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BERICHT/282: Gedenken an die Opfer von Kundus (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - November 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Gedenken an die Opfer von Kundus
Für die Bundesregierung ist das Massaker kein Thema mehr

Von Monty Schädel


Etwa einen Monat vor dem ersten Jahrestag des Massakers von Kundus vom 4. September 2009 informierte das deutsche Kriegsministerium darüber, dass es 430.000 US-Dollar "als freiwillige Unterstützungsleistung" für die Opferfamilien auf eine afghanische Bank eingezahlt habe. Als "eine Geste der Aussöhnung" und nicht als eine Entschädigung sollen nach Aussage aus dem Ministerium gegenüber Medienvertretern diese Zahlungen von je 5.000 Dollar an die Familien verstanden werden, in der Opfer des Bombardements zu beklagen waren.

Damit war für das Kriegsministerium die Frage der Aufarbeitung von Verantwortung und Fehlern bei diesem durch den deutschen Bundeswehroberst Georg Klein befehligten Angriff offensichtlich abgeschlossen.


"Bewährungsaufstieg"

Wenige Tage später, am 19. August, teilte die Bundeswehr mit, dass sie die disziplinarischen Ermittlungen gegen Oberst Klein eingestellt hat. Nach Ansicht der den Luftangriff untersuchenden Militärs liege kein "Dienstvergehen" beim Handeln Oberst Kleins vor, das bis zu 142 Menschen das Leben gekostet hat. Bereits im April hatte die Bundesanwaltschaft mitgeteilt, dass sie das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein eingestellt hat. Nach Ansicht der angeblich unabhängigen Ermittler lag kein Rechtsverstoß vor, der eine Anklage zur Folge haben kann. Folgerichtig lagen damit auch keine Hinderungsgründe mehr vor, dass Oberst Klein die Besoldungsleiter weiter emporstieg. Nur wenige Tage nach dem Jahrestag des Massakers von Kundus und die damit verbundene öffentliche Aufmerksamkeit abwartend wurde gemeldet, dass der Oberst nunmehr mit einem "Karrieresprung"(Spiegel) von Leipzig aus der Kaserne nach Bonn in das Kriegsministerium wechselte. Verbunden damit ist ein Aufstieg in die Besoldungsgruppe B3, Grundgehalt 6.635 Euro, monatlich etwa 600 Euro mehr.

Umgerechnet auf die Opfer bedeutet das: Der Verantwortliche für 142-fachen Mord bekommt jeden Monat (!) fast doppelt so viel Grundgehalt, wie es der Bundesregierung wert ist, als "Geste der Aussöhnung" je Opferfamilien zu zahlen. Merke: Wenn du Menschen umbringst, mache es als Militärangehöriger im Dienst. Strafrechtlich wirst du dann nicht verfolgt, und deine Beförderung ist nicht in Gefahr!


"Thema erledigt"

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Bundesregierung, der Bundestag und die Bundeswehr den ersten Jahrestag des folgenschwersten direkten Einsatzes von deutschen Soldaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht als einen besonderen Termin betrachtete - bereits im Vorfeld war das Thema offensichtlich "bereinigt".


Friedensbewegung gedenkt der Opfer

Um der Opfer des Bombardements zu gedenken, aber auch um auf den weiterhin stattfindenden Krieg gegen Afghanistan hinzuweisen, gab es in der gesamten Bundesrepublik Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen und öffentlichen Protest aus der Friedensbewegung.

In Berlin kamen am Nachmittag etwa 300 Personen zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor zusammen. Am Abend hatte ein Bündnis aus mehrerer Organisationen, u.a. Friedenskoordination Berlin, Bundesausschuss Friedensratschlag, Internationale Liga für Menschenrechte, AG Globalisierung und Krieg von Attac, Deutscher Friedensrat, Die Linke, IMI und der DFG-VK-Bundesverband, zu einer Gedenkveranstaltung in die Heilig-Kreuz-Kirche eingeladen. In würdiger Atmosphäre wurde unter instrumentaler Begleitung eines Kammermusikensembles der Berliner Symphoniker mit einem fast zweistündigem Programm der Opfer des Massakers gedacht. Ihre Namen waren auf einer Stele auf der Bühne platziert worden und wurden zwischen den einzelnen Wortbeiträgen geladener Gäste einzeln verlesen. Während über eine Leinwand Fotos von Opfern und ihren Hinterbliebenen gezeigt wurden, legten VertreterInnen unterschiedlicher Zusammenhänge ihre Erfahrungen und Erlebnisse dar.

Karim Popal, Anwalt der Angehörigen der Opfer, und Dr. Obeidullah Mogadeddi vom Verein zur Afghanistan-Förderung e.V. berichteten von Begegnungen mit Hinterbliebenen wie auch mit deutschen Behörden. Die Mitglieder des Bundestag Jan van Aken (Linke), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Christine Buchholz (Linke) teilten den etwa 250 Anwesenden ihre Erlebnisse einer Reise nach Afghanistan zu den Hinterbliebenen mit und schilderten ihre Eindrücke persönlicher Begegnungen. Volker-Taher Neef vom Zentralrat der Muslime und Dagmar Apel, Pfarrerin der Gastgebenden Heilig-Kreuz-Kirche, sprachen zur Verantwortung aus ihrer religiösen Sicht. Angelika Claußen von der IPPNW machte auf Traumatisierungen und andere Folgen von 30 Jahren Krieg und Besatzung in Afghanistan aufmerksam.

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einem eindringlichen Aufruf, die Anstrengungen gegen den Krieg nicht ruhen zu lassen und weiter auszubauen. Der gemeinsame Appell der Friedensbewegung "Den Krieg in Afghanistan beenden - Zivil helfen!" sollte intensiv genutzt werden, um die Mehrheitsmeinung gegen den Krieg und die deutsche Beteiligung daran auch deutlich zu machen. (Online-Unterstützung unter www.frieden-mitmachen.de)

Am Ende der Veranstaltung bleibt der Eindruck, dass den Opfern mit dieser Veranstaltung wenigstens durch einen Teil der deutschen Öffentlichkeit würdig gedacht worden ist. Besser wäre es, wenn dieser Krieg endlich beendet und die Ablehnung des Krieges nicht nur in Meinungsumfragen deutlich werden würde.


Monty Schädel ist Politischer Geschäftsführer der DFG-VK Eine Broschüre mit den Beiträgen der Gedenkveranstaltung kann auf unserer Homepage herunter geladen werden:
https://www.dfg-vk.de/dateien/2010-09-04_Kundus-Gedenk-Broschuere.pdf

Mehr Informationen: http://www.afghanistankampagne.de


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - November 2010, S. 20
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/58 96 61 61, Telefax: 03212-10 28 255
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2011