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ASIEN/041: Indonesien - "Pressefreiheit existiert de facto nicht"


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pbi Rundbrief 03/10

"Pressefreiheit existiert de facto nicht"
Ein indonesischer Menschenrechtler über die Situation der Journalisten und den Tod eines Kollegen in Papua

Von Hailna Schmidt


Am 28. Juli 2010 wurde der Leichnam des Journalisten Ardiansyah Matra'is aus einem Fluss nahe der Stadt Merauke in der östlichsten indonesischen Provinz Papua geborgen. Die Polizei erklärte den Tod als Selbstmord und wollte den Fall schnellstmöglich zu den Akten legen. Da Ardiansyah vor seinem plötzlichen Tod jedoch immer wieder Drohungen und Einschüchterungen erfahren hat und eine Autopsie scheinbar auf äußere Gewalteinwirkung hindeutete, fordern Kollegen und Menschenrechtsorganisationen in Indonesien eine genaue Untersuchung des Falls. Unter ihnen ist auch Viktor Mambor, der als Journalist und Verantwortlicher für Kommunikation und Information für den NGO-Dachverband FOKER in Papua tätig ist. Auf seiner dreiwöchigen Vortragsreise durch Deutschland und Europa im September 2010 thematisierte er nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Papua, sondern berichtete auch über die Situation der Journalisten vor Ort und den Tod des Kollegen und Freundes.


Im Dezember 2009 ermittelte Ardiansyah zu Menschenrechtsverletzungen in Papua und veröffentlichte Artikel und Berichte, die unter anderem auch Politiker und Regierungsbeamte mit illegalen Abholzungsaktivitäten in Verbindung bringen. Als daraufhin die Drohungen gegen ihn sehr stark zunahmen, traf er sich im Februar 2010 zum ersten Mal mit dem in Jayapura ansässigen pbi-Team. Die Freiwilligen vor Ort versprachen Unterstützung zum Beispiel in Form von regelmäßigen Treffen und Check-in-Calls. Dennoch beschloss Ardiansyah kurze Zeit später zu seiner Familie nach Merauke zurückzukehren - seiner Einschätzung nach sicherer als die Provinzhauptstadt Jayapura. Die Nachricht von seinem Tod erfüllt pbi, KollegInnen und Freunde nur wenige Monate später mit großer Trauer und Fassungslosigkeit.


Gewalt gegen Journalisten - kein Einzelfall

Ardiansyahs Schicksal ist kein Einzelfall, denn Einschüchterung und Gewalt gegen Journalisten in Papua gehören zum Alltag. Davon weiß auch Viktor zu berichten, denn neben seiner Arbeit bei FOKER ist er Hauptverantwortlicher bei JUBI, einer alternativen Medienkultur, die online und als kleinformatige Zeitung über die Probleme und täglichen Ereignisse in Papua berichtet. Im März 2010 wurde er außerdem zum lokalen Vorsitzenden von AJI, der Allianz unabhängiger Journalisten in Papua, gewählt.

Neben Lobbying, Netzwerken, und Fundraising für JUBI und AJI sieht Viktor seine Aufgabe vor allem in der Verbesserung der Sicherheit und der generellen Arbeitssituation für lokale JournalistInnen in Papua. Zwei wesentliche Probleme betont Viktor dabei: "Zum einen benötigen Journalisten Capacity Building und Fortbildungen, um ihre Berichterstattung professionell und informativer zu gestalten. Ein weitaus größeres Problem ist jedoch Gewalt gegen Journalisten und das Unverständnis der lokalen Bevölkerung gegenüber der Rolle der Presse. Während vor wenigen Jahren die häufigsten Bedrohungen noch von den indonesischen Behörden kamen, ist es heutzutage auch die Zivilgesellschaft, die Journalisten angreift, bedroht öder zu bestechen versucht."


Militär und Geheimdienst erteilen Zensur

Pressefreiheit, so Viktor, gibt es in Papua de facto nicht. Die großen lokalen Zeitungen gehören der Regierung bzw. einzelnen Mitgliedern des Polizei- oder Militärapparats. Viele dienen namhaften Unternehmen und veröffentlichen Informationen in deren Sinne. Es ist keine Seltenheit, dass kleine lokale Redaktionen mehrmals täglich "Stippvisiten" von Einheiten des Militärs bekommen, die sich dafür interessieren, was publiziert werden soll und mittels Einschüchterung auch Zensur betreiben. Dass Mitarbeiter des Geheimdienstes als Herausgeber oder Lektoren in vielen Redaktionen arbeiten, Artikel zensieren und Publikationen kontrollieren, ist ein offenes Geheimnis. "Es gibt eigentlich keine Themen, die generell tabu sind", erklärt Viktor. "Da jedoch Kontrollen stattfinden, fallen Berichte zu sensitiven Thematiken, wie Konflikte und Gewalt in Papua oder Kritik an der eigenen Regierung meistens der Zensur zum Opfer." JUBI ist unabhängig und eines der kritischsten Blätter in Papua. Nicht selten wird JUBI-Mitarbeitern unterstellt, Separatisten zu unterstützen oder separatistische Propaganda zu betreiben, selbst wenn nur über soziale oder wirtschaftliche Probleme berichtet wird. Viktor versucht, diese Verleumdungen zu ignorieren, denn schließlich basieren seine Berichte auf Fakten, eigenen Ermittlungen und Aussagen der lokalen Bevölkerung.


Den Idealismus vom Vater geerbt

Trotz der vielen Risiken, die Viktors Position und die große Öffentlichkeit bergen, kämpft der Sohn einer muslimischen Mutter und eines christlichen Vaters weiterhin für Gerechtigkeit und Frieden in Papua. Während seiner Kindheit und Jugend erlebte er den eigenen Vater als Aktivisten in der Unabhängigkeitsbewegung Papuas, welches seit 1969 laut UN-Entscheidung zu Indonesien gehört. Aufgrund seiner kritischen Einstellung gegenüber dem indonesischen Staat und seiner Führungsrolle im Kampf für die Unabhängigkeit Papuas wird der Vater immer wieder verhaftet und verbringt den Großteil von Viktors Kindheit und Jugend als politischer Gefangener in Haft.

"Mit Sicherheit habe ich den Idealismus von meinem Vater geerbt", erzählt Viktor im Interview. "Sein Aktivismus und seine Unermüdlichkeit im Kampf für Gerechtigkeit hatten großen Einfluss auf mich. Jedoch habe ich auch aus seiner Vergangenheit gelernt und agiere sehr viel verantwortungsbewusster. Ich sehe meine Rolle weniger im politischen Kampf als im Engagement für das Wohl aller Menschen, für soziale Gerechtigkeit und für die Wahrung der Menschenrechte."

Sein Studium widmete Viktor in der 90er Jahren zunächst jedoch der Innenarchitektur und dem Theater. Er lebte auf Java und war bereits während dieser Zeit als Journalist in der Kunst-, Theater- und Musikszene bekannt. Nach seiner Heirat und der Geburt zweier Kinder begleitete er 2003 schließlich den Leichnam seines Vaters in dessen Heimat Papua zurück. Eigentlich wollte er nicht mehr dorthin zurückkehren, doch er blieb, arbeitete als freischaffender Journalist, reparierte Computer und fuhr Ojek, das in Indonesien viel genutzte Motorradtaxi. 2006 lernte er Septer Manufandu kennen, der heute Geschäftsführer der Dachverbandsorganisation FOKER ist. FOKER vernetzt inzwischen 68 lokale Organisationen und unterstützt diese mittels Öffentlichkeits-, Advocacy- und Bildungsarbeit. Der Erhalt der natürlichen Ressourcen, der Umweltschutz, die Förderung der Menschenrechte, die Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung und der Einsatz für soziale Gerechtigkeit stehen dabei thematisch im Mittelpunkt der Arbeit.


Vortragsreise - neue Informationen und ein anderes Bild von Papua

Seine Vortragsreise durch Deutschland und Europa im September 2010 wollte Viktor nutzen, um vor allem auf wirtschaftliche und soziale Probleme aufmerksam zu machen. Informieren und GesprächspartnerInnen und Interessierte zum Nachdenken bewegen, ohne dabei immer wieder über den ewigen politischen Konflikt und den Kampf um die Unabhängigkeit Papuas zu reden, das war sein Ziel: "Ich will neue Informationen geben und ein anderes Bild von Papua darstellen. Was meine GesprächspartnerInnen dann daraus machen, das liegt ganz allein bei ihnen."

Ehemalige pbi-Freiwillige haben ihn bei seinen Treffen und Vorträgen in Deutschland und den Nachbarländern unterstützt und begleitet, denn die vergangenen drei Jahre kooperierte FOKER mit dem pbi-Team in Jayapura. Dieser Kontakt und die Präsenz der Freiwilligen vor Ort halfen Viktor, sich sicherer zu fühlen, sagt er. Er traf sich regelmäßig mit dem Team in Jayapura, das während seiner Abwesenheit auch Check-in-Calls mit seiner Frau durchführte. "Meine größte Angst gilt meiner Frau und meinen Kindern, aber wenn pbi da ist, bin ich nicht allzu besorgt", erklärt er. Nach drei Wochen Aufenthalt in Europa freut er sich jedoch auch, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Nachdem er auf seiner Vortragsreise auch über Ardiansyahs Tod berichtet hat, wird Viktor nun weiterhin selbst Ermittlungen anstellen und den Fall nicht ruhen lassen: "Ich gebe niemandem die Schuld an Ardiansyahs Tod", sagt Viktor. "Mord oder Selbstmord - dies festzustellen ist Aufgabe der Polizei und muss untersucht und geklärt werden. Wir akzeptieren das Ergebnis, sofern es mit Ermittlungsberichten, Zeugenaussagen und ausreichender Beweisführung belegt werden kann. Bis jetzt ist nichts davon geschehen. Wir möchten nur, dass die Polizei ihre Arbeit macht." - pbi


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Quelle:
pbi Rundbrief 03/10, S. 12-13
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
Tel.: 040/38 90 437, Fax: 040/38 90 437-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2011