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AKTION/055: Das Kriegsgeschäft stoppen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Das Kriegsgeschäft stoppen
Treffen der War Resisters' International in Südkorea

Von Gernot Lennert


Im Oktober traf sich in Seoul der Rat War Resisters' International, gefolgt vom internationalen Seminar zu Waffenhandel und Kriegsprofiten "Stopping the War Business". Die Erkenntnisse aus dem Seminar wurden anschließend in politische Aktion umgesetzt: in einem Protest gegen die Rüstungsmesse Adex - alles perfekt organisiert von unserer südkoreanischen Partner- und WRI-Mitgliedsorganisation (Jeonjaeng eobsneun Sesang/World Without War).


Zum Rat der WRI gehören zwölf individuell gewählte Mitglieder sowie die Vorsitzende und der Schatzmeister. Jede Sektion, darunter auch die DFG-VK, für die diesmal ich teilgenommen habe, kann eine VertreterIn entsenden.

Der Tagungsort Seoul zeigt, wie sehr sich die WRI globalisiert hat. Auch als über mögliche Orte für die nächsten Ratstreffen und die nächste Konferenz gesprochen wurde, wurde neben Nepal und drei lateinamerikanischen Ländern lediglich ein europäischer Tagungsort in Betracht gezogen: Istanbul. Die WRI-Konferenz 2021 soll in den Niederlanden stattfinden, wo 100 Jahre zuvor die WRI gegründet worden war.

An die Stelle weltweiter WRI-Arbeitsgruppen zu Lateinamerika und Afrika sind nun lateinamerikanische und afrikanische Netzwerke getreten. Das Europäische Antimilitaristische Netzwerk widmet sich direkten Aktionen gegen Militäreinrichtungen und Manöver.

Globalisierung der WRI bedeutet allerdings nicht, dass sie überall in der Welt gleichermaßen präsent ist. Osteuropa (vom ehemaligen Jugoslawien abgesehen) und Japan sind besonders schmerzliche Lücken im WRI-Netzwerk. Aus Europa, dem früheren Kerngebiet der WRI, hatten diesmal nur vier Sektionen eigene Vertreter (zusätzlich zu den individuellen Ratsmitgliedern) entsandt: die DFG-VK und der BSV (Bund für Soziale Verteidigung) aus Deutschland, Pais aus den Niederlanden und Aseistakieltäytyjäliitto (Kriegsdienstverweigererbund) aus Finnland. Neu aufgenommen wurden Organisationen aus Nepal, Kolumbien und Kroatien. Es fallen allerdings auch immer wieder Mitgliedsgruppen weg, die ihre Arbeit eingestellt haben oder zu denen kein Kontakt mehr herstellbar ist. Während traditionsreiche Sektionen in Westeuropa Schwierigkeiten haben, jüngere Leute für sich zu gewinnen, waren beim Ratstreffen überwiegend jüngere Aktive versammelt.

Gegen die Militarisierung der Jugend

Countering the Militarisation of Youth (CMOY) ist ein im Ausbau befindlicher Programmschwerpunkt im WRI-Büro, zusätzlich zu Gewaltfreiheit und Recht, das Töten zu verweigern (Right to Refuse to Kill). Im November 2015 hat die vom WRI-Büro koordinierte Internationale Aktionswoche gegen die Militarisierung der Jugend stattgefunden, mit Aktionen und Veranstaltungen in Deutschland, Finnland, Großbritannien, Katalonien, Kolumbien, Nepal, Neuseeland, Schweden, den USA (New York, Wisconsin, Guam) und der Türkei. Für 2016 wird wieder eine internationale Fachtagung zum Thema angestrebt, wie sie 2012 in Darmstadt stattgefunden hat.

700 Kriegsdienstverweigerer in Haft in Südkorea

Südkorea erkennt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in keiner Form an, auch nicht das eingeschränkte Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen mit Ersatzdienstzwang. Mehr als 700 Kriegsdienstverweigerer sind im Gefängnis, die überwältigende Mehrheit Zeugen Jehovas, aber auch einige nicht-religiös motivierte politische Verweigerer. Anderthalb Jahre Haft ist die Standardstrafe.

Eine Delegation der WRI, bestehend aus Ratsmitgliedern aus Südkorea, der Türkei, Südsudan und den Niederlanden sowie mir für die DFG-VK, hat einen Verweigerer im Gefängnis besucht, der kurz vor der Entlassung stand. Er bedankte sich für die Unterstützung, namentlich aus Deutschland.

Das Besucherzentrum des Gefängnisses wirkte erstaunlich wenig gefängnisartig, war aber typisch fürs moderne Seoul: hell und freundlich, mit Fernsehschirm, elektronischen Anzeigen, Läden und Computer-Terminals mit kostenlosem Internetzugang, eher wie ein Bahn-Reisezentrum oder Einkaufszentrum. Die enge Besuchszelle mit dem Gefangenen hinter einer dicken Glasscheibe und Gitter erinnerte dann wieder daran, wo wir uns befanden.

Am Internationalen Tag der Gefangenen für den Frieden am 1. Dezember werden dem südkoreanischen Kriegsminister Unterschriften für die Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung überreicht, die in einer gemeinsamen Kampagne von WRI, (Jeonjaeng eobsneun Sesang/World Without War), Connection und Amnesty International gesammelt wurden.

Andere Neuigkeiten zur Kriegsdienstverweigerung kommen aus Nepal: Dort hatte die maoistische Partei vorgeschlagen, den Zwang zum Kriegsdienst einzuführen, scheiterte aber damit.

Seminar: Stopping the War Business

Beim gemeinsamen Seminar von WRI und den beiden südkoreanischen Organisationen World Without War und Women Making Peace beleuchteten ReferentInnen aus allen bewohnten Erdteilen unterschiedliche Aspekte der Profitmacherei durch Krieg und Militarisierung, nicht nur durch Waffenhandel, mit Beiträgen u.a. zur Militarisierung der Polizei in den USA, zu Ressourcenausbeutung und Militarisierung in Venezuela, zu Profiten von Konzernen durch Krieg und Besatzung am Beispiel Westpapuas, zum Südsudan-Waffenembargo. Vorgestellt wurden auch einzelne erfolgreiche Kampagnen, z.B. gegen die Lieferung von Tränengas nach Bahrain. Stephan Brües (BSV & DFG-VK) und Gernot Lennert stellten die "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel" vor. Dass die ARD zur besten Sendezeit Spielfilm und Dokumentation mit Bezug zur Kampagne anbot, beeindruckte das interessierte Publikum.

Stop Adex

Nach einem Tag Aktionsvorbereitung protestierten wir gegen die Rüstungsmesse ADEX (International Aerospace & Defense Exhibition). Objekt des Protests war das Willkommensessen der Waffenmesse in einem Hotel. Während draußen die legale Protestkundgebung stattfand, konnten einige auch im Hotel selbst protestieren, ohne dass es dabei zu Festnahmen kam. Südkorea ist der neungrößte Waffenimporteur der Welt mit 3 Prozent des weltweiten Waffenimports.

Bei den Kundgebungen, die ich in Seoul beobachten konnte, wurde viel Wert auf starke Lautsprecheranlagen und optische Wirkung gelegt. Typisch für die jugendlichen und dynamischen Aktiven von World Without War ist, dass sie ihre Aktionen regelmäßig mit einem fröhlichen Tanz und einem Lied beenden, auch beim Protest gegen die Adex: Ein Youtube-Film vermittelt einen Eindruck von Tanz und Lied:
https://www.youtube.com/watch?-v=RIMDfrDQxTQ&list=PL573DC6398B-95D8E82

Widerstand gegen die Marinebasis auf Jeju

Ein Brennpunkt der Friedensbewegung in Südkorea ist der seit vielen Jahren andauernde gesellschaftlich breit verankerte und international unterstützte Widerstand gegen den Bau einer großen Marinebasis auf der Insel Jeju im äußersten Süden Koreas. Der Marinestützpunkt, der fast fertiggestellt ist, trifft auf erhebliche Ablehnung in der Bevölkerung. Jeju wird in ganz Südkorea als landschaftlich außergewöhnlich schöne Insel geschätzt, so dass sowohl aus friedenspolitischer als auch aus umweltpolitischer Sicht die Basis abgelehnt wird. Historisch ist das Verhältnis zwischen Staat und Inselbevölkerung belastet. 1948 hatte der südkoreanische Staat mit äußerster Brutalität einen Aufstand auf der Insel niedergeschlagen, bei dem 30.000 Menschen, 10 Prozent der Inselbevölkerung getötet wurden.

Die militärische Hauptkonfrontationslinie auf der koreanischen Halbinsel ist die Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Damit hätte aber eine Marinebasis auf Jeju relativ wenig zu tun. Sie wäre wichtiger im Kontext der Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik China. Von Jeju aus könnte die Bewegungsfreiheit der chinesischen Flotte eingeschränkt werden. Deshalb wird befürchtet, dass die Basis Frieden und Sicherheit in Ostasien bedrohen wird und zur Konfrontation Südkoreas mit der VR China führen könnte.

Problematik der US-Truppen

Ein weiteres Thema für die südkoreanische Friedensbewegung sind die im Land stationierten US-Truppen. Für Verärgerung sorgt, dass das US-Militär die Umwelt vergiftet, dass Südkorea für einen Teil der Stationierungskosten aufkommt, dass US-Militär-Angehörige nicht der koreanischen Gerichtsbarkeit unterliegen und nicht immer für Verbrechen oder für Verkehrsunfälle mit koreanischen Todesopfern bestraft werden, und dass die südkoreanische Souveränität eingeschränkt ist. Dass das US-Militär Anthrax-Bakterien zu US-Basen in Korea brachte (übrigens auch in sieben weitere Länder, darunter Deutschland), stieß auf große Empörung. Der südkoreanischen Regierung wird vorgeworfen, gegen all dies nichts zu tun. Friedensbewegte in Südkorea wünschen langfristig den Abzug der US-Truppen, sie konzentrieren sich jedoch auf kurzfristigere Ziele. Sie fordern Aufklärung darüber, warum Anthrax nach Korea gebracht wurde und was damit geplant ist. Das Truppenstationierungsabkommen (Statute of Forces Agreement) soll möglichst weit revidiert werden, um die genannten Missstände zu beseitigen.

Lebendige Protestkultur

Beim Gang durch Seoul sah ich immer wieder Informationsstände und Kundgebungen. Eine so lebendige politische Kultur ist keineswegs selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass Südkorea lange Zeit eine Militärdiktatur war, dass die Demokratisierung erst 1987 begann und dass gegenwärtig wieder konservative Kräfte unter der Präsidentin Park Geun-hye (transliteriert: Bak Geun-hye), der Tochter des früheren Militärdiktators Park Chunghee (Bak Jeong-hui), regieren, die unter anderem dafür sorgen wollen, dass in Schulbüchern und dergleichen die Verbrechen der Militärdiktatur wieder beschönigt werden.

Die Sprachbarriere hat zumindest bei mir dafür gesorgt, dass mir vieles unverständlich blieb.

Leicht zuordnen konnte ich Auftritte transnationaler Organisationen wie Amnesty International, Greenpeace, Zeugen Jehovas und Falun Gong sowie eine gewerkschaftliche, eine homophob-christliche und eine rabiat antijapanische Kundgebung. Doch bei etlichen Versammlungen und Infoständen blieb mir unklar, was das Anliegen der oft freundlich lächelnden, aber kein Englisch sprechenden Menschen war. War es überhaupt politisch? Oder kommerziell oder karitativ?

Hangeul

Für jemanden mit wenig Zeit für Reisevorbereitung ist der fremdartige Wortschatz des Koreanischen - immerhin keine unterschiedlichen Tonhöhen wie im Chinesischen - die Haupthürde, aber nicht das Alphabet. Im Unterschied zum Chinesischen wird Koreanisch mit einem phonetischen Alphabet geschrieben, dem Hangeul. König Sejong hatte es im 15. Jahrhundert als Alternative zu den nur wenigen verständlichen chinesischen Schriftzeichen geschaffen. Hangeul sollte die Bevölkerung alphabetisieren und laut Sejong innerhalb eines Tages erlernt werden können. Das logisch und systematisch gestaltete Alphabet kann tatsächlich innerhalb von Stunden erlernt werden.

Offiziell immer Kriegszustand

Am Ende des Koreakriegs 1953 wurde lediglich ein Waffenstillstand vereinbart, jedoch kein Friedensvertrag abgeschlossen. Es kommt auch immer wieder zu Spannungen, Drohungen mit Gewalt und Schüssen. Ein Besuch der Demilitarized Zone (ein Euphemismus für das vermutlich militarisierteste Gebiet der Welt) entlang der Waffenstillstandslinie wirkt einerseits beklemmend. Andererseits war ich überrascht, dass die Touristengruppe, in der ich reiste, in der Hauptverhandlungsbaracke in Panmunjom, die genau auf der Grenzlinie steht, aufgefordert wurde, sich auf nordkoreanischem Boden unter den wachsamen Augen zweier wachsfigurenartiger nordkoreanischer Soldaten zu einem Erinnerungsfoto aufzustellen. In Seoul, einer hypermodernen hoch technisierten Glitzerwelt mit einigen historischen Palästen und Parkanlagen, wirkt die Konfrontation mit Nordkorea weit entfernt. Doch an jedem U-Bahn-Eingang ist zu lesen, dass dies auch der Weg zu einem Schutzraum ist.


Gernot Lennert ist Landesgeschäftsführer der DFG-VK Hessen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Protest gegen die Rüstungsmesse Adex
- Protest gegen die Rüstungsmesse Adex; ein Teilnehmer als Tod verkleidet, wie er in Korea traditionell dargestellt wird.
- Workshop in Seoul zur Vorstellung der "Aktion Aufschrei"
- Die britische Campaign against Arms Trade stellt sich beim Seminar vor

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016, S. 10 - 13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2016

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