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BERICHT/209: Näher am Menschen - Ostroms Theorie der Gemeinschaftsgüter (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Näher am Menschen
Elinor Ostroms Theorie der Gemeinschaftsgüter und der kommunalen Rechte in Entwicklungsländern

Von Christopher Y. Bartlett


Im Dezember 2009 erhielt die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Arbeit zur Nutzung von Gemeinschaftsgütern. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Analysen zu kollektivem Handeln im Bereich der Allmendegüter und des Gemeinschaftseigentums.


Ostrom begann mit Forschungen zum Thema, als Garrett Hardin in seinem berühmten Essay Die Tragödie der Allmende (The Tragedy of the Commons; 1968) zu dem Schluss kam, dass die Nutzer einer gemeinsamen Ressource aus egoistischen/eigennützigen Gründen zwangsläufig Raubbau am Gemeingut betreiben. Hardins Lösung sieht entweder eine umfassende Regulierung seitens des Staates oder die Privatisierung der Gemeingüter vor. Er schuf damit eine wichtige Argumentationshilfe für die Privatisierung von Gemeindegütern.

Ostrom und KollegInnen reagierten auf diese Hypothese der 'Tragödie' mit der Dokumentation empirischer Fälle aus allen Teilen der Welt, bei denen entgegen Hardins Vorhersagen die NutzerInnen keinen Raubbau an Gemeinschaftsgütern wie Weideland, Fischgründen, Saatgut und Wäldern betrieben. Vielmehr fand in den dokumentierten Fällen eine kollektive Organisation der NutzerInnen ohne jegliches Eingreifen des Staates oder die Einführung von Privatbesitz statt (NRC 2002). Gerade in Entwicklungsländern fanden sich viele erfolgreiche Fälle von Gemeinschaftsbesitz und -organisation. Und es zeigte sich, dass umfassende staatliche Regulierungen, freie Märkte und private Besitzrechte weder brauchbare noch lokal geeignete Alternativen für eine nachhaltige Ressourcennutzung sind.


Vielfalt - auch in der sozialen Organisation

Die Frage war nun, warum Übernutzung und Raubbau an den Ressourcen ausblieben. Ostrom und KollegInnen begannen mit der Suche nach spezifischen Regeln, welche zum erfolgreichen Management von Gemeinschaftsgütern geführt haben. Schnell wurde klar, dass es keine allgemeingültige Formel gab. Jeder Fall war anders; jede Nutzergemeinschaft hatte ihre eigenen Regeln aufgestellt. Somit begann Ostrom, institutionelle Regelmäßigkeiten zu suchen, welche bei bewährten Systemen von Gemeingüternutzung existierten, bei Negativbeispielen hingegen fehlten. Sie entdeckte eine Reihe von Mustern und Prinzipien. Einige sind von besonderer Bedeutung für Entwicklungsländer und nehmen direkt Bezug auf Nutzungs- und Zugangsrechte der lokalen Gemeinden.

Klar definierte Grenzen des Gemeinschaftsbesitzes sowie die darin legitimierten und nicht-legitimierten NutzerInnen war eines dieser Muster. Gemeinschaftsbesitz ist also nicht frei zugänglich im weiteren Sinne, sondern wird genutzt und verwaltet von einer leicht identifizierbaren und begrenzten Gruppe. Innerhalb dieser Gruppe entwickelten sich Vertrauen, Kommunikation und gemeinsame Strategien, die weit entfernt von Hardins 'Tragödie' des egoistischen Wettbewerbs waren. Ein Beispiel dafür sind die dorfeigenen Korallenriffe auf vielen Pazifikinseln. Außenstehende müssen beim Vorsteher um Erlaubnis bitten, um auf dem Riff fischen zu können, während die DortbewohnerInnen dies nach Belieben tun dürfen (Bartlett et al. 2009). Ein weiteres Muster: lokale Regeln und Regulierungen werden gemeinschaftlich entwickelt und verwaltet. So haben die Mitglieder einerseits Rechte, andererseits die Verantwortung der Teilhabe am Prozess der Regulierung. Ostroms Erkenntnisse legen nahe, dass eine nachhaltige Nutzung von Gemeinschaftsgütern besonders erfolgreich ist, wenn Regierungen anerkennen, dass lokale Gemeinschaften ihre eigenen Regeln machen und staatliche Kompetenzen gar aktiv an lokale Autoritäten, traditionelle Führer oder Dorfälteste abgeben werden.


Grundlage für Rechte

Ostroms Theorie der Gemeinschaftsgüter hat große Bedeutung für Entwicklungsländer. Sie reicht weiter als die konventionellen Wirtschaftsmodelle, welche auf begrenzten Annahmen über Produktivität, Marktpreise, selbstmaximierende Anreize und Privatisierung der Gebrauchsgüter beruhen. Ihre Arbeit bringt uns näher an eine einheitliche Theorie des menschlichen Verhaltens, welche zusätzliche Gegebenheiten wie Lebensqualität, kulturelle Identität und das Gemeinschaftswohl berücksichtigt. Sie liefert zudem eine theoretische und empirische Grundlage für die Betonung der Rechte der ärmsten und am meisten marginalisierten Menschen - und deren Kapazitäten, Regeln und institutionelle Arrangements erfolgreich, nachhaltig und gemeinschaftlich zu entwickeln, Weiter erinnert uns Ostrom daran, dass Blaupausen zur Ressourcennutzung, die oft lokalen Gruppen aufgezwungen werden, zu unbeabsichtigten und meist schlimmen Konsequenzen führen (Ostrom 2007) - Gedankennahrung vor dem Hintergrund einer globalen Bevölkerung, die immer anfälliger reagiert auf soziale, ökologische und klimatische Veränderungen.

Christopher Y. Bartlett ist Mitarbeiter des Arbeitskreises für politische Theorie und Analyse der Indiana Universität, den Elinor Ostrom geleitet hat
CYBartlett@gmail.com


Literatur:

Bartlett, C. Y. et al. (2009). The marine reserve phenomenon of the Pacific islands. Marine Policy 33(4): 673-678.

Hardin, G. (1968). The Tragedy of the Commons. Science 162(3859): 1243-1248.

NRC (National Research Council) (2002). The Drama of the Commons. Washington, DC, National Academies Press.

Ostrom, E. (1990). Governing the Commons: The evalution of institutions für collective action. Cambridge, Cambridge University Press.

Ostrom, E. (2005). Understanding institutional diversity, Princeton University Press.

Ostrom, E. (2007). Going Beyond Panaceas Special Feature: A diagnostic approach for going beyond panaceas. Proceedings of the National Academy of Sciences 104(39): 15181-15187.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2010, März 2010, S. 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010