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BERICHT/276: Die israelischen Atomwaffen (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 26 - II/2010
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Die israelischen Atomwaffen
"Das am schwierigsten zu beseitigende Atomwaffen-Arsenal der Welt"

Von Clemens Ronnefeldt


"Israel wird nicht als erstes Land Atomwaffen in der Region einführen", so haben israelische Ministerpräsidenten die offizielle Sprachregelung ihres Landes verkündet. 1975 ergänzte Premier Yitzhak Rabin: "Wir können es uns aber auch nicht leisten, die zweiten zu sein."(1)


Zur Geschichte des israelischen Atomprogramms

Vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Shoah suchten 1949 israelische Wissenschaftler im Auftrag der israelischen Streitkräfte nach Uran in der Negev-Wüste. Im September 1956 unterzeichneten Israel und Frankreich ein Geheimabkommen, dem zufolge Frankreich einen Reaktor zur Plutoniumgewinnung bei Dimona bauen sollte. Alle Mitglieder der israelischen Atomkommission traten daraufhin mit Ausnahme des Vorsitzenden zurück, weil sie nicht bereitwaren, an einer militärischen Atompolitik mitzuwirken.

Im Juli 1956 hatte der ägyptische Regierungschef Nasser den Suez-Kanal verstaatlicht. Im Oktober 1956 reisten der israelische Premier David Ben-Gurion, Vize-Verteidigungsminister Shimon Peres und Generalstabschef Moshe Dayan nach Paris, um mit den Militärs und Politikern Englands und Frankreichs einen Kriegspakt gegen Ägypten zu schmieden. Israel eroberte daraufhin sehr schnell die gesamte Sinai-Halbinsel, auf der zuvor ägyptische Waffen modernster sowjetischer Bauart stationiert waren. Im Machtkampf der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs setzten die USA und die Sowjetunion einen Waffenstillstand durch, noch bevor Großbritannien und Frankreich ihr Kriegsziel der Kontrolle des Suez-Kanals erreichen konnten.

Als die israelische Führung Anfang November 1956 über das UN-Ersuchen nach einem Waffenstillstand beriet, entsandte Ben Gurion Shimon Peres und Golda Meir nach Paris, um Frankreich um eine Garantie zu bitten, Israel bei der Entwicklung der Atombombe zu helfen. Der damalige französische Regierungschef Guy Mollet kam dieser Bitte nach, weil er einerseits die Verteidigung des von ihm verehrten Landes Israel sicherstellen und andererseits einen neuen strategischen Partner für Frankreich im Nahen Osten gewinnen wollte.

Seit Anfang der 1960er Jahre gingen die USA von einem militärischen Atomprogramm Israels aus. Die US-Regierungen unter den Präsidenten Kennedy und Johnson knüpften weitere Waffenverkäufe an Israel an die Bedingung, eigene US-Inspektoren nach Dimona zu entsenden. Bei diesen Besuchen ab 1961 wurden den US-Inspektoren mehrfach die Besichtigung der gut getarnten unterirdischen Stockwerke vorenthalten, in denen Plutonium gewonnen und Bombenteile produziert wurden.

Erst als der in Dimona beschäftige Techniker Mordechai Vanunu im Herbst 1986 seine Bilder und sein Wissen über das israelische Atomprogramm der Londoner Zeitung "Sunday Times" anvertraute, wurde das unterschätzte Ausmaß der damals bereits vermutlich mehr als 100 israelischen Atomwaffen öffentlich. Vanunu wurde nach seiner Entführung durch den israelischen Geheimdienst Mossad zu 18 Jahren Haft verurteilt, die 2004 endeten - und zahlt bis heute unter Hausarrest und völliger Überwachung stehend einen hohen Preis für seine Gewissensentscheidung.

Die arabischen Staaten brachten nach der Vanunu-Enthüllung eine UN-Resolution in die Vollversammlung ein, die eine UN-Untersuchung von Israels Atomprogramm forderte. Diese wurde mit 92 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen sowie zwei Nein-Stimmen von Israel und den USA angenommen, blieb jedoch folgenlos.

Um die Nuklearwaffen zum Einsatz bringen zu können, verfügt Israel aktuell über ein breites Spektrum von Trägersystemen aus land-, luft- und möglicherweise seegestützten Waffenplattformen mit Reichweiten von mehreren tausend Kilometern.

Deutschland lieferte in den Jahren 1999 und 2000 drei Dolphin U-Boote, zwei weitere leistungsfähigere Boote stehen noch vor der Auslieferung. Diese können in Israel mit Marschflugkörpern bestückt werden, die auch Atomsprengköpfe tragen könnten.


Konflikte im Zusammenhang mit den israelischen Atomwaffen

In der israelischen Gesellschaft war und ist die eigene atomare Bewaffnung umstritten. Ein Teil der Bevölkerung glaubte lange Zeit, dank nuklearer Absicherung leichter die besetzten palästinensischen Gebiete räumen zu können, ein anderer Teil wiederum war und ist der Ansicht, das Atomprogramm binde sehr viele finanzielle Mittel, die für konventionelle Aufrüstungen dringender notwendig seien.

Unmittelbar vor Beginn des Sechstagekriegs 1967 ließ der israelische Ministerpräsident Eshkol zwei Atombomben zusammenbauen. Grund war der Überflug eines ägyptischen MiG-Kampfflugzeuges über dem Dimona-Atomgelände. Die israelische Luftabwehr hatte vergeblich versucht, die das Flugzeug abzuschießen.

Auch während des Yom-Kippur Krieges 1973 wurden israelische Atombomben zusammengebaut, nachdem Israel hohe Verluste am Suez-Kanal und auf den Golanhöhen erlitten hatte. Ministerpräsidentin Golda Meir erteilte daraufhin Anfang Oktober 1973 dem damaligen Verteidigungsminister Moshe Dayan die Genehmigung zur Atomwaffen-Aktivierung.

Das irakische Atomprogramm begann Anfang der 60er Jahre - auch als Gegengewicht zum israelischen. Als Frankreich 1980 in der Nähe von Bagdad einen Reaktor baute, der das Material für ein bis zwei Atombomben pro Jahr hätte produzieren können, zerstörten 14 israelische Kampfflugzeuge am 7. Juni 1981 den unmittelbar vor der Fertigstellung stehenden irakischen Reaktor bei Tuweitha. Die Arbeiten am Reaktor unterlagen zu diesem Zeitpunkt der Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde in Wien (IAEA), der die israelische Führung keine effektive Kontrolle zutraute.

Im Juni 1981 verurteilte der UN-Sicherheitsrat mit Zustimmung der USA - den israelischen Luftangriff auf den irakischen Atomreaktor in der Resolution 487 als "danger to international peace and security created by the premeditated (...) attack" (SR-Res. 487 (Präambel)) und "clear violation of the Charter of the United Nations and the norms of international conduct" (SRRes. 487 (1)) und forderte Israel auf, "to refrain in the future from any such attacks or threats thereof" (SRRes. 487 (2)). Sanktionen scheiterten anschließend am US-Veto.(2)

1986 begann Pakistan mit der Produktion von waffenfähigem Plutonium. Um diesen Start zu verhindern, hatte zuvor die israelische Regierung bei der indischen Regierung angefragt, ob israelische Kampfjets auf dem Weg zur Bombardierung der pakistanischen Nuklearanlage einen indischen Luftwaffenstützpunkt zur Betankung der israelischen Kampfflugzeuge benutzen dürfen. Als die indische Regierung dies ablehnte, bot die israelische Regierung ersatzweise Indien hocheffektive Bomben zur Zerstörung der pakistanischen Atomanlage durch die indische Luftwaffe an.

Während des Golfkriegs 1991 ließ Saddam Hussein 39 konventionell bestückte Scud-Raketen auf Israel abfeuern. Für den Fall, dass die Raketen mit chemischen Sprengköpfen bestückt worden wären, sahen israelische Überlegungen den Einsatz von Atomwaffen gegen Irak vor.

Die Zustimmung der israelischen Bevölkerung zur eigenen atomaren Bewaffnung stieg nach der Bombardierung durch Irak erheblich an. Nuklearwaffen wurden verstärkt als Abschreckung gegenüber Angriffen mit chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen angesehen.

Im Herbst 2007 bombardierten israelische Kampfflugzeuge in Syrien bei Al-Kibar eine mutmaßliche Atomanlage.

(Auf das iranische Atomprogramm kann hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden. Der Autor hat sich dazu unter www.versoehnungsbund.de mehrfach an anderer Stelle geäußert.)


Ausblick für mögliche Konfliktlösungen

US-Präsident Bill Clinton hatte während seiner Regierungszeit vorgeschlagen, Israel könnte den Reaktor in Dimona stilllegen und auf die weitere PIutoniumproduktion verzichten, um damit dem Ziel eines von atomaren, biologischen und chemischen Waffen freien Nahen und Mittleren Ostens näher zu kommen. Sowohl die israelische Führung als auch arabische Staaten, die das Atom-Monopol Israels schon damals nicht länger hinnehmen wollten, lehnten dies ab.

Nach dem Golfkrieg 1991 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 3. April 1991 die UN-Resolution 687, die u.a. vom "Ziel der Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in der Nahost-Region" und dem "Bewusstsein der Gefahr, die alle Massenvernichtungswaffen für den Frieden und die Sicherheit in dem Gebiet darstellen, und der Notwendigkeit, auf die Schaffung einer von derartigen Waffen freien Zone im Nahen Osten hinzuarbeiten" handelt. Ihre Umsetzung wird bis heute von den Mächten des UN-Sicherheitsrates nicht einmal ansatzweise vorangetrieben. Auch Initiativen zu einer Konfliktlösung etwa in Form einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten wurden nicht mit Nachdruck verfolgt.

Im März 2009 beging das Oberkommando der US-Streitkräfte einen politischen Tabubruch und bezeichnete Israel erstmals als bedeutende Nuklearmacht.

Im Mai 2009 nannte die US-Staatssekretärin Rose Gottmoeller als fundamentales Ziel der neuen US-Politik, Israel, Indien und Pakistan zum Atomwaffensperrvertrag-Beitritt zu bewegen. Israels Außenministerium bat daraufhin um Klarstellung und konnte diese Forderung kaum glauben.

Am 23. Oktober 2009 berichtete die Süddeutsche Zeitung: "Erstmals seit 30 Jahren haben Israel und Iran an Gesprächen über eine atomwaffenfreie Zone in Nahost teilgenommen. Die Begegnung fand bereits am 29. und 30. September in Kairo statt. ... Von israelischer Seite handelte es sich um Meirav Zafari-Odiz, zuständig für Rüstungskontrolle bei der Atombehörde. Iran hatte seinen Botschafter bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Ali Ashgar Soltanieh, und einen Botschafter im Ruhestand entsandt. ... Anschließend habe Zafari-Odiz erklärt, dass Israel am Ende eines umfassenden regionalen Friedensschlusses grundsätzlich zu einem Dialog über eine nukleare Abrüstung im Nahen Osten bereit wäre".

Bis zu wirklich substanziellen Verhandlungen dürfte der Weg noch sehr weit sein: "Von allen Atomwaffen in der Welt wird man sich des israelischen Arsenals am schwierigsten entledigen können", prophezeite 1995 der frühere Direktor des Internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstitutes Sipri, Dr. Frank Barnaby.(3)


Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.


Anmerkungen

1) Yoel Cohen, Die Vanunu-Affäre. Israels Geheimes Atompotential, Heidelberg 1995, S. 9
2) http://www.ipw.rwth-aachen.de/pub/paper/paper_01.html
3) Yoel Cohen, a.a.O., aus dem Vorwort von Dr. Frank Barnaby, S. 12


Weitere Quellen

Seymour M. Hersh, Atommacht Israel. Das geheime Vernichtungspotenzial im Nahen Osten. Aus dem Amerikanischen von Hans Bangerter, Gabriele Burkhardt und Karlheinz Dürr, München 1991.

Avner Cohen, Israel and the Bomb, Columbia University Press, New York, 1998.

Gawdat Bahgat, Israel and Nuclear Proliferation in the Middle East, Middle East Policy, Vol. XIII, No. 2, Summer 2006.

www.atomwaffena-z.info/atomwaffen-glossar/i/i-texte/artikel/548/998f05bb0f/index.html


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 26, II/2010, S. 26 - 28
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2010