Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN

BERICHT/248: Welternährungsausschuss wird von G20 okkupiert (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Welternährungsausschuss wird von G20 okkupiert

von Roman Herre


Zivilgesellschaft verlässt Verhandlungen

Vom 17. bis 22. Oktober trafen sich Verantwortliche aus 112 Ländern um über Ernährungssicherung und Hungerbekämpfung zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Nach der Reform des Welternährungsausschusses (Committee on World Food Security, CFS) 2009 hat dieser an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt weil bei der Reform großen Wert auf die Demokratisierung der Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse gelegt wurde. Alle Länder haben gleiches Stimmrecht - nicht wie anderswo, wo dies an Beitragszahlungen oder ähnliches geknüpft ist. Und über ein festgelegtes Prozedere (Civil Society Mechanism, CSM) können Nichtregierungsorganisationen und Bauernbewegungen aktiv an der Themensetzung und den Debatten teilnehmen. Gute Voraussetzungen also, dass dortige Entscheidungen nicht die Interessen weniger mächtiger Akteure widerspiegeln, sondern zum Wohle aller, insbesondere der von Hunger und Armut betroffen Gruppen getroffen werden. Die Themen "Land" und "Nahrungsmittelpreise" wurden in eigenen Foren verhandelt. Die Ergebnisse könnten unterschiedlicher nicht sein.


Nahrungsmittelspekulation - G20 würgen Debatte um Agrartreibstoffe ab

An wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Gründe für Preisanstiege und -schwankungen fehlte es nicht. Eine umfangreiche Studie des Expertengremiums des CFS (Price Volatility and Food Security, Juli 2011) sowie eine Studie, die von der G20 selbst in Auftrag gegen wurde (Price Volatility in Food and Agricultural Markets: Policy Responses, Mai 2011), benennen die Rolle der Agrartreibstoffe als treibenden Faktor. Erstere legt dem CFS nahe, "von den Regierungen die Abschaffung von (Beimischungs-)Zielen und die Aufhebung von Subventionen (...) auf die Biotreibstoffproduktion und -verarbeitung" zu fordern. Die zweite Studie empfiehlt, dass die Regierungen der G20-Länder "in ihren nationalen Richtlinien die Bestimmungen streichen (sollten), die Produktion oder Verbrauch von Biosprit subventionieren oder vorschreiben". Deutlicher könnte es nicht sein. Umso verwunderlicher war es, dass dieses Thema kurzerhand von der Agenda gestrichen wurde und ohne große Debatte die Empfehlungen des elitären G20-Kreises zum Thema Spekulationen vom CFS übernommen wurden. Damit wurden gerade die Länder vorgeführt, die die Auswirkungen der Preisschwankungen am härtesten treffen - die ärmsten Länder. Die VertreterInnen der Zivilgesellschaft verließen aus Protest die Verhandlungen.

Die weiteren Beschlüsse des Forums waren dann auch entsprechend unterirdisch. Anstatt die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien zu nutzen, wurde lapidar eine weitere Studie in Auftrag gegeben, welche ganz besonders die Sichtweise der Agrartreibstoffindustrie berücksichtigen soll.


Land-Leitlinien: Abschluss für Februar 2012 in Sicht

Positiv hingegen kann die Debatte um Leitlinien zum Thema Land bewertet werde. Im Vorfeld wurde dem Vorsitzenden des CFS, Noel de Luna, der Dakar-Appell gegen Landraub (siehe FoodFirst 11/2) überreicht. Eine imposante Liste von über 800 Organisationen hatte den von FIAN mitinitiierten Appell unterzeichnet. Zwar konnten die Leitlinien nach mehreren Verhandlungsrunden im Vorfeld nicht verabschiedet werden, dennoch zieht FIAN eine positive Zwischenbilanz. Viele wichtige Themen wie die zentrale Rolle der Menschenrechte und die Frage der gerechten Verteilung von Land wurden trotz Widerstand - insbesondere aus Nordamerika - aufgenommen. Am umstrittensten ist indes noch das Kapitel zu Investitionen. Hier wird sich entscheiden, wie hilfreich diese Leitlinien beim Kampf gegen Land Grabbing sein können. Nun gilt es im Frühjahr die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen.


Roman Herre ist Agrarreferent bei FIAN Deutschland.


*


Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2011, November 2011, S. 12
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012