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AKTION/113: Haiti - Zwangsvertreibung von Kleinbauernfamilien, Artibonite (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

FIAN-Eilaktion 0807AHTI von Mai 2008 - Mittelamerika

Haiti: Zwangsvertreibung von Kleinbauernfamilien, Artibonite


Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt und hat ein schwerwiegendes Nahrungsdefizit. Vor kurzem kam es wegen der plötzlichen und großen Preissteigerung zu Aufständen gegen Hunger. Die meisten Kleinbauern haben keine Sicherheit in den Mietverhältnissen über ihr Land. Das Produktionsdefizit wuchs erneut aufgrund der drastischen Senkung der Einfuhrzölle auf Lebensmittel, insbesondere auf Reis. Druck vonseiten des International Monetary Fund führte dazu, dass die Einfuhrzölle 1995 von 35 Prozent auf nur 3 Prozent fielen. Eine Folge davon ist, dass haitianische Produzenten nun hauptsächlich wegen der Reisimporte aus den USA in einem unfairen Wettkampf stehen. Dieser bezuschusste Reis wird für einen geringeren Preis verkauft als lokaler Reis und hat zur Verringerung der lokalen Reisproduktion beigetragen. Reisimporte betragen heute 75 Prozent des im Land konsumierten Reises.

Während der ersten Amtszeit von René Préval hatte die haitianische Regierung Anfang 1997 an tausende landlose Familien 17 staatliche Ländereien im Department Artibonite verteilt. Jede Familie bekam durchschnittlich einen Hektar mit einem Mietvertrag vorbehaltlich der Zahlung einer symbolischen Miete. Fast alle Familien nutzten das Land um Reis anzubauen.

Als nach Aristides Amtszeit im Jahr 2004 der Premierminister der Übergangsregierung betonte, dass die Agrarreform für ihn keine politische Priorität sei, besetzten die lokalen Landbesitzer vier dieser Ländereien (Bertrand, Lespenche, Boussac, Timonette) und vertrieben gewaltsam 1200 Familien, die dort lebten und arbeiteten. Laut Zeugen kamen die Landbesitzer mit privaten Kräften, die von der Polizei unterstützt wurden. Von den Kleinbauernfamilien leben die meisten heutzutage in Bocozelle, der fünften Sektion von Saint Marc und können wegen der Bedrohungen durch die Landbesitzer nicht auf ihr Land zurückkehren, das ihre Lebensgrundlage war. Daher ist die Ernährungssituation der Kleinbauern seit der Vertreibung 2004 sehr schwierig. Heute sind sie der Kleinbauernbewegung für Gerechtigkeit in Artibonite MOREPLA angeschlossen.

Aussagen von MOREPLA stimmen mit dem überein, was Partner der kooperierenden Vereinigung CODEL in der Gemeinde L'Estère, die ebenfalls im Department Artibonite liegt, berichtet haben. Diese Familien hatten 1997 ebenfalls staatliche Ländereien bekommen und sie für den Reisanbau genutzt. Die Kleinbauernfamilien von Saint Marc verloren sie gleichermaßen 2004 aufgrund der gewaltsamen Vertreibung durch bewaffnete Männer, die von den Landbesitzern geschickt wurden. Bis jetzt urden 588 Kleinbauernfamilien vertrieben und haben seit dem Landverlust 2004 keine Lebensgrundlage mehr.

Kleinbauern beider Orte zeigten den erzwungenen Verlust ihrer Länder beim Nationalen Institut für Agrarreform INARA an. Zudem forderten sie auf mehreren öffentlichen Demonstrationen, dass die Regierung Verantwortung übernehmen solle. Aber bis heute scheinen die Regierungsbehörden keinerlei Aktionen unternommen zu haben um die Rechte der Kleinbauernfamilien wieder herzustellen.


Zusammenfassung:

Im Jahr 2004 wurden 1.200 haitianische Kleinbauernfamilien im Department Artibonite gewaltsam von ihrem Land vertrieben. Die Familien hatten das Land im Rahmen der Agrarreform 1997 vom Staat bekommen und dort seitdem gelebt und gearbeitet. Nach Aristides Amtszeit gab der Premierminister der Übergangsregierung an, dass die Agrarreform für ihn keine Priorität habe. Daraufhin schickten lokale Landbesitzer bewaffnete Männer, um vier der 17 Landparzellen, die umverteilt worden waren, zu besetzen. So verloren 588 Familien die Ländereien, die ihnen die Regierung 2004 in der Gemeinde L'Estère gegeben hatte. Heute leben die vertriebenen Familien in einer unsicheren Situation und haben weder angemessene Unterkunft noch Zugang zu Ressourcen um sich zu ernähren.

Angesichts dieser Situation ist es sehr wichtig, die Aufmerksamkeit der haitianischen Regierung auf ihre Pflicht zu lenken, das Recht dieser Kleinbauernfamilien auf Nahrung zu gewährleisten. Die aktuelle Lebensmittelkrise in Haiti wird nicht nur mit Lebensmittelhilfe gelöst werden. Es ist von wesentlicher Bedeutung, den Bauernfamilien Zugang zu und Kontrolle über Land und andere Produktionsressourcen zu garantieren, damit sie den Hunger überwinden und auf agroökologische Weise für sich und ihre Familien Nahrung produzieren können.


Menschenrechtliche Verpflichtungen Haitis

Haiti ist ein Mitgliedsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. In Artikel 17 sieht dieser Pakt den Schutz vor willkürlichen oder illegalen Eingriffen im eigenen Haus vor und ist daher ein Schutz gegen erzwungene Vertreibungen. Zudem erkennt die haitianische Verfassung - in Artikel 248 - den Bedarf nach einer Agrarreform an. Artikel 22 der Verfassung schreibt auch das Recht aller Bürger auf Nahrung fest. Deshalb hat der haitianische Staat die Pflicht, das Recht auf Nahrung zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten, insbesondere unter der schwächsten Bevölkerung. Im Fall der Kleinbauernfamilien des Departments Artibonite hat der Staat die Pflicht, das Recht der Kleinbauern auf Land effektiv zu schützen, damit sie als Begünstige der Agrarreform ihr Recht auf Nahrung genießen können.

Im Februar führten La Via Campesina und FIAN eine Untersuchungsreise in Haiti durch und konnten vor Ort Zeugenaussagen der betroffenen Familien einholen.


Aktion

Bitte schreiben Sie einen Brief an den Präsidenten der Republik, an den Direktor des Agrarinstitutes und an die Kleinbauernbewegung für Gerechtigkeit in Artibonite (MOREPLA), in dem Sie ihre Bedenken über diese Fälle ausdrücken und den Präsidenten bitten, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen um das Recht auf Nahrung zu gewährleisten. Senden Sie bitte auch eine Kopie Ihres Briefes an die Kooperative CODEL und an Veterinarios sin Fronteras.


Ende der Aktion: 30. Juni 2008


Adressen:
Monsieur René Garcia Preval
Président de la République d'Haiti
Bureau l, Palais National
Port-au-Prince
HAITI (W.I.)


Kopien an:
M. Bernard Ethéart
Directeur Général
Institut National de la Réforme Agraire (INARA)
Boite postale 241
Port-au-Prince / Haiti
Fax: +509 245 1910
E-Mail: bernardetheart1@hotmail.com

MOREPLA
morepla2@yahoo.fr

CODEL
ocjeannnss@yahoo.fr

Veterinarios Sin Fronteras
Coordinación Regional Caribe
C/Presidente Hipólito
Irigoyen No. 16, Apto. A-1
Zona Universitaria, Santo Domingo, D.N., Rep. Dom.
Fax: +809 535 6639
E-Mail: caribe@veterinariossinfronteras.org

Ein Brief nach Übersee kostet
aus Deutschland 1,70 Euro
aus Österreich 1,40 Euro
aus Belgien 0,90 Euro.


*


Übersetzung des Musterbriefs


Sehr geehrter Herr Präsident,

Während ihrer ersten Amtszeit zu Beginn des Jahres 1997 hat die haitianische Regierung 17 staatliche Ländereien an tausende besitzlose Kleinbauern des Departments Artibonite verteilt. Fast alle dieser Familien nutzten das Land um Reis anzubauen und konnten so ihr Recht, sich angemessen zu ernähren, umsetzen. 2004 vertrieben lokale Landbesitzer gewaltsam 1.200 Bauernfamilien aus Bertrand, Lespenche, Boussac und Timonette. Zeugen zufolge kamen sie mit privaten Kräften und polizeilicher Unterstützung. Seitdem konnten die Kleinbauernfamilien, von denen die meisten heute in Bocozelle (der fünften Sektion von Samt Marc) leben, wegen der Bedrohungen durch die Landbesitzer nicht auf ihr Land zurückkehren. In der Gemeinde L'Estère wurden ebenfalls 588 Familien von bewaffneten Männern vertrieben, die von Landbesitzern geschickt wurden. Weil die Bauernfamilien dadurch ihre Lebensgrundlage verloren haben, ist ihre Ernährungssituation seither sehr schwierig.

Die Kleinbauern und -bäuerinnen beider Orte zeigten den Verlust ihrer Länder beim INARA (Nationales Institut für Agrarreform) an und verlangten auf mehreren öffentlichen Demonstrationen, dass die Regierung Verantwortung übernimmt. Sie haben bis heute keine Antwort der staatlichen Behörden erhalten.

Haiti ist ein Mitgliedsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Artikel 17 dieses Pakts gibt an, dass jeder Mensch ein Recht auf rechtlichen Schutz gegen willkürliche oder illegale Eingriffe in seinem Haus hat; dies erfordert also den Schutz gegen erzwungene Vertreibungen. Zudem erkennt Artikel 248 der haitianischen Verfassung den Bedarf nach einer Agrarreform an und Artikel 22 schreibt das Recht aller Bürger auf Nahrung fest. Im Fall der Bauern von Artibonite hat der haitianische Staat daher die Pflicht das Recht auf Land der durch die Agrarreform Begünstigten zu schützen und zu gewährleisten, damit sie ihr Recht auf Selbsternährung genießen können.

Als Person, die sich international für den Schutz und die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung einsetzt, bitte ich Sie, Herr Präsident:

das Recht auf Land der Bauerngruppen des Departments Artibonite wiederherzustellen und zu schützen
den Bauernfamilien die technische Unterstützung zu geben, die sie benötigen um nachhaltig zu produzieren
überall die kleinbäuerliche, agroökologische Produktion weiter zu entwickeln, die in allen Departments schon wichtige Ergebnisse zeigt und die Verarbeitung der Agrarprodukte auf dem Land zu fördern, um Arbeit, Nahrung und Einkommen zu schaffen.

Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich über Maßnahmen, die Ihrer Regierung ergreifen wird, auf dem Laufenden halten. Hochachtungsvoll,

Bitte informieren Sie FIAN über Reaktionen auf Ihre Briefe!


*


Monsieur le Président,

Lors de votre premier mandat, au début de l'année 1997, le Gouvernement de Haïti a distribué 17 terres d'Etat à des milliers de familles paysannes sans terre du département de l'Artibonite et presque toutes ces familles se sont mises à produire du riz, satisfaisant ainsi leur droit à se nourrir dignement. En 2004, les grandons de la région ont expulsé par la force 1200 familles paysannes de Bertrand, Lespenche, Boussac et Timonette. Selon les témoins, ils sont arrivés accompagnés d'hommes de main et de la police. Depuis lors, les familles paysannes dont la majorité vit aujourd'hui à Bocozelle, cinquième section de Saint Marc, n'ont pas pu retourner sur leurs terres à cause des menaces des grandons. Dans la commune de L'Estère, 588 familles ont aussi été expulsées par des hommes armés de machettes et d'armes à feu envoyés par les grandons. Depuis lors, la situation alimentaire des familles paysannes est très difficile car elles ont perdu leurs moyens de subsistance.

Les paysannes et les paysans des deux endroits ont dénoncé à l'INARA la perte de leurs terres et exigé lors de plusieurs manifestations publiques que le gouvernement assume ses responsabilités. Ils n'ont jusqu'à présent reçu aucune réponse des autorités de l'Etat. Haití est un Etat partie au Pacte International relatif aux droits civils et politiques. L'article 17 de ce Pacte précise que toute personne à droit à la protection de la loi contre des immixtions arbitraires ou illégales dans son domicile; ceci implique la protection contre des expulsions forcées. D'autre part, l'article 248 de la Constitution haïtienne reconnaît la nécessité d'une réforme agraire et l'article 22 reconnaît le droit à l'alimentation de tous les citoyens. Dans le cas des paysans de l'Artibonite, l'Etat haïtien a donc l'obligation de protéger et garantir le droit à la terre des bénéficiaires de la réforme agraire pour qu'ils puissent satisfaire leur droit à se nourrir.

En tant que personne qui travaille au niveau internacional à la défense et à la réalisation du droit à l'alimentation, je vous demande Monsieur le Président:

de rétablir les droits à la terre des groupements paysans du département de l'Artibonite et de les protéger;
de donner aux familles paysannes l'appui technique dont elles ont besoin pour produire de manière durable;
de développer partout la production agroécologique paysanne qui donne déjà des résultats très significatifs dans tous les départements et de favoriser la transformation des produits agricoles à la campagne pour générer du travail, de la nourriture et des revenus.

Je vous remercie déjà de bien vouloir me tenir au courant des mesures que votre gouvernement décidera de prendre.

Je vous prie d'agréer, Monsieur le Président, l'expression de ma haute considération


*


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2008