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MITTELAMERIKA/120: Guatemala - Kommunale Volksbefragung zu Wasserkraft- und Bergbauprojekten


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/10

Kommunale Volksbefragung zu Wasserkraft- und Bergbauprojekten
Der Gemeinderat von Cunén fordert Mitspracherecht

Von Wiebke Schramm


Seit März 2010 begleitet pbi die Mitglieder des Gemeinderates von Cunén im Department El Quiché. Der Gemeinderat setzt sich in erster Linie für die Erhaltung der Natur und damit für die Sicherung der Lebensgrundlage der Bevölkerung ein. Er spricht sich deshalb gegen Wasserkraftwerke, Bergbau- und andere wirtschaftliche Großprojekte aus.


Cunén ist ein "Municipio" (entspricht einem Landkreis in Deutschland), das 72 Gemeinden umfasst und in dem etwa 33.000 EinwohnerInnen leben. Die Region liegt im Nordwesten Guatemalas und wird von der größten indigenen Volksgruppe, den Quiché, bewohnt.


Attraktive Region für internationale Unternehmen

Informationen über Bergbau- oder Wasserkraftwerklizenzen sind in Guatemala oft schwer zu erhalten. Dabei sollte dies mit dem im September 2008 erlassenen "Gesetz über den Zugang zu Information" erleichtert werden. Nach Angaben des Energie- und Bergbauministeriums (MEM) vom April 2010 existieren insgesamt 15 Anfragen nach Erkundungs- und Abbaulizenzen im Department "El Quiché", von denen sieben das Municipio Cunén betreffen. Insgesamt wurden drei Bergbaulizenzen (für Kalkstein, Dolomit, Gips, etc.) vergeben, zwei davon im Gebiet Cunén.

Im Bereich der Wasserkraftwerke gab es in letzter Zeit einen regelrechten Boom - neun Lizenzen wurden in der gesamten Region El Quiché dafür vergeben. Dabei kann die Effizienz der Wasserkraftwerke in Frage gestellt werden, da deren Leistungsfähigkeit zumindest während der Trockenzeiten oder Dürreperioden wie im Jahr 2009 begrenzt ist. Auf der anderen Seite verursachen sie Umweltschäden und Überflutungen in den Anbaugebieten der Gemeinden. Dieser Umstand gefährdet die Lebensmittelsicherheit und zwingt die AnwohnerInnen zur Umsiedlung. Dies erinnert an die "territoriale Umordnung" während des inneren bewaffneten Konfliktes von 1960 bis 1996. In der Zeit des Bürgerkrieges übernahm das Militär in Guatemala, vor allem auch im Department El Quiché, die Kontrolle, um sich das dortige Land und die darin vorkommenden Bodenschätze zu sichern. Dabei wurden hunderttausende Menschen, hauptsächlich indigene LandbewohnerInnen, misshandelt, vertrieben oder ermordet.

Den meisten sind die Massaker, die beim Bau des Wasserwerkes Chixoy zu Zeiten des Bürgerkrieges geschahen, noch gut im Gedächtnis geblieben. Laut Gemeinderatsmitglied Pedro Sica Chicaj "scheint es, dass die Friedensabkommen sich gegen das Volk richten. Wir wissen jetzt, dass man den Frieden nur suchte, um die Investitionen der ausländischen Firmen zu sichern. Diejenigen, die wirklich den Frieden wollten, sind die transnationalen Firmen, denn der Krieg behinderte ihren Zugang zu unseren Naturrohstoffvorkommen. Deshalb ist unsere Vergangenheit Teil unserer Gegenwart. Was mit Waffen nicht erreicht wurde, will man heute mit Geld bekommen."


100-prozentiges "Nein" zu Großprojekten

Ein Mittel, um sich gegen neue Großprojekte zu wehren, ist die Consulta (Volksbefragung). Dieses Recht ist im Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beschrieben. Das Abkommen wurde durch den Staat Guatemala ratifiziert. Guatemala hat aber bisher noch keine einzige Consulta, in der gegen Großprojekte gestimmt wurde, als bindend betrachtet (vgl. Kasten unten).

Trotz der scheinbar geringen Erfolgsaussichten nahmen die Gemeinden von Cunén ihr Mitspracherecht wahr und organisierten für den 27. Oktober 2009 eine Consulta. Bei dieser vom Gemeinderat organisierten Volksabstimmung nahmen 71 der 72 Gemeinden teil und sprachen sich mit 100 Prozent der Stimmen gegen die ökonomischen Großprojekte in der Region aus. Dieses 100-prozentige "Nein" gab es auf folgende Frage: "Sind sie einverstanden damit, dass nationale oder ausländische Firmen, Individuen oder juristische Personen sich die Territorien des Municipios Cunén aneignen und ausbeuten, d. h. unsere Naturrohstoffe wie Mineralien, Wasser, Wald, Petroleum und andere?"

Bei der Befragung waren pbi sowie weitere 250 lokale, nationale und internationale BeobachterInnen vertreten. Trotz einiger Störungen durch verschiedene Interessengruppen konnte die Consulta zu einem zufriedenstellenden Ende gebracht werden. Die Schwierigkeiten und Herausforderungen, denen sich während des Prozessverlaufes insbesondere der Gemeinderat ausgesetzt sah, fasste deren Vertreter Osmundo Oxlaj folgendermaßen zusammen: "Wir haben mitbekommen, dass einige politische Parteien ein paar Gemeinden besucht haben. Dies ist besorgniserregend für den Rat. Diese Personen informieren die Leute falsch und bringen sie dazu, mit "Ja" abzustimmen, oder sagen ihnen, dass sie nicht wählen sollen. (...) Aber wir alle kennen die Einstellung und die Geschichte der "Patriotischen Partei" und wissen, dass sie mit den Firmen in Verbindung stehen und deshalb versuchen, uns aufzuhalten. Aber bis zu diesem Moment und trotz dieser Herren entschieden sich alle Gemeinden, mit "Nein" gegen die Megaprojekte zu stimmen."

Die Dokumentation der Consulta wurde am 11. November 2009 der Regierung übergeben. Nun stellt sich die Frage, ob sich die Regierung zum Handeln bereit erklärt und die Volksbefragung ernst nimmt oder ob die Gemeinden erneut protestieren werden, um auf ihre misslichen Lebensumstände hinzuweisen. Trotz der eindeutigen Ablehnung durch die Gemeinden läuft der Abbauprozess, beispielsweise in den Bergbaugebieten, derzeit weiter. Immer wieder werden zudem unbekannte Fahrzeuge, Hubschrauber, VertreterInnen ausländischer Firmen sowie Personen beobachtet, die den EinwohnerInnen Fragen stellen und die Gegend besichtigen. Eindeutige Anzeichen dafür, dass weitere Projekte in Planung sind.


"Durch die Consulta lernen wir, zusammenzuhalten."

In ganz Guatemala werden die Lebensgrundlagen der Bevölkerung durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen gefährdet. Daher konzentriert sich die Arbeit des Gemeinderates nicht ausschließlich auf seine Region. Er unterstützt auch Volksabstimmungen in den Municipios "Uspantán" und "Santa Cruz del Quiché". Dabei werden die BewohnerInnen über die Präsenz von Bergbauunternehmen und über die negativen Effekte informiert, die diese Projekte auf die Umwelt und die EinwohnerInnen haben. Nur im gemeinsamen Vorgehen der Municipios sieht Gemeinderatsmitglied Pedro Sica Chicaj eine Chance, gehört zu werden: "Durch diese demokratische Übung werden wir gewinnen. (...) Nur gemeinsam werden wir Einfluss auf unsere Territorien nehmen können, und durch die Consulta lernen wir, was es heißt, zusammenzuhalten. Andere Regionen wie Ixil oder Sacapulas unterstützen und teilen den Kampf von Cunén." - pbi


Weitere Informationen (auf Spanisch):

www.mem.gob.gt
Internetseite des "Ministeriums für Bergbau und Energie" mit Informationen zu Bergbau- und Wasserkraftwerksprojekten.

www.noalamina.org/mineria-latinoamerica/mineria-guatemala
Internetseite der Initiative "Nein zum Bergbau". Aktuelle Nachrichten zum Bergbau in Guatemala.

www.inforpressca.com/agaaiajpop/convenio.php
Internetseite der "Vereinigung der indigenen Bürgermeister und Autoritäten". Erläutert die Arbeit der indigenen Gemeindevertetungen.


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/10, S. 10-11
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
Tel.: 040/38 90 437, Fax: 040/38 90 437-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2010