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BERICHT/126: Weltbank - Kämpfer gegen die Armut? (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Weltbank - Kämpfer gegen die Armut?

Von Uwe Hoering


Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von weniger als zwei US-Dollar am Tag. Eine erschreckende Zahl. Aber auch eine abstrakte Zahl. Wer sind diese weit mehr als drei Milliarden Menschen? Viele von ihnen sind arbeitslos, Tagelöhner, Jugendliche und alleinstehende Mütter, Alte, Kranke. Doch die weitaus meisten haben als Handwerker oder Kleinbäuerin, mit einem Kiosk, dem Straßenverkauf von Lebensmitteln, mit einfallsreichen und notwendigen Dienstleistungen aller Art ihr wirtschaftliches Auskommen -unsicher, informell oder prekär, wie man heute sagt, aber produktiv und integriert in vielfältige Wirtschaftskreisläufe. Sie alle sind die Zielgruppe der Weltbank, wenn man deren Rhetorik glaubt.


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"Unser Traum - eine Welt ohne Armut, verkündet die Weltbank. Und seit sich die Staatschefs der Welt bemüßigt sahen, im Jahr 2000 die UN-Millenniums-Entwicklungsziele auszurufen, weil die Zahl der Armen partout nicht zurückgehen wollte, führt die Bank die "Orientierung auf die Armen" noch stärker als zuvor im Titel ihrer Politik und Programme. Ein Beispiel sind die Armutsbekämpfungsstrategien (Poverty Reduction Strategie Papers, PRSP), die Gelder aus dem Schuldenerlass in Maßnahmen zur Armutsminderung, also etwa in Bildungs-, Gesundheits- und Beschäftigungsprogramme lenken sollen. "Pro-Poor" sind auch Kleinkreditprogramme, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die mit Weltbankgeldern gefördert werden, einige ländliche Entwicklungsprogramme, und so fort. Manche davon helfen tatsächlich, vor allem, wenn sie von den Betroffenen selbst bestimmt werden können, andere bleiben in Korruption und Bürokratie stecken, wieder andere werden von einflussreichen wirtschaftlichen und politischen Eliten genutzt, um ihren eigenen Wohlstand zu vergrößern.


Mehr Wohlstand durch Wirtschaftswachstum

Das wichtigste Rezept der Weltbank für mehr Wohlstand für alle aber heißt Wirtschaftswachstum. Wenn der Kuchen größer wird, wird jede Scheibe größer, so die Vorstellung, also auch der Anteil für die Armen. Wenn die Reichen mehr Geld haben, sparen und investieren sie und schaffen damit Arbeitsplätze. Für dieses Wirtschaftswachstum braucht man Unternehmer, und für die wiederum braucht man ein geeignetes "Investitionsklima". Die Förderung der privaten Investitionen stand denn auch seit spätestens Anfang der 1990er Jahre "im Zentrum der Weltbankstrategie für nachhaltiges Wachstum und Armutsminderung", schreibt die Evaluierungsabteilung der Bank in ihrem Jahresbericht 2004 über die "Entwicklungswirksamkeit" der Weltbankpolitik.

Im Namen von Wirtschaftswachstum und Armutsminderung hat die Weltbank daher ihre Kunden, die Regierungen der Entwicklungsländer, als Gegenleistung für Kredite aufgefordert, erst die Staatsbetriebe wie Stahlwerke, Bergbau und Banken zu privatisieren, dann die öffentlichen Dienste wie Wasser- und Stromversorgung, den Gesundheits- und den Bildungsbereich, die Renten- und die Krankenversicherung für private Investoren zu öffnen. Und sie hat sie zur Abschaffung von Zöllen, Tarifen und Mengenbeschränkungen für Ein- und Ausfuhren gedrängt. Den VerbraucherInnen verspricht sie niedrigere Preise, den Regierungen mehr Deviseneinnahmen durch steigende Exporte, mit denen sie wiederum ihre Auslandsschulden abtragen können.

Für die Reichen ging die Rechnung auf: der Welthandel florierte, kapitalkräftige Investoren aus den Industrieländern kauften sich in lukrativen Wirtschaftssektoren in den Schwellenländern ein, internationale Finanzspekulanten nutzten die Freigabe von Wechselkursen und die Freizügigkeit im Kapitalverkehr. Doch oft pickten sich die Investoren nur die Rosinen aus dem wohlfeilen Angebot, war der Handel ein höchst ungleiches Geschäft - billige Rohstoffe gegen teure Industriegüter. Ausländische Investitionen in Großprojekte wie Aluminiumfabriken, Bergbau oder Staudämme brachten wenig Arbeitsplätze, schon gar nicht für unqualifizierte Arme. Die großen Multi-Utility-Konzerne wie RWE, Veolia und Ondeo und ihre Shareholder stellten nach anfänglicher Euphorie rasch fest, dass mit einer Wasserversorgung für Arme nicht genug Profit zu machen ist, also zogen sie wieder ab. Ausländische Banken konzentrierten sich auf die sicheren Großkunden, während kleine Unternehmen oder Bauern keine oder nur sehr teure Kredite bekamen. Der Abbau von Zöllen und Tarifen dass Löcher in die Staatskasse, wodurch das Geld für Schulen und Krankenstationen noch knapper wurde, als es durch den Schuldendienst bereits war. Eine Flut von Importgütern macht einheimische Fabriken und zahllose bäuerliche Betriebe platt, Warenhaus- und Fast-Food-Ketten verdrängen kleine Geschäfte und Garküchen. Neue Arbeitsplätze gingen schnell Weder verloren, weit Investoren bei steigenden Löhnen ins nächste Billiglohnland abwanderten.

Dank hoher Rohstoffpreise und Investitionen in einige Bereiche wie den Bergbau, die Erdölförderung oder die Aluminiumherstellung stieg das Wirtschaftswachstum in den ärmsten Entwicklungsländern immerhin um fünf bis sechs Prozent. Dennoch nahm in den 50 am wenigsten entwickelten Ländern die Armut zu, stagnierte die Produktivität in der Landwirtschaft oder sank sogar, und entstanden nicht annähernd genügend Arbeitsplätze im industriellen Bereich, wie die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) feststellte. Mehr noch: die UN-Wirtschaftsexperten sind überzeugt, dass die Handelsliberalisierung, wie sie unter anderem von der Weltbank propagiert und durchgesetzt wurde, die Armut vergrößert, weil sie zu verbreiteter Arbeitslosigkeit und dem Zusammenbruch einheimischer Verarbeitungsbetriebe beitrug.


Das 'neue' Geschäftsmodell der Weltbank

Statt daraus die Lehren und Konsequenzen zu ziehen, beschleunigt die Weltbank diese Entwicklungsstrategie weiter. Mit ihrem neuesten "Geschäftsmodell" konzentriert sie sich wieder stärker auf die vergleichsweise wohlhabenden Schwellenländer - die größten Kredite gehen an Mexiko, Brasilien, Türkei, China und Indien - und auf große Infrastrukturprojekte, deren Anteil am Budget sich bis 2008 auf 40 Prozent verdoppeln soll. Für das Investitionsklima sind neue Flughäfen und Fernstraßen, eine bessere Stromversorgung und moderne Business Parks sicher gut - doch neue Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten für die Handwerker und Bäuerinnen, Händlerinnen und Tagelöhner entstehen dadurch kaum.

Der Grund für das neue "Geschäftsmodell": trotz ihrer zahllosen Bekenntnisse zu Armutsminderung und nachhaltiger Entwicklung ist und bleibt die Weltbank ein profitorientiertes Unternehmen. Und ihre Geschäfte gingen in den vergangenen Jahren schlecht: Das Kreditgeschäft ging zurück, weil viele Länder Geld lieber auf dem internationalen Finanzmarkt aufnahmen, die Einnahmen sanken, die Gewinne brachen ein.

Um ihre Kreditangebote wieder attraktiver, kostengünstiger und wettbewerbsfähiger zu machen, hat die Bank zudem begonnen, ihre sozialen und ökologischen "Minimalstandards" zu verwässern, die eigentlich sicherstellen sollen, dass die von ihr finanzierten Projekte vorab auf eventuelle schädliche Nebenwirkungen für Bevölkerung und Umwelt geprüft werden. Sie will diese Entscheidung am liebsten in Zukunft ganz ihren Kunden, also den Regierungen und Unternehmen, die die Projekte durchführen, überlassen - sprich: den Bock zum Gärtner machen.


Kein Platz für Menschenrechte

Als "wirtschaftlich orientierte Institution", wie es in ihrer Geschäftsordnung heißt, hat sie sich lange Zeit der Diskussion um die Menschenrechtsrelevanz ihre Politik verschlossen. Dabei verstoßen viele ihrer Politiken und Projekte eindeutig gegen Menschenrechte - wie das Recht auf Nahrung, auf Wasser, auf Gesundheit oder auf Bildung. Doch bislang kann die Weltbank nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn Menschen keine Nahrungsmittel mehr anbauen können, weil sie einem Stausee weichen mussten, ihr Trinkwasser durch Quecksilber aus dem Goldbergbau verseucht wird oder ihre Kinder nicht zur Schule schicken, weil sie die Schulgebühren nicht aufbringen können. Sie schiebt die Schuld auf die jeweilige Regierung, auf angebliche Korruption, auf fehlende Institutionen oder auf mangelnden politischen Willen. Denn sie selbst will nur das Beste - den Traum einer Welt ohne Armut verwirklichen, auch wenn ihre Mittel dafür ungeeignet sind.


Der Autor ist freier Journalist. Im Auftrag des Forums Umwelt und Entwicklung hat er eine Bestandsaufnahme der Weltbankpolitik geschrieben, die im April veröffentlicht werden soll.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2007, März 2007, S. 4-5
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Düppelstraße 9-11, 50679 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2007