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GRUNDSÄTZLICHES/058: Flüchtlinge suchen Schutz. Sie sind keine Bittsteller. (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 1/2016
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für das Menschenrecht auf Nahrung

Flüchtlinge suchen Schutz. Sie sind keine Bittsteller.


Themen rund um Flüchtlinge sind seit einigen Monaten in aller Munde. PolitikerInnen überschlagen sich mit Maßnahmenkatalogen und kurzfristigen Gesetzesvorhaben. Immer wieder kommt es zu Schnellschüssen und dem Ansinnen, menschenrechtliche Standards für Flüchtlinge herunterzusetzen oder aufzuweichen. Dass Flüchtlinge vor allem Schutz suchen und ihnen dies völkerrechtlich auch zusteht, scheinen die Verantwortlichen oft zu vergessen. Dabei bieten gerade das humanitäre Völkerrecht und die Internationalen Menschenrechtspakte in Krisenzeiten eine Orientierungshilfe. Denn die in ihnen verfassten Rechte basieren auf den Erfahrungen von Krieg, Völkermord, Verfolgung und staatlicher Ausgrenzung und stellen einen Schutz gegen staatliche Willkür dar. Im Grundgesetz ist festgelegt, dass diese Rechte wie Bundesrecht gelten.


Dies trifft auch für den UN-Sozialpakt zu. Dabei erstrecken sich die staatlichen Verpflichtungen, die aus ihm hervorgehen, sowohl auf die Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte von Flüchtlingen in Deutschland als auch auf Deutschlands Staatenpflichten über die eigenen Staatsgrenzen hinaus hinsichtlich der Bekämpfung von Fluchtursachen. Diese Verpflichtungen schließen die Gestaltung entsprechender Politiken auf Ebene der Europäischen Union (EU) mit ein.


Menschenrechte gelten auch für Flüchtlinge

Die im UN-Sozialpakt verfassten Rechte gelten für alle Menschen gleichermaßen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in einem Land. Sie gelten folglich auch für Flüchtlinge in Deutschland - auch, wenn sie sich noch im Asylverfahren befinden. Auch ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte müssen vom Staat respektiert, geschützt und gewährleistet werden, damit sie ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben führen können. Der Staat muss auch für die Verwirklichung ihrer Rechte alle verfügbaren Ressourcen aufwenden. Grundlegend ist dabei das Diskriminierungsverbot. So dürfen Rechte von Flüchtlingen nur dann eingeschränkt werden, wenn es
a) dafür einen gerechtfertigten Grund gibt und es
b) einem legitimen öffentlichen Ziel dient, das mit dieser Einschränkung auch erreicht werden kann.

In Deutschland sind die sozialen Leistungen für Flüchtlinge seit 1993 durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Am 18. Juli 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht die AsylbLG vorgesehenen Geldleistungen für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber an seine völkerrechtlichen Verpflichtungen erinnert. FIAN Deutschland hat aus diesem Anlass die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert, da auch andere Teile des Gesetzes im Widerspruch zu sozialen Menschenrechten stehen. In der Zwischenzeit wurde dieses Gesetz zweimal geändert, so dass sich eine neue Bewertung lohnt. Das Gesetz gilt für Flüchtlinge, die noch nicht länger als 15 Monate in Deutschland sind und sich noch im Asylverfahren befinden (Asylsuchende).

Unter Beachtung der oben genannten menschenrechtlichen Grundsätze werden im Folgenden die Gewährungen der im UN-Sozialpakt verfassten Rechte für Flüchtlinge durch den deutschen Staat kritisch beleuchtet: die Rechte auf Nahrung und Wohnen sowie auf Gesundheit. Dabei können aus Platzgründen nicht alle gesetzlichen Unterscheidungen von Personengruppen berücksichtigt werden.


Das Recht auf Nahrung

Asylsuchende sind durch das Asylgesetz verpflichtet, mindestens sechs Wochen und bis zu sechs Monate in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Dort bekommen sie Nahrung als Sachleistung. Das heißt in der Regel, dass sie durch eine Großküche verpflegt werden und nicht selbst kochen dürfen. Sie können also nur sehr eingeschränkt darüber entscheiden, was sie essen.

Darüber hinaus berichtet zum Beispiel der Flüchtlingsrat Berlin, dass Flüchtlinge per Gemeinschaftsverpflegung oft nicht mit ausreichenden Essensmengen versorgt werden. Wohnen sie außerhalb einer Aufnahmereinrichtung, sollen sie für ihre Versorgung mit Lebensmittel zwar vorrangig Geld bekommen. Die Ausgabe von Wertgutscheinen oder anderen unbaren Leistungen ist aber weiterhin auch möglich. Der für Nahrung vorgesehene Betrag entspricht dem Anteil des Hartz IV-Satzes für Lebensmittel.

Die Versorgung durch Lebensmittelpakete oder Großküchen anstelle einer eigenständigen Versorgung ist für Notsituationen auch aus Menschenrechtsperspektive akzeptabel. Zur Wahrung der Menschenwürde und eines selbstbestimmten Lebens gehört aber wesentlich die Entscheidung über die Art und Zubereitung der Nahrung. Dies ist durch eine 15 Monate verpflichtende Großküchenverköstigung und Lebensmittelpakete nicht gegeben. Kulturelle Besonderheiten werden unter Umständen nicht berücksichtigt. Bei Lebensmittelunverträglichkeiten bestehen gesundheitliche Risiken oder Unterversorgung. Auch die Vergabe von Wertgutscheinen widerspricht der Menschenwürde, denn Gutscheine können oft nicht in allen Geschäften oder Märkten eingelöst werden und schränken damit die Wahlmöglichkeiten der Betroffenen ein.


Das Recht auf Wohnen

Das Recht auf eine angemessene Unterkunft ist im Artikel 11 des UN-Sozialpakts verfasst. Es verpflichtet Staaten dazu, für ausreichende Verfügbarkeit angemessenen und bezahlbaren Wohnraums sowie für eine menschenwürdige Wohnqualität zu sorgen. Gemäß Medienberichten sind viele Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge überbelegt. Zum Teil werden Gebäude in Gemeinschaftsunterkünfte umgewandelt, die nicht als Wohnraum gebaut worden sind, wie zum Beispiel ein ehemaliger Baumarkt in Köln.

Gründe dafür liegen im starken Anstieg der Flüchtlingszahlen seit 2015 sowie in der mangelnden Planung und zu geringer Investitionen in den sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit. Der deutsche Staat hat seine Pflichten zur Verwirklichung des Rechts auf Wohnen bereits seit einigen Jahren vernachlässigt. Davon zeugt die anhaltend hohe Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist aus menschenrechtlicher Perspektive im Notfall akzeptabel, darf aber keine langfristige Lösung sein, wenn der Staat nicht alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt hat, um quantitativ und qualitativ angemessenen Wohnraum zu schaffen. Denn das Zusammenleben auf engem Raum mit Gemeinschaftsbädern und -küchen beschränkt das Recht auf Privatsphäre. Insbesondere Frauen sind dadurch verstärkt sexuellen Belästigungen ausgesetzt - durch männliche Flüchtlinge und durch Wachpersonal. So zitiert die Frauenrechtsorganisation Women in Exile auf ihrer Webseite geflüchtete Frauen:

"Wir sind alle täglich betroffen von sexueller Belästigung im Lager. Es gibt keine Frauen, die nicht eine Geschichte von aufdringlichen Blicken, widerlichen Kommentaren, unerwünschtem Anfassen oder gar versuchter oder tatsächlicher Vergewaltigung erzählen könnten." Sie berichten von sexueller Belästigung, vor allem nachts klopfen Männer an ihre Zimmertür, und wenn sie die Security informieren, ist es dieselbe alte Geschichte, die wir aus anderen Lagern kennen: 'wir können da nichts machen, aber kommt wieder, wenn es noch mal passiert.' Die Frauen haben den Eindruck, dass nur was unternommen wird, wenn die Katastrophe schon passiert ist."


Das Recht auf Gesundheit

Das Menschenrecht auf Gesundheit bedeutet, dass der Staat die Gesundheit der Bevölkerung nicht beeinträchtigen darf. Er muss sie schützen und Maßnahmen ergreifen, damit sie gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen und Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung haben. Die Einzelnen haben ein Recht auf das für sie erreichbare Höchstmaß körperlicher und geistiger Gesundheit. Das Asylbewerberleistungsgesetz gewährt Flüchtlingen jedoch nur einen Anspruch auf die Behandlung bei akuten Erkrankungen, Schmerzzuständen und Schutzimpfungen sowie die Gesundheitsversorgung für Schwangere und Wöchnerinnen. Die Behandlung chronischer Erkrankungen ist dagegen ausgeschlossen. In vielen Bundesländern entscheiden zudem nicht ÄrztInnen sondern die Sozialverwaltung darüber, ob ein Flüchtling ärztliche Behandlung benötigt oder nicht. Berichte von Flüchtlingsräten zeigen, dass diese ihren Ermessensspielraum oft eingeschränkt auslegen. Aber auch bei großzügiger Ausnutzung des behördlichen Entscheidungsspielraums ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung deutlich eingeschränkter als für andere EmpfängerInnen staatlicher Sozialleistungen.

Die Beschränkung der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen stellt eine deutliche Verletzung ihres Rechts auf Gesundheit gemäß dem UN-Sozialpakt dar. Dieses Recht ist nicht auf die Behandlung akuter Erkrankungen und von Schmerzzuständen beschränkt. Darüber hinaus handelt es sich hier offensichtlich um eine diskriminierende Ungleichbehandlung von Flüchtlingen gegenüber anderen EmpfängerInnen staatlicher Sozialleistungen.


Das Asylpaket II

Das so genannte Asylpaket II, das von der Bundesregierung als Antwort auf die hohen Flüchtlingszahlen und die Kritik ihrer Aufnahmepolitik im Schnellverfahren auf den parlamentarischen Weg gebracht wurde, würde die oben dargestellten Gefährdungen und Verletzungen sozialer Menschenrechte von Flüchtlingen weiter verschärfen. Es sieht beispielsweise Abschiebungen bei psychischen Erkrankungen auch dann vor, wenn damit gerechnet werden muss, dass die Betroffenen im Herkunftsland keine angemessene Behandlung erhalten können. Bei Redaktionsschluss prüfte Bundespräsident Gauck noch, ob das Gesetz mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Viele Menschenrechtsorganisationen bezweifeln das, da es im Widerspruch zu Deutschlands menschenrechtlichen Verpflichtungen stehe.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin
für das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 1/2016, Seite 4-5
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Telefon: 0221/7020072, Fax: 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2016

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