriege", so lautete Andreas Zumachs Laudatio auf den US-Sanitätsgefreiten Agustín Aguayo, der seinen erneuten Kriegsdienst im Irak verweigerte, daraufhin von einem amerikanischen Militärgericht zu achtmonatiger Haft verurteilt und am 21. Dezember mit dem Stuttgarter Friedenspreis ausgezeichnet wurde. In der Tat gebührt dem widerständigen Sanitätssoldaten Aguayo, der ungeachtet persönlicher Repressalien unbeirrt seinem Gewissen folgte, all der Respekt, den ihm sein Laudator zollt.

Gleiches gilt für den aufrechten Bundeswehrmajor Florian Pfaff, den derselbe Sprecher bereits mit seiner Ansprache anläßlich der Verleihung des AMOS-Preises geehrt hatte (Abgedruckt in Forum Pazifismus 14, Seite 26f. - Anm. d. Red.). Der war jenem dafür verliehen worden, dass er sich, soweit bekannt, als einziger deutscher Soldat geweigert hatte, befehlsgemäß das völkerrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges gegen den Irak im Jahr 2003 zu unterstützen.

Zu Recht verweist Andreas Zumach auf die kaum zu überschätzende Bedeutung dieses Falles, wie sie sich nicht zuletzt in dem epochalen Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Juni 2005 (nicht Juli 2005, wie Zumach fälschlich vermerkt) manifestiert.

Leider trübt jedoch der strahlende Glorienschein, mit dem Laudator Zumach - dem der Autor übrigens seit langen Jahren persönlich verbunden ist - den angeblich einzig "wahren Helden" aus den Reihen der Bundeswehr umgibt, seinen Blick auf die Tatsachen. In den deutschen Streitkräften hat nämlich, seit diese Deutschland auch auf dem Balkan oder gar, wie ein ehemaliger Verteidigungsminister zu schwadronieren beliebte, am Hindukusch verteidigen, eine Vielzahl von Soldatinnen und Soldaten beschlossen, ihrem Gewissen und dem Diensteid zu folgen, anstatt bedenkenlos völkerrechts- und grundgesetzwidrige Befehle ihrer Vorgesetzten auszuführen. All jene Kriegsdienstverweigerer im wahrsten Sinne des Wortes handelten genauso wie die von Andreas Zumach Gelobten unter Inkaufnahme hoher persönlicher Risiken - immerhin stellen Gehorsamsverweigerung und Ungehorsam nach dem deutschen Wehrstrafgesetz mit Freiheitsentzug bewehrte Straftaten dar.

So weigerte sich - entgegen Andreas Zumachs Behauptung, nicht ein einziger der 1999 am völkerrechtswidrigen Luftkrieg der Nato beteiligten deutschen Soldaten habe "auch nur einen einzigen Befehl nicht ausgeführt" - ein gutes Dutzend Luftwaffenpiloten, mit ihren ECR-"Tornados" die ihnen befohlenen Luftangriffsmissionen zur "Unterdrückung der gegnerischen Luftabwehr", wie es im einschlägigen Militärjargon heißt, zu fliegen.

Ebenfalls unzutreffend ist die Aussage, es habe keine Verweigerungen von in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten gegeben. So wurde die Sanitätssoldatin Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettl scharf disziplinar gemaßregelt, weil sie die Vereinbarkeit ihr erteilter Befehle mit dem humanitären Völkerrecht infragestellte und sich geweigert hatte, ihre Rot-Kreuz-Armbinde abzulegen - sie sollte nämlich als Sanitäterin Kombattantentätigkeiten durchführen (wie übrigens Aguayo auch).

Der Autor selbst hat es im März letzten Jahres entgegen der Befehlslage abgelehnt, den Einsatz deutscher "Tornado"-Aufklärer in Mazar-e-Sharif logistisch zu unterstützen, woraufhin in offiziellen Stellungnahmen gegenüber der Presse unverblümt mit dem Staatsanwalt gewunken wurde. Dass er sich dabei expressis verbis auf das Pfaff-Urteil berufen hat, widerlegt schlagend die irrige Aussage Zumachs, "bislang habe noch kein Bundeswehrangehöriger davon Gebrauch gemacht".

Ganz im Gegenteil - dies war der Lackmustest, was mittlerweile auch jene Dutzende Bundeswehrsoldaten erkannt haben, die sich bei Rechtsanwälten nach den Möglichkeiten erkundigt haben, ebenfalls ihren Dienst in Afghanistan abzulehnen. In Berlin grassiert seitdem die "Angst vor der Massenflucht aus dem soldatischen Gehorsam". Verbrieft sind darüber hinaus mehrere Fälle von anerkannten und abgelehnten Kriegsdienstverweigerungen von aktiven und ehemaligen Soldaten und Soldatinnen bis hinauf in die Offiziersränge, die ausdrücklich die kriegerischen Missionen der Bundeswehr als Begründung für ihre Gewissensentscheidungen benennen.

Lediglich last not least sei erwähnt, dass seit Jahrzehnten auf deutschem Boden keine Todesurteile verhängt oder gar exekutiert werden dürfen. US-Militäreinrichtungen sind eben nicht, wie Zumach fälschlich ausführt, "praktisch extraterritorial, da die deutschen Gesetze und auch das Grundgesetz hier keine Gültigkeit haben." Jenes ergibt sich aus dem Nato-Truppenstatut in Verbindung mit dem 1993 novellierten Zusatzabkommen, in dem die Rechtspflichten der in Deutschland stationierten alliierten Truppen akribisch bis hin zur Einhaltung der deutschen Bestimmungen zur Abfallbeseitigung geregelt sind.

Von fundamentaler Bedeutung ist insbesondere die Bestimmung (Art. 53 in der geänderten Fassung), dass auch innerhalb der Liegenschaften, die den verbündeten Streitkräften zur ausschließlichen Nutzung überlassen sind, das deutsche Recht gilt (siehe "Freitag" vom 13. September 2002).


Diplom-Pädagoge Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr und einer der Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal, einer Vereinigung kritischer Bundeswehrsoldaten. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 17, I/2008, S. 12 - 13
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2008