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MITTELAMERIKA/104: Kolumbien - Gespräch mit Rechtsanwalt E. C. Wilches


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden - pbi Rundbrief 01/07

Gespräch mit dem Rechtsanwalt Eduardo Carreño Wilches

Als Menschenrechtsverteidiger setzt er sich gegen Straflosigkeit und für eine Wiedergutmachung ein. Das Anwaltskollektiv wird von pbi begleitet.


Der bedrohte Rechtsanwalt war im November 2006 als Delegierter der kolumbianischen Menschenrechtsplattform 'Coordinacion Colombia-Europa-Estados Unidos' in Berlin, um an der Versammlung des europäischen Menschenrechtsnetzes 'OIDHACO' ('Oficina Internacional de Derechos Humanos - Acción Colombia') teilzunehmen. SOPHIA WIRSCHING von der pbi-Kolumbien-AG führte mit CARREÑO WILCHES in Berlin ein Interview:

SOPHIA WIRSCHING: Eduardo, bitte beschreiben Sie die Arbeit und Ziele des JuristInnenkollektivs José Alvear Restrepo.

CARREÑO WILCHES: Die Menschenrechtsorganisation CCAJAR ('Corporación Collectivo de Abogados José Alvear Restrepo') wird von 13 AnwältInnen und einem Journalisten gebildet. 1980 haben wir uns als eine Organisation gegründet, die jene unterstützt, die für ihre Rechte eintreten und deshalb Repressionen zu befürchten haben. Oft werden sie Verbrechen beschuldigt, die sie nicht begangen haben. Wir helfen diesen Opfern von Menschenrechtsverletzungen und ihren Angehörigen. Wir geben den Opfern eine Stimme, indem wir ihre Fälle untersuchen, publik machen und gerichtlich Wahrheit, Gerechigkeit und Wiedergutmachung in ihrem Interesse einfordern. Unser Ziel ist es, den Zustand der Straflosigkeit für die Täter zu beenden. Die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen sollen juristisch zur Rechenschaft gezogen werden.

SOPHIA WIRSCHING: Wie gehen Sie dabei vor?

CARREÑO WILCHES: Unsere Fälle stehen immer mit dem sozialen und politischen Konflikt Kolumbiens und den Menschenrechten in Verbindung: Wir verklagen den Staat und fordern Entschädigungen ein, wenn der Staat für Unrecht und Schaden in der Zivilgesellschaft verantwortlich ist. Die Verantwortung des Staates gegenüber der Zivilbevölkerung fordern wir auch ein, wenn es um Massenvertreibungen geht. Der Staat muss die Rechte seiner Bürgerinnen auf Gesundheit, Bildung, Ernährung und Wohnraum garantieren.

Wenn wir mit unseren Anstrengungen auf nationaler Ebene keinen Erfolg erzielen können, wenden wir uns an die UNO oder die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte bei der Organisation Amerikanischer Staaten. Hier bringen wir die Mehrzahl der Fälle vor, in denen der Staat die Menschenrechte, zu denen er sich schließlich offiziell bekennt, missachtet hat. Wir klagen gegen unterlassene Strafverfolgung und Straflosigkeit, die besonders häufig bei den Verbrechen vorkommt, die von paramilitärischen Gruppen begangen worden sind. Außerdem arbeiten wir mit verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen zusammen und erhöhen so den Druck auf die Regierung.

SOPHIA WIRSCHING: Was sind die Hintergründe für den Zusammenschluss von CCAJAR?

CARREÑO WILCHES: Der kolumbianische Konflikt wird seit über 40 Jahren gewaltsam ausgetragen. Er ist komplex, entwickelt sich weiter und hat verschiedene soziale, wirtschaftliche, militärische und politische Ursachen. Der Staat hat während dieser langen Zeit immer wieder neue Strategien entworfen, um Andersdenkende zu bekämpfen und seine Interessen durchzusetzen. Der Einsatz paramilitärischer Kräfte war eine davon; sie sollten alle ausschalten, die dem Staat kritisch gegenüber standen. Es ging so weit, dass auch alle sozial Benachteiligten kriminalisiert wurden. Gewerkschafter wurden ermordet, soziale Organisationen galten grundsätzlich als terrorverdächtig. Unsere Arbeit wurde immer notwendiger.

SOPHIA WIRSCHING: Aber das Sicherheitsrisiko für MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien ist äußerst hoch...

CARREÑO WILCHES: Sicher, auch für die AnwältInnen der Opfer staatlichen Unrechts wurde die Situation bedrohlicher. Die MenschenrechtsverteidigerInnen haben Angst, selbst Opfer zu werden. Viele Organisationen haben dem feindlichen Umfeld nicht standgehalten und existieren heute nicht mehr.

CCAJAR hat im Lauf der Jahre einige Schutzmechanismen entwickelt. Wir gehen vorsichtig und diplomatisch vor. Es bestehen Abkommen mit der kolumbianischen Regierung, der Menschenrechtskommission des Interamerikanischen Gerichtshofs und der UNO. Wir brauchen internationale Aufmerksamkeit. Und wir sind sehr froh über die Präsenz des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Kolumbien. Dennoch werden Bedrohung und Unsicherheit manchmal so unerträglich, dass sich MenschenrechtsverteidigerInnen gezwungen sehen, Kolumbien zu verlassen. Miguel Puertos lebt in London, Luis Guillermo Pérez in Belgien und Rafael Barrios in den USA. In unserem Büro in Bogotá und auf Untersuchungsreisen begleitet uns pbi. Das erhöht unser Sicherheitsgefühl enorm, auch wenn klar ist, dass immer ein gewisses Risiko bleibt.

Unsere internationale Arbeit und Bekanntheit helfen. Wir sind im UN-Menschenrechtsrat vertreten. Die EU und viele internationale Menschenrechtsorganisationen helfen den politischen Druck auf den kolumbianischen Staat und unsere Sicherheit zu erhöhen.

SOPHIA WIRSCHING: Wie wird das neue Gesetz 'Justicia y Paz' (Gerechtigkeit und Frieden) seinem Namen gerecht?

CARREÑO WILCHES: Überhaupt nicht. Vielmehr verhilft es dazu, Verbrechen zu legitimieren und zu legalisieren. Das Gesetz dient dazu, Straflosigkeit festzuschreiben. Die Rechte der Opfer werden missachtet, paramilitärische Täter mit größter Nachsicht behandelt. Sie entziehen sich der Verantwortung. Kaum über 60 Personen konnten bislang für ihre Verbrechen haftbar gemacht werden. Und die Strafen sind lächerlich gering - die Verbrecher werden in eine Art Hausarrest abgeordert, und das auch nur für wenige Jahre.

Für die über drei Millionen Vertriebenen ist keine umfassende Wiedergutmachung vorgesehen. Ihr Hab und Gut, ihr Land wird ihnen nicht ersetzt. Das unrechtmäßig enteignete Land wird den "reintegrationswilligen Paramilitärs" im Zuge des sogenannten Demobilisierungsprozesses auch noch zugeteilt. Dabei ist deutlich, dass sich viele paramilitärische Gruppen nicht auflösen, sondern lediglich unter anderem Namen neu gründen. Das ist nicht gerecht und kann nicht zur Versöhnung beitragen.

SOPHIA WIRSCHING: Was muss geschehen, damit es zu einem echten und nachhaltigen Friedensprozess kommen kann?

CARREÑO WILCHES: Wichtig ist vor allem, dass der gewaltsame Konflikt zwischen Staat, Paramilitärs und Guerillagruppen beendet wird. Es müssen ernsthafte Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen geführt werden. Die Abkommen müssen von allen Seiten verbindlich eingehalten werden. Bisher sind solche Abkommen immer wieder durch Gewaltakte gebrochen worden. Die politische Unterstützung der Paramilitärs muss endlich aufhören. Frieden kann nicht ohne Einbeziehung der Opfer gelingen. Sie müssen in den Friedensprozess mit eingebunden werden und die Friedenskultur mitbestimmen.

Gerechtigkeit kann es nicht geben, wenn die Menschenrechte nicht gelten. Denjenigen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, muss Einhalt geboten werden, damit eine Kultur des Friedens wachsen und auf blühen kann.
pbi


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/07, Seite 13-14
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2007