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MITTELAMERIKA/110: Mexikos zivile Organisationen


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/08

Mexikos zivile Organisationen
Vom Militär bedroht, von der Staatsanwaltschaft kriminalisiert

Von Alexander Blessing und Clare Hill


Am 10. Februar 2008 wurde Lorenzo Fernández Ortega tot aufgefunden. Viele Anzeichen weisen darauf hin, dass er gefoltert wurde. Lorenzo war Mitglied der OPIM, einer Organisation des indigenen Volkes der Me'Phaa. In den Tagen zuvor gingen im Büro anonyme Drohungen ein und bewaffnete Männer erkundigten sich bei einem Kollegen nach ihm.


Warum sind die Mitglieder einer basisorientierten indigenen Organisation, die in einer abgelegenen Gegend Guerreros arbeiten, so gefährlich? Und für wen?

Als Mitglied der OPIM half Lorenzo Fernández bei der Aufklärung eines Falles in dem Dorf El Camalote. Dort wurden zwischen 1998 und 2002 14 indigene Männer vom Gesundheitsministerium des Bundesstaates Guerrero zwangssterilisiert.

Zudem war Lorenzo der Bruder von Inés Fernández Ortega. Sie hat zusammen mit Valentina Rosendo Cantú vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) eine Vergewaltigung durch Mitglieder der mexikanischen Armee im Jahr 2002 angezeigt. Im Juli 2007 wurde bereits der Ehemann von Inés Fernández in seinem Dorf zusammengeschlagen und bedroht. Das war einige Wochen bevor die zwei Frauen nach Washington D.C. gefahren sind, um vor der CIDH auszusagen. Obtilia Eugenio Manuel, Vorsitzende der OPIM, begleitete sie dabei.

Lorenzo Fernández bezahlte sein Engagement mit dem Leben. Das bestätigt Vermutungen, dass die Regierung Emanzipationsbestrebungen und autonome Organisationsformen der indigenen Bevölkerung Mexikos massiv unterdrückt.


Kriminalisierung von MenschenrechtsverteidigerInnen

Dabei sind Drohungen und Übergriffe bis hin zu Tötungen nicht das einzige Mittel, um die Arbeit von vermeintlichen "Gegnern" der Regierung zu verhindern. Oft werden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Menschenrechtsorganisationen, die auf Rechtsverstöße hinweisen und Menschenrechtsverletzungen öffentlich anklagen, kriminalisiert und augenscheinlich legal festgenommen. Dabei ist die Beweislage dürftig. Zeugenaussagen sind oftmals manipuliert, die Strafprozessordung und die Unschuldsvermutung werden nicht eingehalten. "Das einzige Verbrechen, das wir begehen, ist, uns zu organisieren", erklärt Obtilia Eugenio und fügt hinzu "Angst verbreiten ist ihre Taktik."

So im Fall der OPIM. Am 11. April wurden 15 Haftbefehle gegen deren Mitglieder ausgestellt, vier Tage später fünf Mitarbeiter festgenommen. Ihnen wird die Beteiligung am Mord von Alejandro Feliciano García vorgeworfen, dessen Leiche man am 4. Januar fand. Trotz grober Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Ermittlungen und bis zuletzt existierenden Unklarheiten wurden die Haftbefehle von der Staatsanwaltschaft in Guerrero pauschal gegen die OPIM ausgestellt. Das örtliche Menschenrechtszentrum Tlachinollan bezeichnet den Prozess als "ungerecht und illegal". Die Haftbefehle der fünf Festgenommenen wurden am 23. April in erster Instanz bestätigt und dies, obwohl man ihnen das Recht zur schriftlichen Aussage verweigerte.

Die Handlungsspielräume für Menschenrechtsorganisationen in den abgelegenen Regionen der südlichen Bundesstaaten Mexikos werden durch die Kriminalisierung ihrer Aktivitäten zunehmend enger. Hinzu kommt eine deutlich stärkere Militärpräsenz in diesen Regionen. Begründet wird dies mit dem Kampf gegen die zunehmende Macht mexikanischer Drogenkartelle, die das Land seit 2006 mit einer Welle der Gewalt überziehen. Dies hat sowohl Teile der Bevölkerung als auch die internationale Öffentlichkeit in dem Glauben bestärkt, dass einzig das Militär dazu fähig sei, diese Gewalt zu stoppen. Bis heute nimmt die Gewalt jedoch nicht ab. Der Staat versucht Organisationen, die sich für Gerechtigkeit sowie die Anerkennung ihrer Rechte einsetzen, "mit den bewaffneten Gruppen in Verbindung zu bringen", so Tita Radilla, Vizepräsidentin der Vereinigung der Angehörigen von Verhafteten, Verschwundenen und Opfern von Menschenrechtsverletzungen in Mexiko (AFADEM). Statt auf die Beschwerden der indigenen Gemeinden einzugehen, nähmen Militär und Regierung sie als größten Feind wahr - so José Manuel Olivares Hernández, Direktor des Regionalen Menschenrechtszentrums in Chilapa, Guerrero. - pbi


pbi begleitet in Gurrero sowohl OPIM als auch AFADEM.
Weitere Informationen zur Arbeit von pbi erhalten Sie in unserer aktuellen Broschüre: "Menschenrechtsverteidiger im Bundesstaat Guerrero - Widerstand und Initiativen der mexikanischen Zivilgesellschaft zur Verteidigung und Förderung der Grundrechte"


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/08, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2008