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BERICHT/191: Anti-Rekrutierung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Anti-Rekrutierung

Von Frank Brendle


"Sag, wo die Soldaten sind" war das Seminar des DFG-VK-Bildungswerks Hessen zu den Rekrutierungsmaßnahem der Bundeswehr betitelt, das Ende März in Frankfurt am Main stattfand.

Die Frage ist keineswegs rhetorisch: Die Bundeswehr hat immer mehr Schwierigkeiten, ihre Reihen aufzufüllen. Wehrpflichtige werden zwangsweise zugeführt, Berufssoldaten bleiben bis zur Pensionierung, aber die Masse der Soldaten (über 130.000 von 250.000) besteht aus Soldaten auf Zeit, die nach vier bis zwölf Jahren ausscheiden. Deswegen müssen weit über 20.000 Frauen und Männer jährlich neu geworben werden.

Aber: Von 23.000 Stellen konnten im Jahr 2006 nur 20.750 besetzt werden. Es hatten sich zwar 36.000 BewerberInnen gemeldet, aber fast die Hälfte schied aus, wegen mangelnder körperlicher oder intellektueller Tauglichkeit. Weiteres Alarmzeichen: Im vergangenen Jahr sind die Gesamtzahlen der Bewerber auf 31.000 zurückgegangen.

Den idealen Soldaten von morgen beschreibt der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn mit Vokabeln wie: "hohe interkulturelle und soziale Kompetenz", "kommunikativ und gleichermaßen konflikt- wie konsensfähig", "lernwillig und lernfähig", "gefestigte Persönlichkeit mit emotionaler und moralischer Stabilität" usw. - eine wahre Traumgestalt. Handfester und fachlicher drückt das der Inspekteur des Heeres Hans-Otto Budde aus: "Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann."

Doch es wird eng, sowohl was den archaischen Kämpfer angeht als auch den interkulturell befähigten High-Tech-Krieger. Seit Jahren klagt der Wehrbeauftragte, es fehle "an hinreichend qualifizierten und zugleich auslandsverwendungsfähigen Soldaten." Die Personallücken entstehen zum Teil erst durch die Auslandseinsätze, gerade was die Spezialisten angeht: Der Wehrbeauftragte nennt Heeresflieger, Feldjäger, Klimaanlagenmechaniker, Brandschutzexperten, Telekommunikations- und Fremdsprachenexperten, Wasseraufbereiter. Am stärksten ist der Mangel im Sanitätsbereich, wo die Auslandseinsätze eindeutig eine Auszehrung der Inlandsversorgung bewirken. Es fehlt an Fachpersonal, Anästhesisten, Intensiv- wie Allgemeinmedizinern. Die Hochqualifizierten, die noch da sind, müssen sich überdurchschnittlich lange im Ausland aufhalten, und was das für die Berufszufriedenheit aller Betroffenen bedeutet, lässt sich denken.

Die demographische Entwicklung bereitet der Bundeswehr derzeit die meisten Probleme. Es steht fest, dass die Anzahl der einberufbaren Jugendlichen in den nächsten Jahren rasant zurückgeht. Gemessen am Stand von 2007, wird es im Jahr 2013 zehn Prozent und im Jahr 2020 20 Prozent weniger Schulabgänger geben. Besonders stark ist der Rückgang im Osten Deutschlands, wo ein Rückgang auf zwei Drittel abzusehen ist. Da schrillen beim Militär alle Alarmglocken: Denn ein Drittel aller Bewerber kommt aus den neuen Bundesländern (obwohl dort nur rund ein Fünftel der Jugendlichen wohnt).

Weitere Auffälligkeit: Es wird auch in Zukunft fast so viele Abiturienten geben wie heute, der Rückgang bei Schulabgängern wirkt sich dafür bei Haupt- und Realschülern umso massiver aus. Offenbar wird das Gymnasium verstärkt als soziale Warteschleife genutzt. Das kann aber ebenfalls "negative" Auswirkungen auf das Bewerberpotenzial der Bundeswehr haben. Im Jahr 2006 hatten nämlich nur 14 Prozent der neu Eingestellten Abitur, 62 Prozent Mittlere Reife und 22 Prozent einen Hauptschulabschluss (beim Fußvolk - Mannschaften bis Unteroffiziere - ist die Abiturientenquote rund neun Prozent).

Den "Wettbewerb um die jungen Talente am Arbeitsmarkt" soll das vor zwei Jahren geschaffene Zentrale Messe- und Eventmarketing (ZeMEMBw) gewinnen helfen. Es soll sowohl die Verteidigungsmoral der Bevölkerung heben, als auch die Bereitschaft zum Dienst in den Streitkräften befördern. So touren so genannte Karriere-Trucks durch die Republik: Drei Riesen-LKWs, von denen einer als Kino- und Vortragssaal dient, um Schulklassen zu agitieren; in weiteren Lastern finden Beratungsgespräche statt und wird Material präsentiert. Fünf Wehrdienstberater und ein Dutzend "einfache Soldaten" stehen zur Verfügung, um "authentische Einblicke in den Alltag der Truppe" zu ermöglichen, wie es heißt. Ganz wichtig bei all dem ist, das Militärische durch ziviles Beiwerk aufzupeppen und eine gute Show zu liefern: mit Kletterwand, Konzerten und anderen Events. In diesem Jahr ist die "Karriere-Tour" 41-mal in den Städten anzutreffen, meist auf zentralen Plätzen, die Kosten sind mit 1,3 Millionen Euro über 30 Prozent höher als im Vorjahr. Die Preissteigerung geht allein auf die Stärkung der "Eventmodule" zurück.

Währenddessen gehen die Zentren für Nachwuchsgewinnung systematischer vor: Mit ihren Infoständen bzw. Infomobilen besuchen sie gezielt Ausbildungsmessen, Jobbörsen, Jugendmessen usw. - Orte also, an denen arbeitssuchende Jugendliche anzutreffen sind oder zumindest deren Eltern. 600 Messen stehen in diesem Jahr auf der Agenda der Personalwerber.

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SOWI) geht davon aus, dass neun Prozent der männlichen Jugendlichen zum Kernpotenzial der Interessierten zählen. Dieses gilt es auszubauen und dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen den Schritt zur Bewerbung auch tatsächlich machen. Aber wie? In einer Studie von Ende 2007 stellt das SOWI fest: Jugendliche wollen Jobs mit hohem sozialen Prestige, in denen man "selbständig planen und entscheiden" könne, "gute Vorgesetzte" habe, "nette Kollegen", eine "herausfordernde und interessante Tätigkeit".

Niederschmetternd ist für die Militärs, was die Jugendlichen auf die Frage antworten, wie sie sich einen typischen Soldaten vorstellen: zwar "stark und körperlich fit" (was für ein Irrtum!), aber: nicht sehr intelligent, wenig gebildet, wenig kreativ, wenig tolerant, wenig einfühlsam, wenig fachlich kompetent. Daran muss gearbeitet werden, und dafür sind die Karriere-Touren geschaffen worden. Sie sollen den Jugendlichen vorgaukeln, die Bundeswehr sei ein toller Arbeitgeber. Zugleich sollen sie den Eltern die Legitimität der Streitkräfte deutlich machen, damit sie ihrem Nachwuchs auch gut zureden. Speziell "für die jugendlichen Freunde und Partner wären jugendgerecht gestaltete Internetseiten und Veranstaltungen mit einem höheren Unterhaltungswert zu empfehlen", so das SOWI. Dafür ist unter anderem das "Jugendmarketing" der Bundeswehr zuständig. Es veranstaltet regelmäßig Musik- und Sportwettbewerbe, in diesem Jahr z.B. "Bw-Olympix" Ende Mai an der Militärsportschule in Warendorf 1.200 Jugendliche können dabei teilnehmen, Alter: 16 und 17. Es geht, so die Bundesregierung, darum, "das Interesse am Arbeitgeber, am freiwilligen Dienst in den Streitkräften" zu wecken.

Als Achillesferse entpuppen sich die Auslandseinsätze. Selbst die militärinteressierten Jugendlichen beschränken ihr Interesse weitgehend auf ihr berufliches Vorankommen, auf Militärtechnik und Bewaffnung. An "Einsätzen" im Inland haben nur 44 Prozent ein Interesse, an Auslandseinsätzen gar höchstens 38 Prozent. Und: Immer, wenn die Medien über zu Tode gekommene Bundeswehrsoldaten in Afghanistan berichten, geht das Interesse Jugendlicher schlagartig zurück. Danach steigt es wieder, aber die Tendenz geht bekanntlich zu "robusteren", sprich "tödlicheren" Einsätzen.

Die Wirklichkeit ist vom Ideal weit entfernt. Nicht die fitten Lichtgestalten bewerben sich, sondern die Arbeitslosen. Das zeigen schon die Bewerberzahlen aus Ostdeutschland, aber auch im Westen flüchten Jugendliche aus der Arbeitslosigkeit in die Bundeswehr. Die nutzt die Chance und ist flächendeckend in Job-Centern und Berufsinformationszentren vertreten - in der Regel findet einmal monatlich eine Informationsveranstaltung statt, in manchen Städten gibt es feste Bundeswehrbüros im Arbeitsamt. In Berlin, Sachsen und Thüringen sind Agenturmitarbeiter in den Kasernen geschult worden, um ihren "Kunden" einen Job beim Militär schmackhaft zu machen. Die Hartz-IV-Gesetzgebung kommt dem entgegen, da Jugendliche weniger Arbeitslosengeld II erhalten und nicht von zu Hause ausziehen dürfen

Seit neuestem ist auch amtlich, dass Arbeitsangebote im zivilen Bereich bei der Bundeswehr (Verwaltung, Technik) als "zumutbar" gelten, bei Verweigerung droht also Hartz-IV-Sperre. Hiergegen werden sich Friedens- gemeinsam mit Erwerbslosengruppen unbedingt wehren müssen.

Die Bundeswehr hätte zwar lieber höher qualifizierte Frauen und Männer, die kriegt sie aber nicht, weil die lieber in die weitaus besser zahlende und nicht so gefährliche Privatwirtschaft gehen. Nur wer dort keine Chance hat, geht zur Truppe, um eine Ausbildung zu machen, dafür muss er sich für vier bis zwölf Jahre verpflichten und mindestens ein Jahr im Ausland verbringen. Es sind also die sozial Marginalisierten (vulgo: Proletarier), die für die Reichen die Kohlen aus dem Feuer holen bzw. Ressourcenzugänge und Transportwege erkämpfen sollen.

Frank Brendle ist aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg und ZivilCourage-Redakteur.



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Intervenieren!

Ob Friedensgruppen arbeitslosen Jugendlichen etwas Positives zu bieten haben, ist eine offene Frage. Klar ist aber: Die Bundeswehr kann keine positive Alternative zur Arbeitslosigkeit sein. Ansätze für Antirekrutierungsarbeit sind z.B.:

• Karrieretour: Die Karriere-Trucks sind, wie übrigens auch häufig Infomobile der Zentren für Nachwuchsgewinnung, auf öffentlichen Plätzen - und zwar einige Tage lang und auch über Nacht. Da gibt es viel Spielraum für phantasievolle Aktionen

• Wenn die Bundeswehr öffentliche Plätze in Beschlag nimmt, braucht sie dafür eine Genehmigung der Stadtverwaltung - das bietet die Chance, das Thema auf die Tagesordnung des Kommunalparlaments zu bringen.

• Jugendliche reagieren sensibel auf Meldungen über "gefallene" Soldaten im Ausland, sie verdrängen die Gefährlichkeit des "Jobs" aber auch schnell - man sollte sie also ruhig daran erinnern.

• Von wegen "nette Kollegen" und "gute Vorgesetzte" - den miesen Alltag bei der Truppe zu schildern kann auch schon einige Jugendliche abschrecken.

• Die Bundeswehr schreibt Schulen an, um sie zu den Karrieretrucks zu locken - auch hier können SchülerInnen und LehrerInnen ansetzen und Diskussionen führen.

• Ideen zu praktischen Störmanövern findet man z.B. unter www.bundeswehr-wegtreten.org

• Eine komplette Auflistung aller anstehenden Reklameeinsätze findet sich in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Ulla Jelpke (Linksfraktion):
http://dip2l.bundestag.de/dip2l/btd/16/083/1608355.pdf


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2008, S. 4-5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2008