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BERICHT/182: Umgang der Bundeswehr mit Totalverweigerern (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 16 - IV/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Arrest ist menschenunwürdig!
Der Umgang der Bundeswehr mit Totalen Kriegsdienstverweigerern

Von Michael Behrendt und Egbert Seibertz


Dieses Jahr war für die Bundeswehr eines der direkten Auseinandersetzung mit Pazifisten und Antimilitaristen in den eigenen Reihen. Wir reden hier nicht über Offiziere, die im Rahmen ihrer offen erklärten allgemeinen Tötungsbereitschaft punktuell ihrem "Gewissen" gefolgt sind. Es geht um die konsequente Form der Kriegsdienstverweigerung, die Totalverweigerung. Über die Wehrpflicht wurden dieses Jahr drei Menschen einberufen, die sich vor bzw. nach ihrem Antrittstermin als Totalverweigerer geoutet haben.

Am 15. Mai, dem internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerer, stellte sich Jonas Grote in einer Aktion gewaltfreien zivilen Ungehorsams den Militärbehörden. Er lehnt das Zwangsdienstsystem Wehrpflicht ab, wurde am 1. April zum Grundwehrdienst einberufen und trat den Dienst nicht an, da er "aus Nächsten- und Feindesliebe mit ruhigem Gewissen keinen Kriegsdienst leisten" kann. Der Zivildienst ist für ihn "ein ziviler Kriegsdienst - ohne Waffe - und deshalb keine Alternative". Er hält die Wehrpflicht für verfassungswidrig, da sie Menschen gegen ihr Gewissen zum Kriegsdienst zwingt, Menschen ungerecht behandelt und ihre Würde verletzt. Darauf wollte er mit seiner Totalverweigerung aufmerksam machen und damit die Abschaffung der Zwangsdienste voranbringen.

Nach insgesamt 42 Tagen Bundeswehrarrest wurde Jonas auf Weisung des Bundesministeriums der Verteidigung aus der Bundeswehr entlassen. In der Entlassungsbegründung wurde darauf hingewiesen, dass nach seinem bisherigen Verhalten durch sein Verbleiben in der Bundeswehr die militärische Ordnung ernstlich gefährdet, weil andere Soldaten sein Verhalten nachahmen könnten. Aus unserer Sicht ist jedoch nicht die militärische Ordnung der Truppe in Gefahr, sondern das Grundrecht auf Gewissensfreiheit. Die Bundeswehr berief Jonas ein, obwohl er bereits bei der Musterung offen zu seiner Einstellung zum Kriegsdienst stand und dies der Militärbehörde auch mitteilte.

Alexander Hense war zum 2. Juli einberufen worden und trat den Dienst ebenfalls nicht an. Am 7. Juli wurde er um 23.30 Uhr von Feldjägern in der elterlichen Wohnung abgeholt, nach Thüringen zu seiner Grundausbildungseinheit gebracht und sofort eingesperrt.

Alexander hatte wie Jonas vor seiner Einberufung seine totale Kriegsdienstverweigerung angekündigt. Er teilte dem Kreiswehrersatzamt mit, dass er den Kriegsdienst weder antreten noch einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen werde. Wenige Tage später antwortete das Amt mit einer heimatfernen Einberufung.

Alexander und Jonas wurden nach jeweils zwei Arreststrafen aus der Bundeswehr entlassen, Alexander nach 25 Tagen, weil das Truppendienstgericht einen dritten Arrest ablehnte. Beide hatten bereits ihren Prozess vor einer zivilen Instanz. Das Nürnberger Amtsgericht verurteilte Jonas zu 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Alexander wurde vom Amtsgericht Pforzheim die Auflage erteilt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Gleichzeitig setzte das Gericht die Verhängung einer Jugendstrafe für ein Jahr aus.

Moritz Kagelmann wurde von Feldjägern am 14. Oktober gefasst und in das Luftwaffenausbildungsregiment 1 nach Strausberg in Brandenburg gebracht, nachdem er seiner Einberufung am 1. Oktober nicht Folge geleistet hatte. Er hat jeden Befehl verweigert und wird von der Bundeswehr für seine antimilitaristische Haltung mit Arrest bestraft.

Am 28.11. begann der vierte Arrest von 21 Tagen Dauer. Die vorherigen drei "Disziplinararreste" von 7, 14 und 20 Tagen haben an seiner Einstellung nichts ändern können.

Totalverweigerer werden wegen ihrer Verweigerungshaltung in der Regel mit mehreren Wochen Bundeswehrarrest bestraft, bevor sie aus der Truppe entlassen werden. Anschließend werden sie zusätzlich wegen oft mehrerer Straftatbestände wie "Gehorsamsverweigerung", "eigenmächtige Abwesenheit" und "Fahnenflucht" vor Gericht gestellt und abgeurteilt.

In der Bundeswehr wird der Umgang mit Totalverweigerern weder thematisiert noch in Frage gestellt. Totalverweigerer, die in der Bundeswehr arrestiert wurden, berichten uns in Einzelfällen auch von Übergriffen, Beleidigungen und Bedrohungen. Sie erfahren über die "Wehrdisziplinarordnung" (WDO) rechtlich geregelt eine ganz spezielle und verwerfliche Behandlung. Die UMO dient der "Disziplinierung" (Maßregelung, Bestrafung) von Soldaten. Sie bietet somit dem Militär die Möglichkeit, Totalverweigerer, die in die Bundeswehr einberufen werden oder wurden, außerhalb und zusätzlich zur geltenden zivilen Rechtsprechung für ihr "abweichendes Verhalten" zu bestrafen.

Aus unserer Sicht ist es prinzipiell zu verurteilen, dass ein Mensch, der sich nicht dem militärischen Zwang unterwirft, mit Einzelhaftbedingungen gefügig gemacht werden soll, auch wenn dies durch Soldatengesetz oder eine Disziplinarordnung erlaubt ist. Neben Totalverweigerern sind auch Soldaten von dieser Maßnahme betroffen. Im Jahr 2001 gab es insgesamt 2.811 Fälle, in denen aus unterschiedlichen Gründen Disziplinararrest verhängt wurde. (Bundestagsdrucksache 14/8815). Im Jahr 2005 wurden trotz Truppenreduzierung und geänderter Einberufungskriterien immer noch mehr als 800 Fällen mit bis zu 21 Tagen Bundeswehrarrest bestraft.

Unabhängig von dem Ziel, junge Männer mit disziplinarischen Mitteln gegen ihre Überzeugung zum Dienst an der Waffe und zum Gehorsam zu zwingen, muss von der Bundeswehr erwartet werden, dass sie Grundregeln des humanitären Umgangs berücksichtigt. Wir lehnen die Bundeswehr als gewalttätige Institution ab, aber verlangen trotzdem, dass sie Grund- und Menschenrechte achtet. Aus Erfahrungsberichten und Beobachtungen bei Besuchen von Arrestanten wissen wir, dass der Arrest vielfach gegen diese Rechte verstößt.

Die Bestrafungen, die Totalverweigerer im Militär erfahren, sind weitestgehend bekannt. Die etwa 10 qm große Arrestzelle ist im allgemeinen mit einem Stuhl, Tisch, WC und Pritsche ausgestattet. Die Pritsche soll tagsüber hochgeklappt sein. Hoch gelegene, vergitterte und/oder Milchglasfenster verhindern den Außenkontakt. Hat das Wachpersonal Lust dazu, wird der Arrestant schon mal zum Fernsehen eingeladen. Unter den Bedingungen der Isolationshaft, die der Bundeswehrarrest faktisch darstellt, können manche nicht auf die menschliche Gesellschaft ihrer Freiheitsberauber verzichten. Der Umgang des Wachpersonals ist auch mit den vorhandenen Regelungen willkürlich und unterscheidet sich von Bewacher zu Bewacher. Dem Arrestanten steht täglich maximal eine Stunde bewachter Hofgang zu. Einmal wöchentlich darf er für höchstens eine Stunde Besuch empfangen.

Diese Willkür hat den Zweck, die Arrestierten zu zermürben. Unsicherheit erregt seelischen Stress. Isolation ist als eine Form des Reizentzugs dazu geeignet, die Wahrnehmung und den Wirklichkeitsbezug herabzusetzen oder zu verschieben. Oft (letztlich immer) wird der Mangel an Außenreizen durch selbsterzeugte Reize ersetzt. Erste Erscheinungen davon sind zum Beispiel vermehrte Selbst-Gespräche, bei schwerem Reizentzug, zum Beispiel Dunkelhaft, können echte Halluzinationen auftreten. Totalverweigerer werden zum Glück nicht mit Dunkelhaft bestraft, trotzdem werden sie bewusst in eine äußerst schwierige Situation gebracht. Solche Bedingungen können als Misshandlung oder unter Umständen als Folter bezeichnet werden.

Die Bundeswehr "hält" ihre Arrestanten unter grenzwertigen Bedingungen. Verglichen mit den Bedingungen in anderen Haftanstalten ist der Bundeswehrarrest deutlich schärfer. Totalverweigerer werden zu mehreren aufeinanderfolgenden Arresten verurteilt, um Gehorsam zu erzwingen. Das führt zu Gesamtarrestzeiten von üblicherweise drei mal drei Wochen, teilweise auch mehr. Unter solchen Bedingungen können, wie bei Folter, bei Arrestanten in Extremfällen Anzeichen vorübergehender Haftpsychosen auftreten.

Der Übergang zu groben Methoden der Misshandlung durch Arrest, Haft und Haftbedingungen ist fließend. Auf alle Fälle versucht die Bundeswehr, das Mittel des Disziplinararrests dazu zu nutzen, den Willen des Totalverweigerers zu brechen.

Weder aus unserer Beratung noch durch Berichte anderer Gruppen ist uns auch nur ein einziger Fall bekannt, in dem die Bundeswehr mit Arrest erreicht hätte, dass ein Totalverweigerer den Dienst in der Bundeswehr doch bejaht.

Zur weiteren Erschwerung der Situation der Totalverweigerer im Arrest trägt die Bestrafung deshalb bei, weil die Totalverweigerung aus guten Gründen und mit reinem Gewissen erfolgt. Vor diesem Hintergrund erscheint diese Maßnahme - neben aller sonstigen Menschenunwürdigkeit - als völlig verfehlt. Diese Art von "Erzwingungshaft" gegen Totalverweigerer im Bundeswehrarrest muss bekämpft und abgeschafft werden.


Michael Behrendt ist aktiv bei der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär in Berlin. Dr. Egbert Seibertz ist forensischer Psychologe und arbeitet praktisch auf dem Gebiet der Glaubhaftigkeit. In diesem Rahmen hat er auch immer wieder beruflichen Kontakt mit Gefangenen und deren Lebenswirklichkeit.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 16, IV/2007, S. 33-34
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2008