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ASIEN/020: Landraub und Vertreibung in Kambodscha (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Heute haben wir Angst vor Entwicklung!
Landraub und Vertreibung in Kambodscha

Von Roman Herre


In Kambodscha wurden in den letzen Jahren über 3 Millionen Hektar Land an InvestorInnen verteilt - allein 1,1 Millionen Hektar für riesige Agrarprojekte. Laut Welternährungsorganisation FAO verfügt Kambodscha über 4,6 Millionen Hektar Land, das für die Landwirtschaft geeignet ist. Schon 1999 wurden 3,9 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzt. Es kann also nur Land verteilt werden, das aktuell genutzt wird. Landkonflikte und Vertreibungen sind vorprogrammiert. Betroffen sind vor allem Bauerngemeinden, Indigenengruppen und FischerInnen an den Küsten. Durch den Entzug der Lebensgrundlage verletzen InvestorInnen und der Staat deren Menschenrecht auf Nahrung.


2001 wurde in Kambodscha ein neues Landgesetz verabschiedet. Eine zentrale Motivation war, aktuelle Siedlungen und Landnutzungen auf eine legale Basis zu stellen, was vor dem Hintergrund der gewaltigen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen während der Herrschaft der Roten Khmer sinnvoll erscheint. Entgegen der Idee, durch Rechtssicherheit Landkonflikte zu minimieren, mehren sich in den letzten Jahren die Berichte über Vertreibungen und großflächigen Landraub. Die Menschenrechtsorganisation LICADHO spricht allein in den 13 der 24 Provinzen und Stadtbezirke, in denen sie tätig ist, von 261.000 Menschen die zwischen 2003 und 2008 in Landkonflikte verwickelt waren (Landraub, gewaltsame Vertreibung). FIAN unternahm Anfang April eine Recherchereise, um konkrete Fälle von Verletzungen des Rechts auf Nahrung zu dokumentieren. Mit Unterstützung von LICADHO wurden mehrere Gemeinden besucht, die gewaltsam vertrieben wurden oder akut von Vertreibung bedroht sind.


Widerstand gegen Landraub in Kampong Speu

In der Provinz Kampong Speu wurden 20.000 Hektar Land als Konzession an die Firmen eines einflussreichen Senators vergeben. Zusammen mit einem thailändischen Investor soll dort Zuckerrohr angebaut werden. Aber das Land ist nicht unbesiedelt. Hier leben Flüchtlings- und Bauerngemeinden. Die Reisfelder liegen mitten in der Konzession, der Wald dient als Weideland und ist Quelle für lebenswichtige Medizin, Früchte und Brennholz. Ungeachtet dieser Tatsachen planieren Bulldozer das Gelände, reißen Häuser ab, roden den Wald, verändern die Wasserführung und bereiten so eine großflächige, industrielle Landwirtschaft vor. Als Ausdruck des Protests wurden über tausend Fingerabdrücke von betroffenen DorfbewohnerInnen gesammelt. Auch vor dem Firmengelände und dem Provinzgericht wurde protestiert - bis heute ohne Erfolg. Die Bulldozer schaffen Fakten - flankiert von Militär und Polizei, Der letzte Ausweg der Gemeinde, um wenigstens Verhandlungen mit den Behörden und der Firma zu bewirken, ist nun die Blockade der Landstraße.


Mitten durch unseren Tempel

Die größte Landkonzession in Kambodscha wurde an die Firma Pheapimex vergeben. Über 300.000 Hektar Land hat die Firma eines kambodschanischen Senators von der Regierung zugeteilt bekommen. Zusammen mit einem chinesischen Investor soll dort eine Akazienplantage entstehen. Zwischen 10.000 und 250.000 Menschen sind laut Schätzungen lokaler Organisationen von der Konzession betroffen. Die Gemeinde Pich Chong Var ist eine von vielen Betroffenen dieses Mega 'Entwicklungsprojektes'. Ein Dorfsprecher berichtet: "Die Grenze der Konzession geht mitten durch unseren Tempel". Für die Gemeinden hier ist der Verlust des Zugangs zum Wald besonders schwerwiegend. Die sandigen Böden lassen hier nur wenig Reisanbau zu. Der Lebensunterhalt wird vor allem durch den Wald gesichert. Neben der direkten Ernährungssicherung werden die meisten Einnahmen durch den Verkauf der Waldfrüchte erzielt. Eine Frau aus der Gemeinde fragt: "Sollen wir dann die Akazienblätter essen?"


Die deutsche Entwicklungshilfe schaut weg

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt seit vielen Jahren die Landpolitik der kambodschanischen Regierung. Insbesondere bei der Vergabe von privaten Landtiteln ist sie engagiert. Das Credo der Durchführungsorganisation GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) lautet 'Landtitelvergabe als effektiver Schutz vor Vertreibung, besonders für arme Bevölkerungsgruppen'. Bei genauerem Hinsehen muss dieser Zusammenhang jedoch bezweifelt werden. Denn dort, wo Investoren und nationale Eliten Interesse am Land haben, werden Titelvergaben gestoppt oder gar nicht erst durchgeführt. Dieses aktive Ausklammern bedrohter Gemeinden stellt den Menschenrechtsansatz auf den Kopf. Gerade diese Gruppen müssten laut Menschenrechtsaktionsplan der Bundesregierung und FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung im Zentrum der Förderungen stehen. FIAN fordert daher eine klare Umorientierung der Förderung hin zur umfassenden und gezielten Unterstützung marginalisierter Gruppen.


Entwicklung, die Hunger schafft

Die meisten der besuchten Gemeinden hatten vor den Landkonflikten einen guten Lebensstandard. Sie konnten ihr Recht auf Nahrung durch den Zugang zu Ackerland, Fischgründen und Wald angemessen wahrnehmen. Die neue Wette von Landnahmen, die von vielen auch als Entwicklungschance gesehen wird, führt in Kambodscha zu Armut und Hunger. Ein Zitat eines Bauern aus dem Aoral District versinnbildlicht diesen Zusammenhang zwischen so genannter Entwicklung, Landnahmen und Hunger: "Als die Straße kam, kamen die Bulldozer um unseren Wald zu zerstören."


Roman Herre ist Referent für Agrarreform und Agrarhandel bei FIAN Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2010, Juli 2010, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2010