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INTERNATIONAL/030: Zwischen allen Fronten, jüdischer Rabbi kämpft für Rechte der Palästinenser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2011

Nahost: Zwischen allen Fronten - Jüdischer Rabbi kämpft für Rechte der Palästinenser

Von Mel Frykberg


Jerusalem, 30. Juni (IPS) - Manchen Leuten mag Rabbi Arik Ascherman widersprüchlich vorkommen. Der israelische Geistliche ist einerseits ein glühender Zionist, der fest daran glaubt, dass Gott einen Pakt mit dem jüdischen Volk und dem Land Israel geschlossen hat. Zugleich engagiert er sich aber auch für die Menschenrechte der Palästinenser.

"Ich kann Kinder am besten schützen und ihnen eine Zukunft garantieren, wenn ich für Gerechtigkeit kämpfe und zum Leiden der Palästinenser Stellung beziehe", sagt Ascherman im Gespräch mit IPS.

Dass der Rabbi so denkt, sieht man ihm nicht sofort an. Wenn der schlaksige Mann mit dem dichten Bart und den Schläfenlöckchen durch die Hügel des Westjordanlandes streift, halten ihn viele zunächst für einen der vielen fanatischen jüdischen Siedler, die Palästinenser und ihr Eigentum angreifen.

In Wirklichkeit hilft Ascherman den palästinensischen Bauern, ihre Oliverernte einzubringen, die von der israelischen Armee zerstörten Häuser wiederaufzubauen und Brunnen anzulegen. Er stellt sich regelmäßig als menschliches Schutzschild vor die Palästinenser, wenn sie von Siedlern und Soldaten attackiert werden.


Seite an Seite mit Palästinensern - Auch wenn es Schläge hagelt

"Nichts schweißt einen mehr zusammen, als gemeinsam von israelischen Sicherheitskräften verprügelt zu werden", scherzt Ascherman. Die Palästinenser sähen jemanden, den sie eigentlich für ihren Feind hielten, plötzlich mit anderen Augen.

Der Geistliche erzählt, dass er überfallen und mehrmals festgenommen worden sei. Einmal sei er sogar ins Gefängnis geworfen worden. Er habe es aber auch erlebt, dass Palästinenser Steine gegen die Windschutzscheibe seines Autos geworfen hätten, weil sie ihn mit einem militanten Siedler verwechselt hatten.

Ascherman, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, kam 1994 aus den USA nach Israel. Dort ist er inzwischen ein führendes Mitglied der Bewegung 'Rabbis für die Menschenrechte' (RHR), die 1988 gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, in Israel die Armen zu unterstützen sowie die Rechte von Minderheiten und Palästinensern zu schützen. Die Mitglieder setzen sich außerdem für die Frauenrechte und gegen die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte ein.

2006 erhielten die Rabbis für ihr religionsübergreifendes Engagement für Frieden den angesehenen Niwano-Friedenspreis. In diesem Jahr wurde Ascherman außerdem gemeinsam mit dem Rabbi Ehud Bandel mit dem Gandhi-Friedenspreis geehrt.

Die Rabbis für die Menschenrechte sind davon überzeugt, für eine authentische Form des Zionismus und die jüdische Menschenrechtstradition einzutreten. Damit wollen sie Vorurteile entkräften, wonach Zionisten automatisch mit rassistischen Fanatikern gleichzusetzen seien.

"Es gibt viele verschiedene Ausprägungen von Zionismus, religiöse und nichtreligiöse. Einige Formen sind mir zuwider, sie entsprechen nicht den Ansichten aller Juden", meint Ascherman. Zu der Enteignung palästinensischer Grundbesitzer vor der Gründung des Staates Israel 1948 sagt der Rabbi, dass manche Zionisten sicherlich kein Land mit den Palästinensern teilen wollten. Die ersten zionistischen Pioniere hätten jedoch eine sozialistische Gesinnung gehabt und friedlich Seite an Seite mit den Palästinensern leben wollen, betont er.

"Ich glaube an das Recht der Juden auf ein Leben in Israel und ein Existenzrecht des jüdischen Staates", erklärt Ascherman. "Die biblische jüdische Tradition besagt andererseits aber auch, dass Gerechtigkeit und Menschenrechte über die Errichtung eines großen Staates zu stellen sind." Wenn ein territorialer Kompromiss Blutvergießen vermeiden könne, brauche man nicht lange nachzudenken.


Pulverfass Ost-Jerusalem

Die Rabbis für die Menschenrechte sind vor allem im Westjordanland aktiv. Durch Petitionen der Geistlichen haben palästinensische Bauern wieder Zugang zu ihren Obstplantagen erhalten, nachdem die Armee ihnen jahrelang den Zugang verwehrt hatte. In Ost-Jerusalem, wo die Spannungen stärker sind als im Westjordanland, arbeitet die Gruppe allerdings unter extremem Druck. Wenn eine dritte Intifadah ausbrechen sollte, werde sie im Ostteil der Stadt beginnen, warnt Ascherman.

"Im Westjordanland kann ich einige Werkzeuge der israelischen Demokratie dazu nutzen, um für die Rechte der Palästinenser zu kämpfen", sagt der Rabbi. Er könne etwa Petitionen in Gerichten einreichen sowie die Medien und andere Aktivisten mobilisieren. In Ost-Jerusalem sehe die Lage hingegen ganz anders aus. Er sehe, wie sich dort bei den Palästinensern derselbe Ärger und Frust aufstaue wie vor dem Beginn der zweiten Intifadah.

Die israelischen Behörden seien nach wie vor entschlossen, die Präsenz der Palästinenser in Ost-Jerusalem zu begrenzen und sie stillschweigend von Orten zu entfernen, wo sich Juden ansiedeln wollten, kritisiert Ascherman. Und viele dieser Maßnahmen würden von reichen Israelis finanziert, die im Ausland lebten. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2011