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FRAGEN/023: Gedanken zum Kongress "Unser Nachbar NSA" - Interview mit Dieter Deiseroth (IALANA)


IALANA
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Gedanken zum Kongress
"Unser Nachbar NSA - Geheime Aktivitäten der US-Nachrichtendienste in Deutschland"

Interview mit Dieter Deiseroth (*)
von IALANA, 31. August 2015


Frage: Die IALANA veranstaltet am 11. und 12. September 2015 in Wiesbaden im Hessischen Landtag den Kongress "Unser Nachbar NSA - Geheime Aktivitäten der US-Geheimdienste in Deutschland." Was ist die Idee hinter dieser Tagung

Deiseroth: Zunächst zum Ausgangspunkt und Anlass. Seit Anfang Juni 2013 hat der Whistleblower Edward Snowden in immer neuen Paketen mit Hilfe der Medien wichtige Elemente der weltumspannenden Überwachungspraxis des US-Militärgeheimdienstes NSA und anderer Dienste enthüllt. Die deutsche Bundesregierung und ihre Stäbe tun so, als wüssten sie von dieser Überwachungspraxis in Deutschland nichts oder nur sehr wenig. Wenn dem wirklich so wäre, hätten sie bei einer ihrer wichtigsten Aufgabe völlig versagt, nämlich die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger wirksam gegen diese Art von anlasslosen globalen Ausspähungen zu schützen.

Frage: Wie steht es denn aus mit der Aufklärung durch unsere Parlamentarier?

Deiseroth: Unsere parlamentarischen Kontrollgremien im Bundestag sind nach meinem Eindruck offenkundig mit ihrer Aufgabe überfordert.

Frage: Warum?

Deiseroth: Ihnen gelingt es nicht einmal, die bei der Bundesregierung vorhandenen Informationen zu erhalten. Selbst der Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre kommt mit seiner wichtigen Aufklärungsarbeit kaum voran. Ob hier die Gerichte korrigierend wirken können, ist offen. Alles was wir Bürgerinnen und Bürger bisher über unseren "Nachbarn NSA" in Deutschland erfahren haben, verdanken wir letztlich Edward Snowden und anderen Whistleblowern sowie investigativen Journalisten im In- und Ausland. Das allein reicht nicht, um die Lage zu verbessern.

Frage: Was muss getan werden? Wie kann man die Situation verbessern?

Deiseroth: Wenn sich etwas verändern soll, sind zivilgesellschaftliche Initiativen und Aktionen unerlässlich. Diese müssen vor allem auch vor Ort ansetzen und Betroffenheit durch Aufklärung erfahrbar und sichtbar machen. Das muss in die Medien, die Universitäten und Bildungseinrichtungen, aber auch in die örtlichen und regionalen Basisorganisationen der Kirchen, der Gewerkschaften und der Parteien hineingetragen werden. Kommunalvertretungen und Landesparlamente sollten dies aufgreifen. Phantasievolle Aktionen sind gefragt. Whistleblower sollten ermutigt und solidarisch unterstützt werden. Anderenfalls kann man die verbreitete "Duldungsstarre" nicht aufbrechen. Man muss endlich konkret herausbringen und sichtbar machen, wer wo mit welchen Mitteln in diesen Grauzonen jenseits des geltenden Rechts agiert, wer dafür verantwortlich ist und wie Abhilfe möglich gemacht werden kann. Die Tagung der IALANA und ihrer Mitveranstalter kann hierzu beitragen.

Frage: Ist denn das Thema so drängend für die Menschen unseres Landes? Viele denken doch: "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten"

Deiseroth: In der Tat. Diese Einstellung ist sehr verbreitet, in manchen anderen Staaten sogar noch stärker als bei uns. Die Aussage dieses Satzes ist aber letztlich unverschämt. Wir sollten zurückfragen: "Wenn ich nichts zu verbergen habe, warum wollt Ihr das dann wissen? Woher nehmt ihr Euch das Recht dazu?" Es geht dabei um sehr viel.

Frage: Können Sie das konkretisieren?

Deiseroth: Eine anlasslose Totalspeicherung z.B. der Tele- und Internet-Kommunikationsdaten ist gerade deshalb ein so schwerwiegender Eingriff in fundamentale Menschenrechte, weil sie in unvorhersehbarer Weise tiefe Einblicke in das Privatleben erlaubt und so das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger mit Hilfe von Großcomputern und Algorithmen berechenbar und vorhersehbar macht. Und dies, ohne dass der Rückgriff auf die Daten für den Bürger unmittelbar spürbar oder ersichtlich ist. Der Einzelne weiß nicht, was welche staatliche Behörde über ihn weiß; er weiß nur dass die Behörden vieles, auch Höchstpersönliches, über ihn wissen können. Ohne Kenntnis können die Betroffenen weder eine Unrechtmäßigkeit der behördlichen Datenerhebung und -verwendung noch etwaige Rechte auf Löschung, Berichtigung oder Genugtuung geltend machen. Das ist von größter Brisanz nicht nur für unsere Grundrechte, sondern auch für die Demokratie.

Frage: Gibt es denn angesichts der Entwicklung der modernen Technologien überhaupt Alternativen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und die Demokratie bewahren?

Deiseroth: Ja, solche Ansätze gibt es durchaus. Darüber machen sich viele sehr kritische und konstruktive Gedanken und entwickeln Gegenkonzepte. Denken Sie etwa an die wichtigen Beiträge mehrerer früherer Bundesverfassungsrichter vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Ich nenne stellvertretend nur die Namen des Ex-Präsidenten Prof. Papier und des Richters Prof. Hoffmann-Riem. Oder denken Sie an die wichtigen Aufklärungsbemühungen des Hessischen und anderer Datenschutzbeauftragter, auch von Teilen des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Und denken Sie vor allem an die wichtigen aufklärerischen Zwischenrufe etwa des "Chaos-Computer-Clubs", von Bürgerrechtsgruppen wie der "Humanistischen Union" und von Berufsinitiativen wie dem "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF)". Dieses Wissen und diese Kompetenzen müssen wir bündeln und offensiv nutzen. Hier kann die Wiesbadener Tagung wichtige Impulse geben.


(*) Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Juristenvereinigung IALANA.


Das Programm der Tagung "Unser Nachbar NSA - Geheime Aktivitäten der US-Geheimdienste in Deutschland." am 11. und 12. September in Wiesbaden finden Sie unter:
www.ialana.de

und im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Politik → Veranstaltungen
TAGUNG/1398: Wiesbaden - Unser Nachbar NSA. Geheime Aktivitäten der US-Nachrichtendienste, 11.-12.9.

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Quelle:
IALANA-Hauptstadtbüro
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: +49 30 20654857, Telefax: +49 30 20654858
E-Mail: info@ialana.de
Internet: http://www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2015

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