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MITTELAMERIKA/113: Zu Unrecht inhaftiert - der kolumbianische Aktivist Carmelo Agámez


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/09

Zu Unrecht inhaftiert
Der kolumbianische Aktivist Carmelo Agámez setzte sich für Vertriebene ein

Von Christoph Behrends


Der Fall von CARMELO AGÁMEZ ist ein Beispiel für das marode Justizsystems Kolumbiens. Er zeigt, wie neben der Zivilbevölkerung zunehmend MenschenrechtsaktivistInnen Opfer von staatlicher Unterdrückung werden. Das Beispiel einer Odyssee, die durch das Zusammenspiel von Polizei, Sicherheitskräften und Militär möglich wird.


Der Gemeinschaftsbetreuer Carmelo Agámez sitzt seit November 2008 im Gefängnis, ohne dass Beweise gegen ihn vorgelegt wurden. Die kolumbianische Justiz wirft Agámez vor, mit rechtsgerichteten Paramilitärführern Umgang zu haben. Während eines Gefängnisinterviews im nördlichen Bundesland Sucre mit Chris Kraul, einem Reporter der Los Angeles Times, sagte der Menschenrechtsaktivist, er sei willkürlich in den Schlund der kolumbianischen Justiz geworfen worden. Der wirkliche Grund für seine Festnahme sei sein Einsatz für vertriebene Afrokolumbianer in der Stadt San Onofre.

"Ich habe Menschen geholfen, die Anspruch auf ihr Land erhoben haben. Das hat jemandes Aufmerksamkeit erregt", sagte Agámez im Interview. Agámez ist technischer Sekretär des lokalen Ortsverbands der "Movimiento Nacional de Víctimas de Crímenes de Estado" - kurz Movice (Nationale Bewegung der Opfer staatlicher Verbrechen). Movice ist eine Dachorganisation von über 200 Menschenrechtsgruppen, die zum Teil durch pbi Kolumbien begleitet werden.

Seit 2006 ist die Anzahl der durch den langjährigen bewaffneten Konflikt in Kolumbien Vertriebenen dramatisch gestiegen. Laut einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Codhes wurden im Jahr 2008 380.000 Menschen vertrieben - die höchste Rate seit 2002. Die Ursachen sind laut Bericht in dem bewaffneten Konflikt zwischen Guerillagruppen, Paramilitärs und Sicherheitskräften zu suchen. "Die Bevölkerung wird von den Konfliktparteien zunehmend weniger verschont, immer öfter sogar bewusst als Geisel missbraucht", so die Direktorin der Diakonie Katastrophenhilfe, Cornelia Füllkrug-Weitzel, in ihrer Jahresbilanz. Die Vertreibungen finden unter dem Vorwand der Landgewinnung für Viehzucht, Nutzholz und Ölbohrarbeiten statt. Dahinter stehen häufig Wirtschaftsinteressen multinationaler Großkonzerne, die die natürlichen Ressourcen vor Ort etwa zur Gewinnung von Palmöl ausbeuten wollen (siehe pbi-Rundbrief 01/08). Die Konzerne arbeiten dabei mit staatlichen Stellen und paramilitärischen Gruppen zusammen. Movice hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Vertriebenen zu helfen - und wird daran immer wieder gehindert.


Die Todeslisten der Paramilitärs

Am 13. November 2008 stürmten fünf Zivilpolizisten Agámez' Haus, trafen dort jedoch nur auf seine Frau. Zwei Tage später ging Agámez freiwillig zum Staatsanwaltsbüro in Sincelejo, wo er festgenommen und später ins örtliche Gefängnis verlegt wurde. Das Heikle daran: zu den Insassen des Gefängnisses La Vega, zählten paramilitärische Führer, die unter anderem aufgrund seiner Aktivitäten als Menschenrechtler inhaftiert worden waren. Des Weiteren steht Agámez nach Informationen von Movice seit drei Jahren zusammen mit anderen Aktivisten auf einer Todesliste der Paramilitärs - neun der dort genannten 17 Personen seien mittlerweile tot. In verschiedenen kolumbianischen Städten folgten hunderte Menschen im Dezember einem Aufruf, um gegen Agámez' Inhaftierung zu demonstrieren. Erst diese öffentlichkeitswirksamen Proteste bewirkten, dass Agámez in einen sichereren Teil des Gefängnisses verlegt und von den Paramilitärs getrennt wurde.

Der Verhaftung gingen Korruptionsvorwürfe gegen einige Funktionäre unmittelbar voraus. Die New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete, dass eine Hauptbelastungszeugin gegen Agámez die Ehefrau des ehemaligen Bürgermeisters San Onofres sei. Pikant: um dessen Verstrickungen mit den Paramilitärs aufzudecken, hatte Agámez 2007 eine öffentliche Anhörung organisiert. Human Rights First veröffentlichte im Februar 2009 einen Bericht, in dem Agámez' Inhaftierung als einer von 32 fragwürdigen Fällen genannt wird, in denen kolumbianischen Aktivisten haltlose Beschuldigungen wie Anstiftung zur Rebellion, Terrorismus oder Paramilitarismus vorgeworfen werden. Diese Vorwürfe würden laut dem Bericht oft genutzt, um kritische politische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

pbi Kolumbien wies in ihrem Aprilnewsletter auf Carmelo Agámez' Situation hin. Andrew Hudson, Anwalt bei Human Rights First, appellierte an Präsident Álvaro Uribe, den Generalstaatsanwalt zu einer Untersuchung aller Kriminalfälle aufzufordern. Monate vergingen. Mitte Juli endlich ein Erfolg: Der kolumbianische Generalstaatsanwalt Mario Iguarán ordnete eine Untersuchung an, in deren Mittelpunkt Agámez Chefankläger Martinez Mendoza steht. Es besteht Verdacht auf Korruption. Anfang September kam es jedoch zu einem Rückschlag: Agámez wurde erneut in einen unsicheren Bereich des Gefängnisses verlegt - und ist damit wieder Personen ausgesetzt, die aufgrund von Anzeigen durch Movice inhaftiert wurden.


Menschenrechtler zunehmend gefährdet

Der Fall Carmelo Agámez zeigt, wie illegitime Festnahmen genutzt werden, um Andersdenkende einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Er dokumentiert aber auch, dass neben den indigenen Gemeinden zunehmend MenschenrechtsaktivistInnen von Machthabern bedroht werden. Der im Februar erschienene jährliche Bericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zählt MenschenrechtsverteidigerInnen zu den gefährdeten Gruppen, die 2008 Opfer verschiedener Angriffe waren und als Unruhestifter bezeichnet wurden. Die Verhaftungen würden von der kolumbianischen Regierung genutzt, um das Ansehen der Menschenrechtsarbeit vor Ort zu untergraben, so Experten. "Anstatt erfundene Anklagen gegen VerteidigerInnen von Menschenrechten zu erheben, muss die kolumbianische Regierung viel mehr tun, um diese Organisationen zu unterstützen", so der beisitzende US-Abgeordnete um McGovern bei einer Anhörung vor der Menschenrechtskommission. Die Organisationen vor Ort kritisieren, dass staatliche Stellen die gesellschaftliche, politische und militärische Rolle der Paramilitärs ignorieren: es werden keine Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaften und Zivilbevölkerung getroffen und so ihr Recht auf Unversehrtheit und auf Leben verletzt.

pbi Kolumbien hat in der Vergangenheit bereits mehrfach über Fälle berichtet, in denen Aktivisten eingesperrt und der Rebellion oder des Paramilitarismus bezichtigt werden, um sie in Verruf zu bringen und andere einzuschüchtern. In den Augen von RechtsexpertInnen spiegeln die Inhaftierungen das allgemeine Problem der schwachen Rechtsstaatlichkeit in Kolumbien und anderen Staaten Lateinamerikas wider. Experten sehen in der Errichtung eines stärkeren und gerechteren Rechtssystems in Kolumbien einen Schlüssel, um die Jahrzehnte des bürgerlichen Unfriedens zu beenden.

Seine Familie und ihm nahestehende Unterstützer wissen, dass er unschuldig unter Arrest sei, sagte Agámez im Gespräch mit Chris Kraul. Seine Inhaftierung habe jedoch Samen des Zweifels unter einigen Gefolgsleuten gesät - Zweifel, die nicht leicht auszuräumen seien. "Das ist es, was diese Leute wollen", sagte Agámez Bezug nehmend auf die Hintermänner seiner Haft, "ich fühle mich demgegenüber machtlos." Movice versucht nun zunächst, einen Heimarrest für Agámez und seine spätere Freilassung zu erreichen.


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/09, S. 3-4
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2009