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BERICHT/159: Globales Europa - Europa gegen den Rest (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Globales Europa - Europa gegen den Rest

Von Armin Paasch


Marktöffnung überall! Mit dieser schlichten Formel lässt sich die Stoßrichtung der EU-Handelspolitik zusammenfassen, sei es in der Welthandelsorganisation (WTO) oder in bilateralen Verhandlungen. Spätestens seit Verkündung der EU-Handelsstrategie "Global Europe" vor zwei Jahren ist dies auch amtlich. Nach den jüngsten Hungerprotesten steht die Politik vor einer Grundsatzentscheidung: Freier Marktzugang für europäische Konzerne oder Freiheit von Hunger?


"Letztes Jahr ist ein Teil meiner Tomaten auf dem Feld verrottet, weil ich sie nicht los wurde", klagt Johannes Klopka, ein Tomatenbauer aus dem ghanaischen Dorf Koluedor. "Die Händler sagen, in der Hauptstadt isst man keine Tomaten mehr". Die Aussage ist weniger absurd als sie klingt. Tatsächlich verzehren die Städter immer mehr Tomatenpaste aus dem Ausland, während der Absatz heimischer Frischtomaten sinkt. Grund ist ein astronomischer Anstieg der Importe, wovon ein Großteil aus der EU stammt.


Dumping und Marktöffnung

Vor allem zwei Ursachen sind dafür verantwortlich: Zum einen hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) Ghana 1992 eine radikale Marktöffnung aufgenötigt. Zum anderen bezuschusst die EU ihre Tomatenproduktion jährlich mit über 300 Millionen Euro und legt für den Export einer Tonne Tomatenpaste zusätzlich noch 45 Euro drauf. Kein Einzelfall Ähnliche Importfluten aus der EU erleiden in Ghana die GeflügelzüchterInnen, aber auch SchweinezüchterInnen der Elfenbeinküste, im Kongo oder in Angola. Für viele Kleinbauernfamilien bedeutet dies dramatische Einkommensverluste und häufig eine Verletzung ihres Menschenrechts auf angemessene Ernährung.

Das Schema ist bekannt. Während die EU - wie auch die USA - ihre landwirtschaftliche Produktion und mitunter Exporte in großem Stil subventioniert, wird den Ländern des Südens seit Anfang der 1980er Jahre eine fatale Hungerkur verordnet: Marktöffnung einerseits und Kahlschlag bei der öffentlichen Unterstützung für heimische Bäuerinnen und Bauern andererseits - etwa beim Zugang zu Saatgut, Maschinen, Krediten und Vermarktung. Beide Komponenten derselben neoliberalen Strukturanpassung ramponierten die Landwirtschaft in vielen Ländern des Südens erheblich und ermöglichten die Übernahme ihrer Märkte durch ausländische Konzerne. Viele von ihnen, wie etwa Unilever, stammen aus Europa und verdanken ihre Vorherrschaft auf dem Weltmarkt nicht zuletzt den üppigen EU-Subventionen.


Der Freihandel ist tot - es lebe der Freihandel

Geschaffen wurde dieses Ungleichgewicht vor allem durch die Bretton Woods Geschwister IWF und Weltbank. Verstärkt und in internationales Recht gegossen wurde es 1995 mit dem Agrarabkommen der WTO. Dass es so nicht weitergeht, zeigt das jahrelange "Elend der WTO" (Tilman Santarius). 2001 hatten die WT0-Mitgliedsstaaten in Doha eine neue Verhandlungsrunde zum Abbau von Subventionen und Handelsschranken eingeläutet - die so genannte Doha Entwicklungsrunde. Seither schleppen sich die Verhandlungen zäh von einer Ministerkonferenz zur nächsten, ohne dass es bislang zu einer spürbaren Annäherung gekommen wäre. Und das ist auch gut so, wenn man sich die bisherigen Vorschläge der EU und der USA anschaut. Würde sich beispielsweise die Forderung der USA nach einer Zollsenkung von 90 Prozent für die meist geschützten Produkte durchsetzen, drohten den Kleinbauern des Südens neue Importfluten und zahlreiche Verletzungen des Rechts auf Nahrung.

Allerdings: Anders, als manche WTO-Kritiker vor Jahren frohlockten, hat auch das Scheitern der WTO den 'Freihandelszug' nicht zum Entgleisen gebracht. Denn was sie in multilateralen Verhandlungen nicht erreichen, versuchen die EU und die USA seit Jahren parallel - und jetzt verstärkt - auf bilateraler Ebene durchzusetzen. Die im Dezember 2007 unterzeichneten so genannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und bislang 35 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) bieten einen ersten Vorgeschmack. Unter dem Deckmantel wohlfeiler Entwicklungsrhetorik wurden die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichtet, ihre Zölle auf etwa 80 Prozent der europäischen Importe in den nächsten Jahren komplett abzuschaffen und die restlichen Zölle auf dem jetzigen, oft sehr niedrigen Niveau einzufrieren. Damit wurde diesen Ländern jeglicher Handlungsspielraum beschnitten, künftig ihre kleinbäuerlichen Betriebe gegen steigende Billigimporte zu schützen. Für ghanaische HühnerzüchterInnen und TomatenbäuerInnen wie Johannes Klopka eine Hiobsbotschaft. Eine erhebliche Bedrohung bedeutet das Freihandelsabkommen auch für MilchbäuerInnen etwa in Uganda, zumal die EU in den nächsten Jahren eine erhebliche Steigerung der eigenen Milchproduktion und -exporte plant.


Europa global - ganz im Sinne der Fairness

Die Wirtschaftspartnerschaften mit den AKP-Staaten sind nur der Auftakt. "Global Europe - Competing in the World" heißt die EU-Handelsstrategie, die im Oktober 2006 von Handelskommissar Peter Mandelson vorgestellt und kurz darauf ohne öffentliche Diskussion vom EU-Ministerrat durchgewunken wurde. Eine Entscheidung mit großer Tragweite. Denn in allen Regionen der Welt plant die EU demnach den Abschluss neuer Freihandels- und Investitionsabkommen. Begonnen haben die Verhandlungen schon mit Indien, Südkorea, der Andengemeinschaft, dem Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN) und den Staaten Mittelamerikas.

Radikale Zollsenkungen beim Handel mit industriellen und landwirtschaftlichen Gütern sollen ein Bestandteil sein. Vor allem aber peilt die EU eine Liberalisierung in solchen Bereichen an, die auf den Wunschzetteln europäischer Konzerne ganz oben stehen: mehr Schutz geistiger Eigentumsrechte, ein leichterer Zugang zu Energie und Rohstoffen, die Öffnung des Dienstleistungssektors und des öffentlichen Auftragswesens sowie die Lockerung von Investitionsbeschränkungen. Einige dieser Themen hatten die Länder des Südens bei den WTO-Verhandlungen bereits kategorisch abgelehnt, nun sind sie wieder da.

Das Recht auf Nahrung ist damit in vielerlei Hinsicht in Gefahr: etwa wenn europäische Supermarktketten lokale Marktfrauen verdrängen; wenn kleinbäuerliche Betriebe Erdölbohrlöchern oder Großplantagen für Agrartreibstoffexporte weichen müssen; wenn der Zugang lokaler Gemeinschaften zum Saatgut eingeschränkt wird oder öffentliche Einrichtungen europäisches Milchpulver statt heimische Milch einkaufen müssen, weil europäische Konzerne das günstigere Angebot unterbreiten. "Wir müssen Märkte öffnen, neue Möglichkeiten für den Handel schaffen und sicherstellen, dass europäische Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen auf diesen Märkten vorfinden", heißt es in dem Papier. Fairness für europäische Konzerne also. Und wo bleibt die Fairness gegenüber Kleinbauern und -bäuerinnen und dem Kleingewerbe im Süden?


Hungerkrise - Umdenken überfällig

Allein zwischen Januar und Mai 2008 hat sich der steigende Hunger in über 30 Ländern in teils gewalttätigen Protesten Luft gemacht. Deutlich wurde dabei vor allem eines: Die aggressive Liberalisierungspolitik schadet nicht nur den Bauern. Jetzt schwappt der Hunger auch auf die Städte über. Zu Recht schreibt Olivier de Schutter, neuer UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. "Die heutige Krise ist besonders beunruhigend für die Netto-Importeure von Nahrungsmitteln. Die meisten afrikanischen Länder fallen in diese Kategorie, nicht zuletzt aufgrund der Liberalisierung des Agrarhandels, die ihnen im Zuge der Strukturanpassungsmaßnahmen in den 1980er und 1990er Jahren aufgebürdet wurde." Erst wurden diese Länder in die Abhängigkeit von Importen geführt. Jetzt steigen die Weltmarktpreise, und die Importe werden besonders für die ärmsten Länder unbezahlbar.

Über 800 zivilgesellschaftliche Organisationen haben daher auf dem Welternährungsgipfel Anfang Juni 2008 in Rom eine radikale Abkehr von der Liberalisierungspolitik gefordert. Und auch der UN-Menschenrechtsrat betonte in einer Resolution vom 26. März 2008, "dass alle Staaten alles unternehmen müssen um sicherzustellen, dass ihre internationale Politik, internationale Handelsabkommen eingeschlossen, keine negativen Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung in anderen Ländern haben." Für die EU muss das heißen: Abschied von "Global Europe", die Handlungsspielräume der Länder des Südens zum Schutz der Menschenrechte respektieren und Dumping endgültig beenden. Jetzt erst recht muss alles unternommen werden, damit die Kleinbäuerinnen und -bauern sich und ihre Bevölkerungen wieder selber ernähren können. Und zwar so schnell wie möglich.


Der Autor ist Referent für Welthandel bei FIAN-Deutschland.


Verheerende Fluten - politisch gemacht.
EU-Handelspolitik verletzt Recht auf Nahrung in Ghana.
Die Beispiele Hühnchen und Tomaten

Die Broschüre von Germanwatch und FIAN beschreibt die negativen Auswirkungen der europäischen Exporte von Geflügel und Tomatenpaste auf das Recht auf Nahrung ghanaischer Kleinbauern und verweist auf die weitere Bedrohung durch das neue Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Die Broschüre fasst die Ergebnisse einer eigenen Untersuchungsreise in Ghana in anschaulicher und ansprechender Weise zusammen. Zu beziehen bei Germanwatch oder FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 4-5
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2008