Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

MUMIA/637: Weil sie es können (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne # 707
Weil sie es können

Immer wieder decken Videos brutale Polizeiübergriffe auf

von Mumia Abu-Jamal, Juli 2014



Diese Szenen sind bedauerlicherweise nur allzu bekannt: Ein Mensch wird von einem Polizisten oder einer Gruppe von Polizisten verprügelt - brutal und erbarmungslos. Jemand hält den Vorfall auf Video fest, und viele, die das sehen, empfinden zumindest anfangs noch spontane Sympathie für das am Boden liegende Opfer. Schon kurz darauf veröffentlichen die Medien aber die Polizeiversion, in der es dann heißt, der Geschlagene sei »aggressiv« und »streitsüchtig« gewesen und habe »Widerstand gegen seine Festnahme geleistet«. Und schlimmer noch: er habe »unter Drogen gestanden«. Kurz darauf ist die Nachricht vergessen. »Erledigt«.

Aber diese Attacken gehören zum Polizeialltag. In Kalifornien zeigt ein Anfang Juli von einem Autofahrer aufgenommenes Video, wie die 51jährige Afroamerikanerin Marlene Pinnock von einem Autobahnpolizisten am Straßenrand des Santa Monica Freeway zu Boden geworfen und mit einem Hagel von Faustschlägen traktiert wird. Ein Arzt stellt später fest, daß Kopf und Oberkörper der Frau mit großen Blutergüssen übersät sind.

Im besetzten Palästina kursiert fast zeitgleich ein Video, in dem man sehen kann, wie der 15jährige Tarik Abu Chder von schwarzuniformierten Grenzpolizisten zusammengeschlagen und noch mit Fäusten auf seinen Kopf geprügelt und mit Füßen getreten wird, als er schon am Boden liegt. Nach der Prügelorgie verstauen die Grenzpolizisten den reglosen Körper des Jungen in einem bereitstehenden Polizeiwagen.

Wie lautet nun die Polizeiversion in den beiden Fällen? Großmutter Pinnock aus Kalifornien soll angeblich versucht haben, »die Autobahn zu Fuß zu überqueren«. Die Aufforderung des Polizisten, das zu unterlassen, habe sie »ignoriert und dann Widerstand geleistet«.

Und der palästinensisch-amerikanische Teenager? Er soll mit »Jungen, die Messer bei sich hatten«, gesehen worden sein. Klar, deshalb konnten sie nicht anders und mußten ihn zusammenschlagen.

Was erst später bekannt wird, als die Familie des Jungen an die Öffentlichkeit geht: Tarik ist US-Amerikaner, lebt in Florida und war mit seinen Eltern zu Besuch in Jerusalem, wo kurz zuvor sein 16jähriger Cousin Mohammed Abu Chder bei lebendigem Leib verbrannt worden war - vermutlich aus Rache für den ungeklärten Tod dreier israelischer Talmudschüler.

Die Videoaufnahmen sind erschütternde Dokumente von Polizeigewalt. Sie erinnern an den Fall des 1991 in Kalifornien von mehreren Polizisten brutal mißhandelten Schwarzen Rodney King - nur daß hier keine Schlagstöcke zum Einsatz kamen. Und sie erinnern an den ebenso brutal von Polizisten mißhandelten Delbert Africa aus Philadelphia, nur daß in diesem Fall keine Schußwaffen benutzt wurden.

In all diesen Fällen geht es schlicht um das sogenannte SOP - Standard Operating Procedure, das Standardeinsatzverfahren. So handeln Polizisten eben. Und solange die Bevölkerung nicht mit eigenen Augen sieht, was passiert - vielleicht durch Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen -, werden die Verantwortlichen auch immer wieder versuchen, alles unter den Teppich zu kehren. Aber wir leben jetzt in der Ära der sozialen Medien, und da hat jeder die Möglichkeit, mit eigenen Augen zu sehen, was es zu sehen gibt: »Pigs in action« - Bullen in Aktion, die Frauen und Kinder verprügeln. Und warum tun sie es? Weil sie es können.


Copyright: Mumia Abu-Jamal 2014
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 159 vom 12./13. Juli 2014

*

Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 323, 28093 Bremen
E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2014