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STANDPUNKT/144: Wissen ist Macht - Für eine demokratische Wende! (guernica)


guernica Nr. 4/2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Für eine demokratische Wende!
Wissen ist Macht

Neoliberale Bildungspolitik ist "Klassenbildung" im wahrsten Sinn des Wortes. Sie demütigt die Menschen, bedroht die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft - und ist demokratiepolitisch brandgefährlich. Die Aufstände an den Hochschulen sind ein ermutigendes Zeichen, dass eine demokratische Wende gelingen kann.


Wissen ist Macht. Niemand weiß das besser als die Mächtigen. Darum haben sie auch ein zutiefst gespaltenes Verhältnis zu Bildung. Denn diese ist aus herrschaftlicher Sicht ein vertracktes Gut:

- Bildung kann allen gegeben werden, ohne jemanden genommen werden zu müssen; mehr noch: je verschwenderischer und egalitärer sie verteilt wird, desto reicher, produktiver und kreativer wird eine Gesellschaft. Neoliberale freilich mögen solche öffentlichen Güter nicht; für sie wird ein Gut erst dann zum richtigen Gut wird, wenn es knapp und standardisiert, am besten in Dosen verpackt und mit Preisetikett versehen in die Marktkonkurrenz entlassen werden kann.

- Bildung kann aber nicht nur allen gegeben werden, sie kann ihnen auch nicht mehr so recht weggenommen werden. Während materielles Kapital in Form von Maschinen und Fabriken mit klaren Eigentumstiteln versehen und bei wenigen monopolisiert werden kann, kann Bildung als sog. "Humankapital" den Hirnen und Herzen ihrer möglicherweise renitenten "BesitzerInnen" nicht mehr entwunden werden. Mehr noch: Je verbreiteter Bildung ist, desto mehr sind die Menschen zur Renitenz in der Lage, denn Bildung öffnet auch neue Möglichkeiten kritischer und emanzipativer Gestaltungskompetenz. Ist das Wissen bei den vielen, wollen sie vielleicht auch die Macht nicht nur den wenigen überlassen.

Deshalb mäandert herrschende Bildungspolitik immer wieder in einem Spannungsfeld. Einerseits braucht man angesichts immer komplexerer Arbeitsprozesse vermehrt Menschen mit hohem Know-how, um in der Konkurrenz zu bestehen; zugleich wollen die Eliten aber vermeiden, dass mit der Verallgemeinerung von Wissen auch ein Schub in Richtung Verallgemeinerung von Macht, sprich substantielle Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, ausgelöst wird. Diesen Widerspruch versuchen sie herrschaftskonform zu bändigen, indem eine steile Bildungspyramide errichtet werden soll: für die Masse eine Schmalspurausbildung, die auf unmittelbare Verwertbarkeit ausgerichtet ist, höchste wissenschaftliche Qualifikation dagegen nur mehr für eine kleine, ideologisch spurtreue Elite, die sich weitgehend aus den bestehenden Machteliten rekrutiert. Das ist der Kern des Bologna-Prozesses und der derzeitigen Bildungspolitik, die das öffentliche Schulwesen kaputt spart. Damit soll der Boden für die Privatisierung der Bildung aufbereitet werden, um diesem widerspenstigen Gut doch noch die neoliberale Zwangsjacke überstülpen zu können. Resultat dieser Politik ist eine - im wahrsten Sinn des Wortes - "Klassenbildung". Denn für den Bildungsbereich gilt wie für alle anderen Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge: Den armen Staat können sich nur die Reichen leisten. Die EU-Kommission bringt das offen auf den Punkt, wenn sie den emanzipatorischen Bildungsreformversuchen früherer Jahrzehnte den Kampf ansagt, weil diese "offen, egalitär und horizontal" ausgerichtet gewesen waren. Entsprechend exklusiv, elitär und vertikal sind die bildungspolitischen Vorschläge der EU-Kommission: Studiengebühren, Schulgeld, exklusive Privatuniversitäten, usw.


Teufelskreislauf

Diese neoliberale Bildungspolitik demütigt die Menschen, weil sie die Menschen in Klassen mit unterschiedlichen Teilhabechancen selektiert, sie bedroht die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft, weil sie unendlich viel an kreativem Potential verkümmern lässt und alles über den Kamm kurzfristiger Profitmaximierung schert, - und sie ist demokratiepolitisch brandgefährlich. Denn wenn in wissensbasierten Gesellschaften der Zugang zu Wissen exklusiv, elitär und vertikal verteilt ist, so wird auch der politische Prozess zunehmend von elitären und exklusiven Zirkeln beherrscht und vertikal organisiert. Elitäre Bildungspolitik und Entdemokratisierung sind zwei Seiten einer Medaille. Fraglos befinden wir uns mitten in diesem Teufelskreis.

Aber es regt sich zunehmend Widerstand. Die Aufstände an den Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen sind ein ermutigendes Zeichen, dass der Ausbruch aus diesem Teufelskreis gelingen kann. Denn der Kampf für unsere eigenen Interessen - offener und sozial abgesicherter Bildungszugang vom Kindergarten bis zur Uni - und der Kampf für eine demokratische und offene Gesellschaft gehen Hand in Hand. Als Werkstatt Frieden & Solidarität haben wir die Initiative "Für eine solidarische, ökologische und demokratische Wende" (sh. unten) gestartet, um gemeinsam mit anderen um einen fortschrittlichen Ausweg aus der derzeitigen Wirtschafts-, Demokratie- und Umweltkrise zu ringen, in die uns das neoliberale Regime geführt hat. Der Kampf für eine "offene, egalitäre und horizontale" Bildungspolitik ist unverzichtbarer Bestandteil einer solchen Wende. Wir brauchen Geld, viel mehr Geld für eine solche Politik, weil wir wollen, dass viel mehr Menschen Zugang zu einer Bildung haben, die sie nicht nur beruflich qualifiziert, sondern sie auch zu mehr demokratischer Teilhabe ermächtigt. Nicht den Bildungsreichtum, sondern die Bildungsarmut können wir uns nicht mehr länger leisten!

Wissen ist Macht - und beides soll bei den vielen und nicht bei den wenigen sein!


AUFRUF
Für eine ökologische, solidarische und demokratische Wende
www.werkstatt.or.at


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Quelle:
guernica Nr. 4/2009, Seite 7
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
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Tel. 0043-(0)732/77 10 94, Fax 0043-(0)732/79 73 91
E-Mail: office@werkstatt.or.at
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010