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LATEINAMERIKA/057: "Ich weiß bis heute nicht, wer mich entführen wollte." (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

"Ich weiß bis heute nicht, wer mich entführen wollte."

Von Hector Mondragon


Hector Mondragon setzt sich seit dreißig Jahren für die Rechte der indigenen und ländlichen Gemeinschaften in Kolumbien ein und kämpft für die Rechte von Arbeitern in der Erdölgewinnung und von obdachlosen Familien. Aufgrund dieser Arbeit ist sein Leben bedroht. Im Folgenden berichtet er über Folter und Verfolgung und bewertet die Rolle der Europäischen Union (EU) beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern:

Es ist sehr wichtig, dass Menschenrechtsverteidiger heute stärker anerkannt sind, dennoch müsste diese Anerkennung noch stärker durch die öffentliche Meinung und nicht nur durch Nichtregierungsorganisationen erfolgen. Bisher berichten die Medien zu wenig über die Situation der Menschenrechte in Kolumbien, sie zeigen lediglich kriminellen Machenschaften der Guerilla, aber nicht die des Staates, der politisch und wirtschaftlich Mächtigen, der Großgrundbesitzer und der multinationalen Konzerne, die sich durch die Gewalt in Kolumbien bereichern.


Gefoltert, entführt und diffamiert

Ich selbst wurde 1977 gefangen genommen und vom Militär gefoltert. Unter den Folgen leide ich noch heute, physisch und psychisch. 1985 entging ich zusammen mit meinem älteren Bruder einem Entführungsversuch in einem Kino - dank des Eingreifens der anderen Kinobesucher. Ich weiß bis heute nicht, wer mich entführen wollte. Seit 1988 habe ich von den Paramilitärs zahlreiche Morddrohungen verschiedenster Art erhalten, wurde auf der Arbeit und bis nach Hause von Attentätern verfolgt und habe einen Mordversuch überlebt. 1995 wurde ich von FARC-Rebellen gefangen genommen, die mich daran hindern wollten, mich für die Rechte der indigenen Gemeinschaft der Nukak einzusetzen. 1991 erhielten zwei meiner Brüder Morddrohungen auf Grund meines Einsatzes für die Rechte der indigenen Gemeinschaften. 1999 erschien mein Name auf einer Liste mit Namen von zwanzig Personen, die "zum Tode verurteilt" waren. Diese Liste wurde in Bogotá verteilt. Zwischen 2001 und 2004 wurde ich verfolgt und sollte umgebracht werden, musste untertauchen und bin nur deshalb noch am Leben. Vor Kurzem, im August 2008, wurde mein Name in der Zeitung in einer Form veröffentlicht, die mir das Recht zur Verteidigung absprach und mich der Gefahr ausgesetzt hat, dass man mich ermordet, foltert oder verschwinden lässt.


Kein einheitliches Vorgehen der EU

Die Europäische Union hat zwar eine Politik zum Schutz von Aktivisten, die sich für die Menschenrechte einsetzen, doch bis jetzt wird diese von den einzelnen Ländern und Regierungen ganz unterschiedlich angewendet und umgesetzt. Aus meiner Erfahrung heraus gibt es noch kein einheitliches Vorgehen der EU in diesem Bereich. Außerdem fehlt bisher ein ernsthaftes Engagement der EU bezüglich der Menschenrechtssituation in Kolumbien. Es müsste von Seiten der EU entschiedener gehandelt werden, um die Situation der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, derjenigen die sich einer Gewerkschaft anschließen wollen, der Bauern, der Afrokolumbianer und der Indigenen klarer herauszustellen und anzuprangern. Die Zahl der Gewerkschaften wurde dezimiert, was zur Unterwanderung des Arbeitsrechts führte. Das Arbeitsrecht gilt für die Mehrheit der Arbeiter nicht mehr. Zum Beispiel wird das Streikrecht für die Arbeiter auf den Zuckerrohrplantagen nicht mehr anerkannt. In den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtssituation der indigenen Bevölkerung dramatisch verschlechtert. Was sagt die EU dazu? Berichten die europäischen Medien darüber? Meine Erfahrung ist, dass die Mehrheit der Europäer und auch der US-Amerikaner sehr solidarisch sind und sie durchaus solidarisch handeln können.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2008, S. 10
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
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Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009