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STANDPUNKT/065: Ohne Globalisierungskritik keine Friedensbewegung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - Juni 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Ohne Globalisierungskritik keine Friedensbewegung
Die globale Friedensbewegung muss sich den Herausforderungen der Globalisierung stellen

Von Andreas Speck


Die Treffen der G8-Regierungschefs werden von breiten Protesten der globalisierungskritischen Bewegung begleitet wie jetzt beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Krieg und Militarismus werden in diesen Protesten thematisiert, dennoch ist das Thema Globalisierung in der Friedensbewegung häufig unterrepräsentiert. Die War Resisters' International (WRI) - die Internationale der pazifistisch-antimilitaristischen Bewegung mit Mitgliedsorganisationen in ca. 40 Ländern, eine deutsche Sektion ist die DFG-VK - hat sich nicht nur den Kampf gegen Krieg, sondern die Beseitigung von Kriegsursachen auf ihre Fahnen geschrieben. Ihre Grundsatzerklärung lautet: "Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und für die Beseitigung aller seiner Ursachen zu kämpfen." Doch was heißt das in der Praxis?

Globalisierung und Krieg sind auf vielerlei Art miteinander verwoben. Allerdings ist z.B. die Analyse des Krieges gegen und der Besatzung des Irak als "Krieg für Öl" eine Vereinfachung, die vielleicht bei der Mobilisierung helfen mag, aber nicht unbedingt die Analyse schärft. Das irakische Öl wäre nämlich durch eine Aufhebung der Sanktionen leichter und billiger zu haben gewesen. Die Verbindung von Globalisierung und Krieg lässt sich also nicht auf Öl reduzieren.


Einige Trends lassen sich identifizieren:

o Von Seiten der (westlichen) G8-Staaten gibt es eine zunehmende Bereitschaft, militärisch zu intervenieren, um die Eingliederung von Staaten in die sich globalisierende Welt zu gewährleisten. Thomas P. M. Barnett, Berater des US-Verteidungsministeriums, schrieb im März 2003: "Saddam Husseins Unrechtsregime war auf gefährliche Weise (selbst-)isoliert von der im Prozess der Globalisierung befindlichen Welt, von ihrem Regel-Kanon, ihren Normen und all jenen Bindungen, die Länder in wechselseitiger Abhängigkeit miteinander verknüpfen." Und: "Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele der Globalisierungsfortschritte zurück, besteht eine ungleich größere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen dorthin entsenden werden." (www.thomaspmbarnett.com/published/PNMGerman.htm)

Was Barnett als "Kern" und "Lücke" bezeichnet, findet sich beim EU-Strategen und ehemaligen Blair-Berater Robert Cooper als "postmoderne" und "prämoderne" Staaten. Für Cooper besteht die "neue Herausforderung für die postmoderne Welt ... darin, sich an die Idee zu gewöhnen, dass Doppelmoral zum Alltag gehört." "Aber wenn man es mit altmodischeren Systemen außerhalb des postmodernen Kontinents Europa zu tun bekommt, müssen wir auf die raueren Methoden einer früheren Ära zurückgreifen: Gewalt, Präventivschläge, Betrug und was immer notwendig wird, um mit denen, die noch immer im 19. Jahrhundert leben, zurecht zu kommen." (The Observer, 7. April 2002)

o In dem, was als "Lücke" (Barnett) oder "prä-moderne Staaten" (Cooper) bezeichnet wird, werden Kriege um die Kontrolle Resourcen - ob Öl in Nigeria, Coltran und andere seltene Metalle im Kongo usw. - so lange geduldet, wie sie die Ausbeutung dieser Ressourcen zum Wohle der globalen Ökonomie nicht gefährden. Dies kann zu "Kriegsökonomien" führen, wo letztlich alle Seiten an der Fortführung des Krieges ein ökonomisches Interesse haben.

o In den Staaten zwischen "Lücke" und "Kern" - den sich industrialisierenden Ländern wie z.B. Indien, Brasilien oder zahlreichen Staaten Südostasiens - führt wirtschaftliche Globalisierung zu Vertreibung, weil Land für Intensivlandwirtschaft oder Industrieansiedlungen benötigt wird, ohne Rücksicht auf diejenigen, die dort, oft ohne formale Eigentumstitel, seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten leben. Dies gilt sowohl in Indien, wo die gewalttätigen Ausschreitungen von Hindus gegen Moslems in Gujarat vor wenigen Jahren durchaus auch wirtschaftliche Ursachen hatten, aber auch in Venezuela, wo die Chavez-Regierung die Vertreibung von Indigenas im Interesse multinationaler Öl- und Kohlekonzerne betreibt. Der indische WRI-Aktivist Anand Mazgaonkar fasst das so zusammen: "Tatsächlich entwurzelt entwicklungsbedingte Vertreibung mehr Menschen als jeder Tsunami, Zyklon oder jedes Erdbeben. Für die einfachen Menschen kann Entwicklung im Allgemeinen konzentriert werden auf die 'D's von Displacement (Vertreibung), Dispossession (Enteignung), Arbeitslosigkeit, Dis-Empowerment, und Dequalifizierung, Destruction (Zerstörung) natürlicher Ressourcen und Dehumanisierung der sich plagenden Massen."

o Als Antwort auf Verunsicherung als Folge der beschriebenen Prozesse spielen Identitäten und Geschlechterdynamiken ebenfalls eine Rolle. Raewyn Connell, eine der bedeutendsten Gender-ForscherInnen, sieht das Anwachsen islamischen und christlichen religiösen Fundamentalismus' - und die sich daraus ergebenden gewaltsamen Konflikte - ebenfalls als eine Reaktion auf die kulturelle Globalisierung, und einen Kampf zwischen verschiedenen Modellen hegemonialer Männlichkeit. Dies ist verknüpft mit anderen traditionellen Identitäten ethnischer oder nationaler Art, die sich im Widerstand gegen die Auswirkungen von Globalisierung radikalisieren und verändern, und dies nicht unbedingt im positiven Sinne.

Viele weitere Aspekte ließen sich dem hinzufügen, doch fehlt hier dazu der Raum. Worauf es ankommt, ist zu zeigen, dass die Verbindung von Krieg und Globalisierung keine einseitige ist: Akteure sind hier nicht nur die Regierungen der G8-Staaten, sondern auch Regierungen der so genannten Dritten Welt sowie soziale Bewegungen - ob fortschrittlich oder reaktionär. Dies macht auch deutlich, dass es zu einfach wäre, sich positiv auf jeglichen Widerstand gegen Globalisierung oder Krieg zu beziehen, sondern dass hier genauer hingesehen werden muss.

Wenn Globalisierung und Krieg eng miteinander verknüpft sind, dann muss die Friedensbewegung, wenn sie sich selbst ernst nimmt, Teil der globalisierungskritischen Bewegung sein. Dies gilt insbesondere für die Friedensbewegungen des Nordens, die sozusagen "im Herzen der Bestie" agieren. Von Ausnahmen abgesehen ist dies aber viel zu wenig der Fall.

Die War Resisters' International und die ihr angeschlossenen Gruppen sehen auf der einen Seite klar diese Notwendigkeit, tun sich auf der anderen Seite aber auch schwer, dies in Friedensbewegungspraxis umzusetzen. Doch es gibt auch positive Beispiele:

o AktivistInnen der US-Mitgliedsorganisation War Resisters League waren maßgeblich an der Vorbereitung der Proteste gegen die Welthandelskonferenz 1999 in Seattle beteiligt und verteilten im Vorfeld Zehntausende Kopien ihres "Handbuchs für gewaltfreie Aktion" als Teil der Vorbereitung auf die Proteste.

o WRI-AktivistInnen in Indien beteiligen sich maßgeblich am Widerstand gegen industrielle Projekte in Gujarat, die der verstärkten Eingliederung der Wirtschaft in den globalisierten Weltmarkt dienen, aber zur Zerstörung der lokalen Ökonomie beitragen.

o Forum voor Vredesactie, die belgische WRI-Sektion, bemüht sich um eine Internationalisierung der Proteste gegen (US-)Atomwaffenbasen in Belgien und Europa. Forum voor Vredesactie ist Initiator der Vernetzung europäischer Gruppen (siehe www.McMilitary.org) insbesondere unter dem Schwerpunkt "Globalisierung und Krieg", und plant eine internationale Aktion vom 22.-24. März 2008 unter dem Motto "NATO - Game over".

o Verschiedene WRI-Gruppen beteiligen sich am internationalen no-bases-Netzwerk (www.no-bases.org/), einem Netzwerk gegen "fremde Militärbasen und alle anderen Einrichtungen, die zur Kriegsführung genutzt werden". Darüber hinaus fordert das Netzwerk "das Verbot von Militäroperationen, Manövern, Ausbildung und militärischen Übungen, Militärabkommen über Waffen im Weltraum, Militärlaboratorien und alle anderen Arten militärischer Intervention".

o WRI-Gruppen in Kolumbien arbeiten nicht nur zur Kriegsdienstverweigerung, sondern thematisieren ebenfalls die privatwirtschaftlichen Interessen, die hinter dem "Plan Kolumbien" und dessen Nachfolger "Plan Patriota" stehen, und somit die Verbindung von globalisierter Ökonomie und Krieg und deren Auswirkung auf die lokale Situation in Kolumbien.

Dies sind nur wenige schlaglichtartige Beispiele. Im Großen und Ganzen tun sich auch innerhalb der War Resisters' International viele Gruppen schwer, in ihrer Praxis die Verbindung zwischen globalisierungskritischer und antimilitaristischer Arbeit herzustellen.

Was hat die Friedensbewegung der globalisierungskritischen Bewegung zu bieten? Die Beteiligung der Friedensbewegung an der globalisierungskritischen Bewegung müsste keine Einbahnstraße sein. Klar: Wir als Friedensbewegung haben von der globalisierungskritischen Bewegung viel zu lernen - doch wir haben auch viel beizutragen.

Für den WRI-Vorsitzenden Howard Clark ist dies "die Erfahrung sorgfältiger Vorbereitung und ehrlicher, kritischer Auswertung gewaltfreier Aktion", an der sich AktivistInnen der WRI beteiligt haben. Er warnt gleichzeitig davor, dass wir "von außen ... manchmal als 'Club für die Gewaltfreien' angesehen [werden]. Eine der Herausforderungen, denen wir uns gegenüber sehen, ist, zu zeigen, dass unsere Gewaltfreiheit keine ausschließende Gewaltfreiheit ist, und ebenfalls keine Gewaltfreiheit, die zeitgebunden ist oder nur in eine bestimmte Kultur passt - sondern eine Gewaltfreiheit, die sich kontinuierlich selbst neu und unter neuen Rahmenbedingungen schafft."

Doch wie der schwedische WRI-Aktivist Stellan Vinthagen schreibt, muss "das derzeitige gewaltfreie Wissen, die Trainingsformen, die Strategie, die Organisations- und Aktionsformen (d. h. unser ganzes derzeitiges gewaltfreies Repertoire) in Übereinstimmung mit globalen Bedingungen weiterentwickelt werden müssen." Ziel ist, dass "die globale Bewegung der Bewegungen die heutige Weltordnung nicht nur herausfordert, sondern sie auch wirksam verändert." (Gewaltfreiheit globalisieren. Aufruf zu einer Gewaltfreiheitsstrategie durch die Globale Friedens- und Gerechtigkeitsbewegung.
http://wri-irg.org/pubs/br69-de.htm)

Und das ist auch das Ziel der WRI - die Veränderung der Weltordnung, "für die Beseitigung aller Kriegsursachen".


Andreas Speck ist Koordinator des Büros der War Resisters' International in London und arbeitet schwerpunktmäßig zum Thema Kriegsdienstverweigerung weltweit.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - Juni 2007, S. 6-7
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2007