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FRAGEN/010: Mindanaokonflikt - Ein Abkommen macht noch keinen Frieden (forumZFD)


Pressemitteilung des Forum Ziviler Friedensdienst e. V. - 15. Oktober 2012

Ein Abkommen macht noch keinen Frieden
forumZFD: Die entscheidende Phase im Friedensprozess folgt erst nach dem heutigen Abkommen im Mindanao-Konflikt

Gespräch mit Daniel Jäger, Programmleiter des Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) auf den Philippinen.



Frage: Am heutigen Montag will der philippinische Präsident eine Einigung im jahrzehntealten Konflikt mit der Rebellenorganisation der muslimischen Minderheit auf Mindanao, der MILF (Moro Islamic Liberation Front), unterzeichnen. Können wir nun endlich auf baldigen Frieden für die Menschen in Mindanao hoffen?

Daniel Jäger: Es handelt sich bei diesem Abkommen mitnichten schon um eine Einigung im Konflikt. Die Unterzeichnung am 15. Oktober ist dennoch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Frieden.
Es ist ein Rahmenabkommen, das einen Fahrplan hin zu einem nachhaltigen Frieden skizziert. Es handelt sich jedoch nicht, wie zum Teil in der Öffentlichkeit dargestellt, um einen Friedensvertrag. Auf viele elementare Fragen und Streitpunkte wurden noch keine Antworten gefunden. In der nun folgenden Phase sollen diese Fragen angegangen werden. Insofern bedeutet das neue Ankommen eine konkrete Aussicht auf eine Klärung der Streitfragen zwischen Regierung und MILF und eine vage Hoffnung auf Frieden.

Frage: Als der philippinische Präsident die Einigung vor rund einer Woche verkündete, hielten Sie sich in der Konfliktregion auf, in Cotabato City, an einem der drei Projektstandorte des forumZFD in Mindanao. Wie haben die Menschen, wie haben Ihre Partnerorganisationen auf die Nachricht reagiert?

DJ: Natürlich war diese Nachricht überall das Gesprächsthema Nummer Eins. Jedoch brachen keine spontanen Jubelstürme los. Reaktionen auf den Straßen waren nicht zu beobachten. Ich würde die Stimmungslage als abwartend optimistisch beschreiben. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Friedensverhandlungen schon in früheren Phasen kurz vor einer Einigung standen, dann jedoch schnell wieder in gewaltsamen Eskalationen und großen Flüchtlingskatastrophen mündeten. Dieser Konflikt hat seit den 70'er Jahren schätzungsweise 120.000 Menschen das Leben gekostet und zwei Millionen Menschen aus ihren Wohnorten vertrieben. Diese Erfahrungen spiegeln sich in den verhaltenen Reaktionen des letzten Sonntags wider.

Frage: Was werden Sie tun, damit diese Chance auf Frieden in Mindanao nicht ungenutzt verstreicht?

DJ: Das forumZFD arbeitet mit einem Netzwerk lokaler Partner vor allem im Bereich der Friedensadvocacy und Kommunikationsarbeit. Wir organisieren Fortbildungen in Medien- und Advocacy-Arbeit für lokale Organisationen und unterstützen zum Beispiel das "Kutawato Multimedia Network", das verschiedenste Sichtweisen auf den Konflikt vereint und zum Ziel hat, den Schicksalen betroffener Menschen ein Gehör zu verschaffen. Wenn es uns gelingt, eine Polarisierung und Emotionalisierung der Diskussionen im Friedensprozess zu vermeiden, haben wir einen wichtigen Beitrag zum Friedensprozess geleistet.

Zivilgesellschaftliche Organisationen können dazu beitragen einen inklusiven Friedensprozess zu gestalten, in dem Stimmen aller Betroffenen gehört werden und diese auch in die Agenda aufgenommen werden. Sie können zum Beispiel im Prozess für Übersetzungen von Abkommen und Vereinbarungen in die Lokalsprachen sorgen und damit aktiv die Betroffenen informieren und einbinden. Tatsächlich waren Falschinformationen aufgrund fehlender Übersetzungen ein Grund, warum Ängste und Provokationen im Jahr 2008 das damalige Friedensabkommen schließlich scheitern ließen.

Frage: Stellen wir uns ein optimistisches und ein pessimistisches Szenario vor. Wie könnte die Einigung tatsächlich den Weg zum Frieden auf Mindanao ebnen? Was sind andererseits Ihre Befürchtungen?

DJ: Das pessimistische Szenario ist eine Wiederkehr der alten Konfliktdynamik aus Entspannung und gewaltsamer Eskalation, sogar eine Gleichzeitigkeit von kriegerischen Zuständen trotz eines formellen Friedens ist denkbar. Aber es sprechen in der Tat einige Faktoren dafür, dass es dieses Mal möglich sein wird, einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu finden.
Es wird entscheidend sein, ob es gelingt, alle Bevölkerungsgruppen in den Friedensprozess zu integrieren: Es gilt die hohen Erwartungen der muslimischen Bevölkerung zu moderieren. Auf die Ängste der christlichen Siedler und der indigenen Bevölkerungsgruppen muss eingegangen werden und auch die Mehrheitsgesellschaft der Philippinen außerhalb Mindanaos muss für diesen Friedensprozess gewonnen werden.
Für die nächste Phase werden hohe Transparenz, Einbindung der Betroffenen und vor allem gute Kommunikation nötig sein, um weitere nachhaltige Fortschritte zu erzielen.
Eine heikle Frage wird zudem der Umgang mit anderen bewaffneten Rebellionen und Gewaltakteuren sein.


Hintergrund: Entstehung und Inhalte des Abkommens

DJ: Dem Rahmenvertrag ging eine intensive Phase von Verhandlungen zwischen Delegationen beider Parteien voraus. Alle Beteiligten auf Seiten der Regierung und auf Seiten der MILF haben dabei große Ernsthaftigkeit und Ausdauer bewiesen. Seit 15 Jahren gibt es Friedensgespräche zwischen diesen beiden Konfliktparteien. Mehrmals scheiterten die Gespräche in dieser Zeit kurz vor einer Einigung und die Gewalt eskalierte erneut.

Das Abkommen sieht letztlich eine größere Autonomie für Gebiete der muslimischen Minderheit auf Mindanao vor, die jetzt schon als 'Autonome Region Muslimisches Mindanao' besteht. In einer Übergangsphase bis zum Jahr 2016 sollen in allen damit verbundenen Streitfragen Schritt für Schritt Lösungen erarbeitet werden. Konkret geht es hier zum Beispiel um die Schaffung einer Gerichtsbarkeit oder um Volksentscheide, die erst die endgültige Größe des neuen autonomen Gebietes festlegen werden.

Es ist eine große Herausforderung innerhalb von drei Jahren Übergangszeit diese vielen Fragen zu klären und die Voraussetzungen für ein autonomes 'Bangsamoro' (Land der Moro = Muslime auf Mindanao) zu schaffen. Aus den Erfahrungen vieler anderer Friedensprozesse lässt sich sagen, dass nun die schwierigste Phase erfolgt. Deshalb braucht dieser Friedensprozess nun eine breite Unterstützung von vielen verschieden Seiten.

Weitere Informationen: www.forumZFD.de/philippinen


Forum Ziviler Friedensdienst e. V.
Das Forum Ziviler Friedensdienst e. V. (forumZFD) ist eine Dachorganisation von 37 Mitgliedsorganisationen und durch das Entwicklungsministerium anerkannte Entsendeorganisation. Es setzt sich für die Entwicklung ziviler Methoden der Konfliktbearbeitung und des Zivilen Friedensdienstes ein. Friedensfachkräfte des forumZFD sind in Projekten im westlichen Balkan, in Nahost, auf den Philippinen und in Deutschland tätig. In seiner Akademie für Konflikttransformation bildet das forumZFD Friedensfachkräfte aus, die weltweit in der Gewaltprävention und der Friedensförderung eingesetzt werden.
Weitere Informationen: www.forumZFD.de

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Quelle:
Pressemitteilung vom 15. Oktober 2012
Forum Ziviler Friedensdienst e. V.
Am Kölner Brett 8, 50825 Köln
Telefon: 0221 91 27 32 - 0, Fax: 0221 91 27 32 - 99
E-Mail: kontakt@forumZFD.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2012