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BERICHT/213: Kriegsverrat ist Friedenstat (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Kriegsverrat ist Friedenstat

Wer im Zweiten Weltkrieg den "Feindmächten Vorschub" leistete,
ist konservativen Politikern immer noch suspekt

Von Frank Brendle


Dass der Zweite Weltkrieg von deutscher Seite als räuberischer Vernichtungskrieg geführt wurde, bestreitet heute niemand mehr, der ernst genommen werden will. Und doch: Wehrmachtssoldaten, die diesen Krieg verraten hatten, sind immer noch vorbestraft.

Deserteure, Kriegsdienstverweigerer, "Wehrkraftzersetzer" und andere Opfer der Nazi- bzw. Wehrmachtjustiz sind mittlerweile rehabilitiert, seit dem Jahr 2002 bleibt ihnen bzw. ihren Angehörigen auch die beschämende Einzelfallprüfung erspart. Nicht so bei "Kriegsverrätern": Sie wurden im Jahr 2002 explizit ausgenommen. In der Gesetzesbegründung von Rot-Grün heißt es: "Es finden sich eine ganze Reihe von Straftatbeständen, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nicht verantwortbar erscheint. Beispielhaft seien hier der Kriegsverrat, die Plünderung, die Fledderei sowie die Misshandlung von Untergebenen genannt." (Bundestagsdrucksache 14/8276)

Die Begründung spricht Bände: "Verräter" werden in eine Reihe mit Verbrechern gestellt. Das sagt schon viel aus über den Zustand der deutschen Geschichtsaufarbeitung. Wer nicht in Treue fest zur Wehrmacht hielt, sondern sie verriet, dem trauen zumindest konservative Politiker bis heute nicht, den wollen sie bis heute einer Einzelfallprüfung unterziehen, die, wie vor kurzem eine Anhörung im Bundestag gezeigt hat, zu einer Gesinnungsprüfung gerät.

"Kriegsverrat" ist ein relativ wenig bekanntes Delikt. Dabei war Paragraph 57 des Militärstrafgesetzbuchs der Willkürparagraph der faschistischen Militärjustiz schlechthin. Er wurde zur Grundlage für Todesurteile gegen Soldaten, die in irgendeiner Weise nicht so funktionierten, wie es die Nazis von ihnen erwarteten.

Die Militärhistoriker Wolfram Wette und Detlev Vogel kamen im vorigen Jahr zu dem Schluss, dass mit dem Kriegsverratsparagraphen "die unterschiedlichsten Erscheinungsformen von abweichendem und widerständigem Verhalten" verfolgt worden sind. Kriegsverrat konnte fast alles sein: sich menschlich gegenüber Kriegsgefangenen zeigen; Flugblätter verteilen, Juden helfen, sich den Partisanen oder den Armeen der Antihitlerkoalition anschließen oder militärische Geheimnisse verraten.

Bewusster antifaschistischer Widerstand war etwa die Motivation der so genannten "Roten Kapelle", einer Organisation, in der auch Soldaten und Offiziere vertreten waren. Die von ihren vertriebenen Flugblätter waren in den Augen der Nazis "eine einzige Aufforderung zum Widerstand gegen die Anordnungen der Staatsregierung und zum offenen Aufruhr". Im Winter 1942/1943 wurden mehrere Angehörige der Widerstandsorganisation zum Tode verurteilt.

Der Wiener Stabsarzt Adalbert von Springer hatte für die Kommunistische Partei Österreichs Flugblätter verfasst. Darin hieß es: "Österreichische Frauen, schreibt euren Söhnen und Männern, sie sollen sich der Roten Armee ergeben (...) Österreichische Arbeiter: Sabotiert Hitlers Kriegsproduktion, wo ihr nur könnt." Mit der Frage, ob diese Aufrufe tatsächlich die Wehrmacht schädigten, hielt sich das Reichskriegsgericht nicht auf." Ein jeder, der jetzt noch die Ziele des Kommunismus unterstützt und sich hochverräterisch betätigt, macht sich auch der Feindbegünstigung schuldig", heißt es im Urteil vom 7. Juli 1943. Springer wurde enthauptet.

Wegen aufmunternder Gespräche mit gefangenen Sowjetarmisten wurde der Obergefreite Adolf Hermann Pogede zum Tode verurteilt. Er hatte sich Anfang 1944 "wiederholt" mit sowjetischen Kriegsgefangenen in Frankfurt (Oder) unterhalten und ihnen Tabak zugesteckt. Den Gefangenen gegenüber zeigte sich Pogede als Kommunist, der nicht an den "Endsieg" glaubte. Das Gericht entwickelte eine abenteuerliche Argumentationskette: Der Obergefreite habe bei den Gefangenen die Hoffnung "auf ein baldiges Ende ihrer derzeitigen Lage in Verbindung mit einem Triumph des Bolschewismus" geweckt und damit ihren Widerstandswillen gestärkt. Hierdurch sei "wiederum eine vermehrte und verschärfte Überwachung und Beaufsichtigung erheischt" worden. Darin sei "ein Nachteil für die Kriegsmacht des Reichs und damit notwendig ein Vorteil für die mit Deutschland im Kriege befindlichen Mächte zu erblicken."

Offenbar aus christlicher Überzeugung heraus hatte der Gefreite Robert Albrecht, Angehöriger des Jesuitenordens, 1942 Kontakt mit der Young Men 's Christian Association (YMCA) aufgenommen und die Pläne der Wehrmachtführung geschildert, britische Kriegsgefangene "arabischen Volkstums" als Spione anzuwerben. Dem YMCA-Vertreter schlug er vor, mit der Schutzmacht Schweiz Kontakt aufzunehmen. Er wollte also, in den Worten des Reichskriegsgerichts vom 5. August 1942, "dass Deutschland durch die Araber keine Unterstützung erfuhr, und er wollte den Feinden Deutschlands auf diese Weise Nutzen bringen."

Kontakte oder gar Überlaufen zu Partisanenverbänden waren gerade bei Soldaten der Bewährungs- oder Strafbataillone keine seltenen "Delikte". Am 4. Juni 1944 verurteilte das Gericht der 41. Festungsdivision in Griechenland gleich sechs Soldaten zum Tode. Die Hauptangeklagten, Hermann Bode und Franz Schneider, hatten in ihrer "Bewährungseinheit" das Flugblatt einer Partisanengruppe weitergereicht, das die Aufforderung erhielt, gruppenweise überzulaufen. Die beiden erklärten ihre Absicht, sich im Falle eines Feindangriffs nicht zu wehren. Die Militärrichter befanden: "Die Weitergabe des Flugblatts und das Aussprechen der vorbezeichneten Gedanken im Kameradenkreis erfüllen für sich allein bereits den Tatbestand des Vorschubleistens."

Menschlichkeit wiederum war es, die dem Soldaten Henry Landes vorgeworfen wurde. Der Mann war NSDAP-Mitglied, schloss sich aber dennoch 1943 einem illegalen Sparverein in Luckenwalde an, dessen Zweck die Unterstützung jüdischer "U-Boote" war. Nach dem Sturz des Faschismus wollte der Verein die Verwaltung der Gemeinde übernehmen. Die Klageschrift enthält Vorwürfe wie diesen: "Der Angeschuldigte Landes bewirtete die beiden Juden und gab dem (Juden) Scharf Wurst mit." Außerdem soll Landes aus dem Wehrmeldeamt Pässe entwendet haben - worin der Reichsanwalt eine "Feindbegünstigung" sah. Der auf den 23. April 1945 angesetzte Prozess fand nicht mehr statt, alle Angeklagten überlebten.

"Kriegsverrat" konnte auch Nazi-Kollaborateure treffen: Das wird zum Beispiel bei den sechs sowjetischen "Legionären" deutlich, die sich als Hilfswillige der Wehrmacht angeschlossen hatten. Das Näherrücken der Sowjetarmee versetzte sie in berechtigte Sorge vor schwerer Bestrafung. Mit Hilfe slowenischer Partisanen versuchten sie zu fliehen, wurden aber verraten und zum Tode verurteilt.

Offenbar gänzlich unpolitisch war das Motiv des Gefreiten Heinz Knopf, der im Dezember 1943 auf dem Schwarzmarkt in Krakau zwei Pistolen gegen Damenstiefel eintauschen wollte und dabei an V-Männer geriet. Das Reichskriegsgericht urteilte am 28. August 1943, die in der Hand von Polen befindlichen Waffen hätten "eventuell gegen Deutschland zur Anwendung kommen" können - das reichte bereits für ein Todesurteil.

Was allen diesen Fällen gemein ist: Die Betroffenen waren Soldaten, die nicht so funktionierten, wie es die Nazis erwarteten, und sie wurden allesamt Opfer der verbrecherischen Wehrmachtjustiz, ohne nur den Hauch einer juristischen Fairness. In keinem der von Wette nachgewiesenen Fälle haben die "Taten" der Naziopfer irgendjemandem Schaden zugefügt. Warum also nicht endlich die Rehabilitierung?

Auf eine entsprechende Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion antwortete die Bundesregierung im Jahr 2006, es komme "darauf an, ob infolge des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevölkerung und/oder deutschen Soldaten zu beklagen waren" (Bundestagsdrucksache 16/1849).

Im vorigen Jahr brachte die Linke dann einen Antrag in den Bundestag ein, der die pauschale Rehabilitierung vorsieht, und der im Mai dieses Jahres zu einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages führte. Dabei wurden die Linien deutlich: FDP und Union bestehen weiterhin auf einer Einzelfallprüfung, weil angeblich nicht ausgeschlossen werden könne, dass durch den Verrat militärischer Geheimnisse unbeteiligte Menschen zu Schaden gekommen sein könnten. Die Grünen befürworten den Linken-Antrag, und auch die SPD neigt mittlerweile der pauschalen Urteilsaufhebung zu. Immerhin hatte sie als Sachverständige ausgerechnet Wolfram Wette und Manfred Messerschmidt geladen, die beide ausdrücklich die Linken-Forderung teilen.

Die Gegenposition nahmen die von der Union geladenen Sachverständigen ein: Rolf-Dieter Müller, wissenschaftlicher Direktor im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, und der Mainzer Historiker Sönke Neitzel.

Beide verwendeten viel Mühe darauf, den einen oder anderen Fall auszugraben, in dem Kriegsverräter die berüchtigten "zusätzlichen Opfer" unter Unbeteiligten hervorgerufen haben. Neitzel berichtete von einem Piloten, der sich im Frühjahr 1943 nach Großbritannien absetzte, um dort technische Details der deutschen Luftabwehr zu verraten. Das wiederum habe den alliierten Verbänden erlaubt, die Operation Gomorrha durchzuführen, der im Sommer 1943 mehrere zehntausend Einwohner Hamburgs zum Opfer fielen. In einem anderen Fall habe ein gefangener Marineangehöriger präzise Angaben über einen - angeblich nur als Defensivwaffe einsetzbaren - U-Boot-Torpedo gemacht. Folge: Die Alliierten konnte Abwehrmaßnahmen entwickeln. "Mindestens ein halbes Dutzend deutscher U-Boote im Zeitraum von Frühjahr bis Herbst 1944" wäre nicht versenkt worden, hätten die deutschen Kriegsgefangenen nicht über den Torpedo geplaudert, so Neitzel.

Rolf-Dieter Müller zweifelte die moralische Integrität der "Kriegsverräter" an. Dazu schilderte er den Fall des Nazi-Generals Edgar Feuchtinger, dessen "Kriegsverrat" darin bestanden habe, seiner Freundin Wehrmachts-Treibstoffhefte zuzuschustern und ihr in Briefen militärische Geheimnisse mitzuteilen. Der Hinrichtung entging er nur knapp.

Soldaten, die das Gewehr umdrehten, begegnet Müller mit dem größten Misstrauen - ein größerer "Verrat" ist wohl nicht vorstellbar. "Wer im Zuge seiner Desertion Uniform und Waffen an Partisanen übergibt, um sich deren Hilfe zu sichern, nimmt durch diesen Akt in Kauf, dass Partisanen die Möglichkeit erhalten, Angehörige der regulären Armee in den Hinterhalt zu locken", dozierte er.

Zum Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), das deutsche Kriegsgefangene im Kampf gegen die Wehrmacht umfasste, sagte er. "Soweit sich die Tätigkeit der Aktivisten auf Frontpropaganda beschränkt hat, wird man aus heutiger Sicht diese Fälle von 'Kriegsverrat' als politisch legitimen Widerstand beurteilen können". Aber: "Soweit sie aber teilweise in deutscher Uniform und bewaffnet Partisanen sowie die Rote Armee unterstützt haben, wird das Urteil differenziert ausfallen müssen", so Müller, der anschließend einige "Kommandoaktionen" aufzählt, die er wohl nicht für rehabilitierungswürdig hält, etwa heimliche Frontüberschreitungen und Gefangennahme von Wehrmachtssoldaten, das Umleiten deutscher Truppen in falscher Richtungen oder das Stiften von Verwirrung und Panik.

Doch warum sollten solche Handlungen nicht anerkennenswert sein? Ganz offenkundig geht es hier ans Eingemachte. Wer Juden half oder Flugblätter verteilte, dem mag man nichts vorwerfen aber mit der Waffe in der Hand gegen deutsche Soldaten zu kämpfen - das mögen konservative Deutsche bis heute nicht hinnehmen, das riecht offenkundig immer noch so sehr nach Verrat, dass das unmöglich "anständig" gewesen sein kann.

Auch das Argument, dass mancher Kriegsverrat den Effekt hatte, den Krieg zu verkürzen, mochten Neitzel und Müller nicht gelten lassen, und verwiesen einmal mehr darauf, das hätten die meisten Kriegsverräter gar nicht im Sinn gehabt, sie hätten lediglich aus Opportunismus gehandelt. Sie gaben sich aber nicht damit zufrieden, den Eindruck zu erwecken, die meisten Kriegsverräter seien eben doch nur einfache, egoistische Verräter gewesen. Nein, Müller ging noch einen Schritt weiter und ließ sich zu folgender Äußerung hinreißen, offenbar von linken und grünen Positionen gereizt, und fragte in die Runde: "Gibt es für einen Widerstand, egal wie motiviert er ist, gibt es da überhaupt gar keine Grenzen, weder vor Frauen und Kindern oder eben gegenüber den Kameraden, mit denen man zusammen jahrelang Krieg geführt hat?" Nicht einmal die Nazijustiz hatte behauptet, dass sich Kriegsverräter an Frauen und Kindern vergangen hätten.

Manfred Messerschmidt, der Doyen der deutschen Militärgeschichtsschreibung, schrieb dagegen Müller ins Stammbuch, dass gerade deutsche Soldaten allen Grund zum Verrat gehabt hätten. Deshalb finde er "diese Schnüffelei nach den Motiven der Leute" so ärgerlich. "War er nur ein starker Gegner des Regimes oder hat er sich geärgert, weil er dienstlich falsch behandelt worden ist, hat er zu wenig zu fressen gekriegt oder was auch immer? Er ist weg gegangen" - das, was getan worden sei, um das Regime zu beenden, sei richtig gewesen, "was im Einzelnen mancher auch nebenher gedacht haben mag."

Doch Müller steht noch im Kalten Krieg. Ausführlich widmete er sich dem Umstand, dass die NVA mehrere Kasernen und Einheiten nach Angehörigen des NKFD benannt hatte. Das werde "in dem Buch von Wolfram Wette und in der Vorlage der Partei DIE LINKE nicht genannt". Beide legten es offenbar darauf an, so der um die Ecke denkende Müller, "unbescholtene ehemalige Wehrmachtssoldaten unter Generalverdacht zu stellen und 'die Helden der NVA' als moralische Sieger hervorheben zu können." Da schien auch Wette nicht mehr zu wissen, ob das nun dumm oder dreist ist.

Die "konstruktiv" gewendete Forderung von Neitzel und Müller: Die - von Wette/Bald vorgenommene - Auswertung der Akten des Reichskriegsgerichtes genüge nicht. Erst müssten auch noch die 180.000 Akten der Feldgerichte ausgewertet werden. Damit verschöbe sich eine Rehabilitierung um einige Jahrzehnte.

Wette hingegen forderte erneut: jeder deutsche Soldat, der sich diesem von Deutschland verschuldeten Verbrechen zu verweigern, zu entziehen oder sein Ende zu beschleunigen versuchte, verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung."

Eine Einzelfallprüfung lehnte Ludwig Baumann, Sprecher der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz, klar ab: "Wenn kein Soldat sich je zu fragen lassen brauchte, warum er den Krieg mitgemacht hat, dann werden wir, die sich dem Krieg verweigert haben, niemals einen Antrag stellen auf Einzelfallprüfung." Baumann ahnt auch, warum es schwer ist, Kriegsverräter zu ehren: Weil Deutschland selbst Angriffskriege führt, weil es im Bündnis mit den USA steht, die sich sogar noch einen Atomkrieg vorbehalten, kurz: Weil Kriegsverrat eine Friedenstat sei, eine aktuelle Herausforderung.

Aber. "Was ist schlecht am Verrat eines Vernichtungskriegs?"


Frank Brendle ist ZivilCourage-Redakteur und aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.


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Kriegsverrat

Der Tatbestand "Kriegsverrat" tauchte erstmals 1872 im neu geschaffenen Militärstrafgesetzbuch des Kaiserreichs auf. Er bezog sich auf Landesverrat, der von Soldaten während eines Krieges ("im Felde") begangen wurde. Darauf stand "Zuchthaus nicht unter zehn Jahren", für 12 im Einzelnen bezeichnete Handlungen war im Kaiserreich die Eidesstrafe vorgesehen, beispielsweise das Zerstören von Wegen oder Telegraphenanstalten oder das Verraten von Parolen.

Diese konkreten Deliktbeschreibungen wurden von den Nazis ersatzlos gestrichen. 1934 hieß es nur noch lapidar (Paragraph: 57 MStGB): "Wer im Felde einen Landesverrat nach Paragraph 91 b des Strafgesetzbuches begeht, wird wegen Kriegsverrats mit dem Tode bestraft." Besagter Paragraph 91 b war ein Gummiparagraph: Er enthielt die Wendung, "der feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder der Kriegsmacht des Reiches oder seiner Bundesgenossen einen Nachteil zuzufügen." Ab 1940 wurde auch die "Nichtanzeige eines Kriegsverrats" mit dem Tode bestraft. Eine "Korrekturklausel", die in minder schweren Fällen den Verzicht auf die Todesstrafe ermöglicht hätte, enthielt der Paragraph nicht.

Was genau nun als Kriegsverrat galt, konnten die Nazi-Militärrichter in "elastischer Rechtsprechung" definieren. Je länger der Krieg dauerte, desto weiter wurde die Bestimmung ausgelegt. Erich Schwinge, führender Kommentator des Militärstrafgesetzbuches, bezog auch "pazifistische Propaganda" oder "Störungen des Wirtschaftslebens" mit ein. 1944 hielt er fest: "Seit dem Krieg mit Russland genügt jegliche Unterstützung der Ziele des Bolschewismus."

Frank Brendle


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2008, S. 22-24
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
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KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2008