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ASIEN/043: Nepal - Der Mord im Nationalpark


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief Sommer 2012

Nepal
Der Mord im Nationalpark

Von Raphael Vergin und Kersten Knoerzer



Der zehnjährige Bürgerkrieg in Nepal endete 2006. Die Monarchie dankte ab und die demokratische Bundesrepublik wurde ausgerufen. Im gleichen Jahr eröffnete pbi das erste Büro in der Hauptstadt Kathmandu; 2008 folgte ein zweites in Gulariya. Raphael Vergin war bis Ende 2011 Freiwilliger im pbi-Nepalprojekt. Sein Bericht beschreibt, wie er von Gulariya aus einen wichtigen Zeugen eines Menschenrechtsverbrechens besuchte.


Besuch bei Krishna

Wir atmen schwer. Es geht steil hinauf. Schweiß und Staub legen sich auf die Kleidung und verkleben die Augen - selbst im Schatten der drückenden Mittagssonne sind es über 40°C. Ich bin mit der pbi-Freiwilligen Emma Jansen und der nepalesischen Menschenrechtsaktivistin Bimala B.K. seit dem frühen Morgen unterwegs. Nach einer langen Fahrt über holprige Straßen, marschieren wir über einen ausgedehnten Trampelpfad. Autos fahren hier nicht. Und auch Menschen treffen wir kaum. Wir sind mitten im Westen Nepals, auf dem Weg zu Krishna Bahadur Sunar, einem einfachen Bauern aus dem Distrikt Surkhet.

Bei einem Überfall der Armee im März 2010 wurden seine Frau, seine Tochter und Schwägerin von Soldaten missbraucht und ermordet. Krishna kämpft seitdem für die Bestrafung der Soldaten und um die Anerkennung des Verbrechens. Dabei wird er massiv vom Militär bedroht. Unser Besuch soll klären, wie pbi ihn vor den Bedrohungen schützen kann.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir eine kleine Siedlung. Unser eigentliches Ziel, das Haus von Krishna, liegt drei weitere Stunden Fußweg entfernt - zu weit um es an diesem Tag zu schaffen. Im Dorf berichtete man uns, daß regelmäßig Agenten der nepalesischen Armee vorbeischauen. "Die Militärs wollen uns einschüchtern, damit wir uns ihnen nicht in den Weg stellen", sagte einer der Dorfältesten. "Und Krishna", fragt Bimala, "lässt er sich auch einschüchtern?". Der Befragte nickt stumm, während sie sich vor Enttäuschung auf die Lippe beißt.

Nach einer kurzen Nacht auf blankem Bretterboden machen wir uns im Morgengrauen erneut auf den Weg. Bimala hat die Enttäuschung des Vorabends noch nicht überwunden und schimpft: "Wie können wir für Gerechtigkeit kämpfen, wenn Krishna seine Anzeige gegen die Soldaten zurückzieht? Verfluchte Ungerechtigkeit in diesem Land. Es trifft immer die Schwächsten".


Der Mord

Endlich erreichen wir Krishnas Hütte. Sie liegt etwas versteckt in einer Talsohle. Ein Mann kommt uns entgegen, es ist Krishna. Er wirkt müde und erschöpft und bittet uns auf den Vorplatz seiner Hütte. Wir legen die schweren Rucksäcke ab und machen wir es uns auf dem staubigen Boden gemütlich. Es gibt süßen Tee, wie er in Nepal zur Begrüßung üblich ist. Dann erzählt Krishna seine Geschichte: "Ich verbrachte einige Tage mit meiner Familie und anderen Dorfbewohnern im nahe gelegenen Bardiya Nationalpark. Dort sammelten wir Feuerholz und Kaulo, das man für die Herstellung von Medizin verwendet. Eines Abends, kurz vor dem Schlafen gehen, hörte ich ein Geräusch ganz in der Nähe im Wald. Holz flog heran, Taschenlampen leuchteten auf - ein Dutzend Soldaten hatten uns umzingelt. Sie drohten uns zu töten, sollten wir versuchen zu fliehen. Dann schossen sie und wir rannten in alle Himmelsrichtungen davon. Mir gelang die Flucht. Doch meine Frau, meine Tochter und Schwägerin konnten nicht entkommen."

Als Krishna panische Schreie seiner Tochter hörte, lief er zurück zur Lagerstätte. Dort haben ihn die Soldaten überwältigt. Was weiter geschah, was die Soldaten mit seiner Tochter machten, konnte er nicht sehen, sagte Krishna mit Tränen in den Augen. Am nächsten Tag waren seine Frau, seine Tochter und seine Schwägerin tot.


Die Bedrohung des Zeugen

Eine erste offizielle Untersuchung wurde bereits zwei Tage nach dem Vorfall am 12. März 2010 von der nepalesischen Menschenrechtsorganisation INSEC durchgeführt: Alles deutete auf vorsätzlichen Mord. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) forderte eine unabhängige Untersuchung durch die Polizei und die Nationale Menschenrechtskommission. Man rief die Armee zu uneingeschränkter Kooperation auf. Der Fall sollte vor einem Zivilgericht verhandelt werden. Doch die Rechnung wurde ohne die Armee gemacht.

Ich schenke mir eine neue Tasse Tee ein. Krishna hat sich die Tränen aus den Augen gewischt und wirkt wieder gefasst. Ich frage ihn nach der Reaktion der Armee. "Erst klagten sie mich der Wilderei an und hielten mich gefangen. Als sie mich aber aus dem Gefängnis ließen, gaben sie mir 20.000 Nepalesische Rupee (ca. 200 Euro). Sie drohten, ich dürfe niemandem die Wahrheit sagen, dann wäre alles in Ordnung - anderenfalls würden sie mich erneut verhaften." "Und" frage ich ihn, "hast du geschwiegen?" "Nein" sagt Krishna, "ich habe 15 Soldaten wegen Mord und Vergewaltigung angezeigt. Ich möchte, dass die Mörder meiner Familie bestraft werden. Ich möchte, daß so etwas nie wieder in Nepal passiert."

Doch als die Anzeige bekannt wurde, begannen die Bedrohungen: Soldaten patrouillierten durch das Dorf, Polizisten warnten vor weiteren Aussagen, Bewaffnete erschienen auf seinen Feldern und er erhielt anonyme Drohanrufe. Als schließlich sein Stall niedergebrannt wurde, gab Krishna den Druck nach: Er ging zur Polizei und zog die Anzeige zurück. Während die Armee mit ihrer Einschüchterung bei Krishna erfolgreich war, wurde der Fall in Nepal weiter publik: Mehrere Menschenrechtsorganisationen wie INSEC und OHCHR hatten sich des Falls angenommen und hofften auf einen Musterprozess gegen die Armee. Dem Militär wurde mehrfacher Mord, Verfälschung von Beweisen, Beeinflussung der Untersuchung der Polizei sowie massive Einschüchterung der Zeugen vorgeworfen. Doch ohne eine Anzeige und Aussage von Krishna, hätte ein mögliches Verfahren wenig Chancen auf Erfolg.


Der Schutz durch pbi

Die Schutzbegleitung von pbi könnte Krishna die notwendige Sicherheit und das Vertrauen für den Kampf vor Gericht geben. Die Menschenrechtsorganisation DAFOU, für die Bimala arbeitet, wird von pbi begleitet und hatte für Krishna um eine Schutzbegleitung angefragt. Nach einer Analyse des Falls hatte pbi prinzipiell zugesagt und Emma und ich uns auf den Weg zu Krishna gemacht. Wir stellen Krishna das Konzept von pbi vor.

"Und ihr denkt, ihr könnt mich tatsächlich vor der Armee beschützen?", fragte Krishna skeptisch. Emma erwiderte aufmunternd: "Eine volle Garantie können wir natürlich nicht geben, aber unser Ansatz zur Abschreckung von Gewalt funktioniert. Wir bieten Schutzbegleitung an. Das heißt, wir werden dich wenn nötig Tag und Nacht begleiten. Wir arbeiten mit vielen internationalen Organisationen zusammen, auch mit den Botschaften mächtiger Länder. Weil wir unparteiisch sind und internationalen Druck ausüben können, werden wir sehr ernst genommen, auch von der Armee. Der Staat hat viel zu verlieren, wenn sein Ansehen in der Welt beschädigt wird." Einmal", so erzähle ich, "schützten wir einen Menschenrechtsanwalt vor den Angriffen der Polizei. Wir begleiteten ihn rund um die Uhr, überall hin. Auch die deutsche Botschaft unterstützte uns dabei. Er konnte durch unseren Schutz weiter arbeiten. Er vertrat Opfer von Polizeigewalt vor Gericht".

Während des langen Gesprächs scheint Krishna neuen Mut zu fassen. Er fragt Bimala nach den Erfolgsaussichten des Prozesses, wie oft er in die Hauptstadt fahren müsse und ob auch alle beteiligten Soldaten angeklagt würden. Wir sprechen jetzt über die Zukunft, über Gerechtigkeit und was dafür zu tun ist. Wie schon oft spüre ich, daß durch Unterstützung von Außen, durch die Solidarität internationaler Freiwilliger ein Mensch den Mut findet, für seine Rechte einzustehen. Als Krishna uns mit einem vertrauensvollen Lächeln in die Nacht verabschiedet, weiß ich, dass er weiter für sich und eine gerechte Zukunft Nepals kämpfen wird.

Schlussbemerkung: Nachdem pbi Krishna begleitete, nahmen de Einschüchterungsversuche deutlich ab. Er nahm in der Folge an zahlreichen Lobbyaktivitäten in der Region und in Kathmandu für seinen Fall teil. Erfolgreich konnte er weiter zivilgesellschaftliche und politische Unterstützung für sein Anliegen gewinnen. Der Fall ist mittlerweile zu einem Symbol der Straflosigkeit in Nepal geworden. Dennoch gelang es bisher nicht, ein Verfahren vor einem Zivilgericht zu eröffnen. Keiner der Täter wurde bisher verurteilt.

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Quelle:
pbi Rundbrief Sommer 2012, S. 4-7
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
Tel.: 040/38 90 437, Fax: 040/38 90 437-29
E-Mail: info@pbi-deutschland.de,
Internet: www.pbi-deutschland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2012