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FRAGEN/024: Konzerne bedienen sich Spitzel zur Überwachung sozialer Bewegungen (Robin Wood)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 126/3.2015

Manoeuvres in the dark
Konzerne bedienen sich Spitzel zur Überwachung sozialer Bewegungen

Ein Interview von Philip Bedall mit Jason Kirkpatrick


MitarbeiterInnen, die sich auf Mailinglisten als AktivistInnen ausgeben, das Durchforsten von Büromüll nach Informationen oder gar die Unterwanderung von Politgruppen durch Vollzeit-Agenten-Konzerne gestalten ihre Sicherheitspolitik nicht mehr nur reaktiv. Im Fokus privater Sicherheitsfirmen steht die Einschätzung des Risikos für Unternehmen, Ziel von Protesten zu werden sowie die Prävention. Zurückgegriffen wird dabei nicht nur auf öffentlich zugängliche Informationen, mit verdeckten Mitteln werden sogar Interna und Strategien relevanter Gruppen erhoben. Statt sich der Kritik sozialer Bewegungen in einer demokratischen Auseinandersetzung zu stellen, geht es den Unternehmen in erster Linie darum Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um so umstrittene Geschäftspraktiken ungestört fortzusetzen. Damit droht das Mundtotmachen kritischer Stimmen und die Manipulation der öffentlichen Debatte.


ROBIN WOOD: In den letzten Jahren sind verschiedene Fälle von Unternehmensspionage gegen aktivistische Zusammenhänge ans Licht gekommen. Etwas provokant gefragt: Haben Unternehmen nicht das Recht illegalen Aktionen, die sich gegen sie richten, zuvorzukommen und sie zu unterbinden?

Jason Kirkpatrick: Wenn wir über Unternehmensspionage in einem Staat reden, der auf einer verfassungsmäßigen Ordnung beruht, dann gibt es Grauzonen für Aktivitäten von Unternehmen. Anderes sollte jedoch ganz klar sein: Unternehmen sind angehalten, sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu bewegen - innerhalb des Rechtsstaats. Doch das Gegenteil ist oft der Fall.

Frage: Worauf zielt Unternehmensspionage gegen soziale Bewegungen?

Kirkpatrick: Die Fälle, von denen wir wissen - insbesondere Unternehmensspionage gegen Umweltaktivismus - zielen klar auf den Schutz der Interessen und des Gewinns der Unternehmen. Beobachten konnten wir das bei Umweltgruppen, deren Arbeit sich auf Ölfirmen konzentrierte.

Frage: Transnationale Konzerne argumentieren oft, die beauftragten Sicherheitsfirmen würden nur öffentlich zugängliche Informationen erheben. Die Sicherheitsfirmen wiederum erklären: Mailinglisten-Abonnements über Websites von Protestgruppen oder die Teilnahme an Sitzungen stünden der gesamten Öffentlichkeit frei. Das hieße: Es gibt keine illegale "Unterwanderung" von Protestgruppen durch Unternehmen. Was ist dann das Problem?

Kirkpatrick: Nehmen wir an, eine Aktivistengruppe wird von einem Spitzel unterwandert - sei es ein staatlich bezahlter oder schlimmer noch, ein von Unternehmen beauftragter - so kann dieser Spitzel einfach nur da sitzen und zuhören. Etwas anderes ist es, wenn er selbst aktiv wird. Wiederholt haben Spitzel gezielt aktivistische Zusammenhänge gestört und schlussendlich versucht sie zu zerschlagen. Sie nutzen die "divide and conquer"-Strategie, teile und herrsche. Ein sehr bekannter Fall der letzten Jahre stammt aus Cardiff in Wales. Dort machte sich ein Spitzel den Umstand zunutze, dass bestimmte Argumente in Gruppendiskussionen die Front zwischen zwei Lagern verschärfte und machte deshalb diese Argumente stark. Schließlich zerschlug er so die Gruppe, die sich gegen den G8 organisierte.

"Es geht darum durch gezielte Aktivitäten zu stören oder gar zu spalten."

Frage: Woher stammen die angewandten Taktiken?

Kirkpatrick: Sie gehen zurück bis in die Zeit des Zars in Russland. Bereits 1921 thematisiert Victor Serge sie in seinem Buch "What everyone should know about state repression". Im Rahmen des Programms CoIntelPro (Counter Intelligence Program - Programm zur Gegenaufklärung) wandte das FBI sie in den 1970er Jahren an, um die Black Panther zu zerschlagen. Mit dem Skandal um den britischen Polizei-Spitzel Mark Kennedy im Jahr 2011 zeigte sich, dass dieselben Taktiken noch immer Anwendung finden - angepasste Taktiken aus der militärischen Aufstandsbekämpfung, die nun für zivile und polizeiliche Zwecke gegen aktivistische Gruppen eingesetzt werden.

Frage: Die meisten Fälle belegter Unternehmensspionage gegen soziale Bewegungen stammen aus den USA und Großbritannien. Wie weit ist diese Praxis darüber hinaus verbreitet? Finden wir sie auch in der Bundesrepublik?

Kirkpatrick: Sicherlich benötigen wir mehr Wissen darüber, was in Deutschland geschieht. Bislang ist hier wenig dokumentiert. Die Skandale der letzten Jahre um verdeckte Ermittler lehren, dass es Gesetze bedarf, die die Spitzelaktivitäten privater Unternehmen kontrollieren. Bis heute sind diese in Deutschland in keinerlei Weise geregelt. Wir müssen uns bewusst sein: Für staatliche Stellen wie Verfassungsschutz oder BKA gibt es - vermeintlich - Regeln und eine gewisse Kontrolle. Wenn aber ein Unternehmen einen Spitzel bestellt, um aktivistische Zusammenhänge ins Visier zu nehmen, so unterliegt das keinerlei staatlicher oder demokratischer Kontrolle. Das ist ein wesentliches Problem.

Frage: Die meisten der Informationen über Unternehmensspionage wurden bislang eher "zufällig" gewonnen. Sie waren das Ergebnis von Gerichtsverfahren, von einigen wenigen Whisteblowern oder von Fehlern der angeheuerten Spitzel. Wie können wir mehr über die Praktiken in Erfahrung bringen?

Kirkpatrick: Bewegung, Politik und Medien sind angehalten, sich mehr mit dem Thema zu befassen. Aus anderen Ländern wissen wir, dass auch deutsche Konzerne gegen Bewegungen spionieren. Beispielsweise beauftragte E.ON in Großbritannien private Sicherheitsfirmen, um gegen die Klimabewegung vorzugehen, Wenn das Unternehmen dort zweifelhafte Taktiken anwendet, muss man sich fragen, ob es dies nicht ebenso in Deutschland tut. Solange es keine Gesetze gibt, die klare Regelungen schaffen und solange die Klimabewegung auch in Deutschland E.ONs Unternehmensgewinne bedroht, sollte man schlussfolgern, sie tun es auch hier.

"Wenn Unternehmen Spitzel bestellen, so unterliegen diese bislang keiner staatlichen oder demokratischer Kontrolle."

Frage: In den USA verschwimmt die Einstufung zwischen Aktivismus und Terrorismus seit September 2007 zunehmend. Die Debatte um sog. Öko-Terrorismus wird dabei gerade auch von Unternehmen vorangetrieben. Grund genug sich da vor zu fürchten, dass Aktivismus auch hierzulande mehr und mehr als illegal und kriminell angesehen wird?

Kirkpatrick: Ja, es liegt auf jeden Fall im Interesse ebendieser Unternehmen Worte zu verdrehen und Angst zu schüren, um Menschen von Umweltaktivismus fernzuhalten. Die breite Mehrheit der Öffentlichkeit in den USA setzt Sabotage mit Gewalt gegen Menschen gleich. Insbesondere Staat und Unternehmen treiben dort ein solches Verständnis voran. Der Wurf eines Farbeies gegen ein Unternehmen der Waffenindustrie würde beispielsweise in den USA bereits als gewalttätiger Angriff gewertet. In Deutschland - wo dies bei Demonstrationen gelegentlich geschieht - käme niemand auf die Idee einer solchen Einordnung, denn verletzt wird dadurch niemand. Wir müssen uns bewusst sein, dass Sprache sehr bedeutsam ist. Bewegungen dürfen nicht die Fähigkeit verlieren, über ihre Kämpfe zu bestimmen und darüber, wie sie definiert werden.

Frage: Ist Unternehmensspionage eine Bedrohung für die Zivilgesellschaft?

Kirkpatrick: Die Fähigkeit von Unternehmen, zusammen mit der Politik hinter verschlossenen Türen die eigenen Interessen umzusetzen, hat eine lange Geschichte. Ein eindrücklicher Fall sind derzeit die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP. In Deutschland kennt jeder das "Chlorhühnchen". Es steht symbolisch für sozial und ökologisch höchst bedenkliche Vereinbarungen, die mit Geheimverhandlungen auf den Weg gebracht werden. Nur aufgrund der umfangreichen Proteste wurden die ersten Entwürfe des Handelsabkommens öffentlich. Die Menschen müssen weiter kämpfen, wenn sie demokratische Errungenschaften erhalten wollen.


Das Gespräch führte Philip Bedall, Energiereferent von ROBIN WOOD
energie@robinwood. de


Jason Kirkpatrick ist seit Ende der 1980er Jahre in sozialen Bewegungen aktiv. Er wirkte dabei an zahlreichen umwelt- und klimapolitischen Kampagnen mit und war im Rahmen des Netzwerks Dissent! an Protesten gegen die G8 beteiligt. Als Autor und Regisseur betreibt er das Projekt SpiedUpon.com, das sich mit dem Einsatz verdeckter Ermittler in der Umwelt- und Klimabewegung befasst. Über mehrere Jahre geriet Jason in den Fokus des britischen Undercover-Ermittlers Mark Kennedy.

Jasons Wissen über das Agieren von Unternehmen und deren LobbyistInnen speist sich aus langjähriger Recherchearbeit in über 15 Ländern. In Kalifornien engagierte er sich als Vize-Bürgermeister der Stadt Arcata gegen Aktivitäten der Unternehmenslobby.


Weiterführende Literatur:
Victor Serge (7979): What everyone should know about state repression. London: New Park Publ.

Evelyn Lubbers (2013): Secret manoeuvres in the dark. Corporate and police spying on activists. London: Pluto Press.

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 126/3.2015, Seite 15-16
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2015

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