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BERICHT/932: Unterstützung für Gemeinden im Jordantal im Kampf um ihre Rechte (medico international)


medico international - 14. April 2009

Power to the Bauer

medico unterstützt Gemeinden im Jordantal im Kampf um ihre Rechte


Die Bauern aus Jiftlik und Furush Beit Dajan wollen keine Hilfsgüter. Sie wollen Rechte und die Anerkennung ihrer Existenz. Denn sie leben in Dörfern, die in den Landkarten für Touristen nicht auftauchen und die von der zuständigen israelischen Administration nicht anerkannt werden. Da es die beiden Dörfer im Jordantal und ihre ca. 6000 Einwohner nach offizieller israelischer Lesart nicht gibt, werden sie auch nicht an die Strom- und Wasserversorgung angeschlossen.

Überall weht Staub, die Straßen sind kaum befestigt. Die Infrastruktur im Jordantal ist auf die israelischen Siedlungen und Militärstützpunkte ausgerichtet und führt an den palästinensischen Dörfern vorbei oder darüber hinweg. Die Hochspannungsleitung über Furush Beit Dajan versorgt nur die umliegenden Siedlungen, während sich die Palästinenser mit Dieselgeneratoren und selbstgebastelten Leitungen behelfen müssen. Gesundheitseinrichtungen oder gar ein Jugendzentrum gibt es hier nicht.

Alle festen Wohnhäuser sind über 40 Jahre alt und entsprechend marode. Seit der Eroberung der besetzten Gebiete 1967 steht das gesamte Gebiet unter israelischer Verwaltung, die konsequent Baugenehmigungen verweigert und damit jede Entwicklung verhindert. Wer trotzdem mit Zement baut, riskiert den Zwangsabriss durch das israelische Militär. "Sieben bis acht Häuser werden pro Jahr bei uns im Dorf zerstört. Wir bauen sie wieder auf und dann kommen wieder die Bulldozer. So geht das schon ewig", erzählt Azew Aidi aus Jiftlik. Als Alternative bleiben nur provisorische Behausungen aus Lehm und Wellblech. Die Türen und Fenster bestehen meist aus Tüchern oder fehlen gänzlich.

Hadr Abu-Hanish der Bürgermeister aus der Nachbargemeinde Furush Beit Dajan erklärt: "Wir haben hier ein politisches Problem. Wir könnten uns schon selber helfen und unsere Gemeinden entwickeln, aber wir bekommen hier für nichts eine Genehmigung. Deshalb brauchen wir eigentlich keine Entwicklungshilfe sondern internationale, politische Unterstützung."

Ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen wurde zugunsten der Siedlungen konfisziert, der Rest gehört palästinensischen Großgrundbesitzern aus Nablus und anderen Orten. Weite Teile des ca. 15 Km breiten und 100 Km langen Streifens, der sich vom Toten Meer im Süden bis Bisan (Hebräisch: Bet She'an) im Norden erstreckt (insgesamt etwa 25% der gesamten Westbank) wurde zu militärischen Sperr-, israelischen Siedlungs- oder Naturschutzgebieten erklärt, die Palästinenser nicht betreten dürfen. An kaum einem anderen Ort in den besetzten Gebieten sind der Landraub durch die israelischen Siedlungen, sowie der ungleiche Zugang zu Ressourcen so auffallend wie im Jordantal.

Die israelischen Behörden haben das touristische und landwirtschaftliche Potenzial des Jordantals früh erkannt. Bereits 1969 wurde die erste Siedlung gebaut. Seit 1993 kam ein weiteres Dutzend neuer Siedlungen hinzu. Viel Geld wird investiert: Die Siedlungen verfügen über neueste Sicherheitstechniken und sind komplett umzäunt. Riesige Wasserreservoirs und industrielle Verpackungsanlagen für die landwirtschaftlichen Güter werden gebaut. Steuern zahlen die Siedler als "Zonenrandbewohner" kaum und das von den Palästinensern konfiszierte Landbekommen sie kostenlos. Wasser gibt es in den Siedlungen zur Genüge - auch für Schwimmbäder und Rosengärten.

In der Folge verarmt die palästinensische Bevölkerung. Sie haben immer weniger Ackerland und das Wasser wird ihnen buchstäblich abgegraben. Die israelischen Siedler bohren Tiefbrunnen die den Grundwasserspiegel stark absenken. Dadurch versiegen die Bewässerungssysteme der palästinensischen Kleinbauern. Diese hingegen dürfen seit 1967 keine neuen Brunnen mehr bohren oder alte vertiefen und sind folglich immer mehr vom knappen Regenwasser abhängig, welches eine lohnende Landwirtschaft kaum ermöglicht. Liegt das Land jedoch zwei Jahre brach, geht es in den Besitz des israelischen Staates über der es an die Siedler weitergibt.

Auch die vielen weiteren Restriktionen führen dazu, dass immer mehr palästinensische Bauern die Landwirtschaft und damit ihr Land aufgeben müssen. Die Äcker östlich der gut ausgebauten Straße, welche die Siedlungen verbindet und die Dörfer von ihren Feldern trennt, dürfen von Palästinensern nur zwischen 6 und 18 Uhr betreten werden. Damit wird die Feldarbeit in den kühlen Morgen- und Abendstunden verhindert. "Im Sommer hat es tagsüber oft über 40 Grad. Da verdirbt unsere Ernte manchmal schon auf dem Weg vom Feld ins Dorf", berichtet der Bauer Nasr Abu-Rihan aus Jiftlik.

Checkpoints erschweren den Zugang zu auswärtigen Märkten. Die Bauern können ihre Waren nur vor Ort verkaufen und sind damit von einer Handvoll Zwischenhändler abhängig die die Preise drücken. Viele palästinensischen Bauern arbeiten deshalb nun in den nahe gelegenen Siedlungen als Tagelöhner, auf konfisziertem palästinensischem Land - zu niedrigen Löhnen und bei miserablen, erniedrigenden Arbeitsbedingungen.

Darüber hinaus wird auch die lokale Bevölkerung durch die Checkpoints von den Zentren der Westbank isoliert. Mit Erfolg: Die marginalisierte Bevölkerung, zu großen Teilen (ehemalige) Beduinen oder Flüchtlinge, hat kaum eine Lobby im immer abgehobener wirkenden palästinensischen Machtzentrum in Ramallah. Das Jordantal scheint auf dem Radar der palästinensischen Öffentlichkeit kaum auf. Dagegen scheint die Rechnung der israelischen Besatzungspolitik aufzugehen. Immer mehr Palästinenser ziehen weg.

Projekt: Stärkung rechtloser Bauern im Jordantal

Um die bäuerliche Bevölkerung in beiden Dörfern Jiftlik und Furush Beit Dajan zu unterstützen, haben die Union of Agricultural Work Committees (UAWC) und medico ein Pilotprojekt gestartet. Angepasste Bewässerungssysteme und Treibhausfolien für 28 Bauern ermöglichen eine langfristige und bessere Nutzung der dürftigen Wasserressourcen und sorgen für eine winterfeste und bessere Ernte. Durch Arbeitsschutzkleidung wird die Gesundheit bei der Feldarbeit geschont. Kurzfristig soll damit den beiden Gemeinden geholfen werden, ökonomisch zu überleben und sich nicht in die dichtgedrängten Enklaven weiter westlich verdrängen zu lassen. Darüber hinaus werden 32 Bäuerinnen und Bauern an landwirtschaftlichen und umweltrelevanten Fortbildungen teilnehmen, die sie auch über ihre Rechte aufklären. Zusätzlich werden zehn Bauern, deren Zugang zu Wasser und Land besonders eingeschränkt ist und die gerichtlich dagegen vorgehen möchten, juristisch unterstützt. Mohammad Nujom, Projektkoordinator der UAWC, erläutert: "Diese Prozesse sollen Präzedenzfälle schaffen, die den anderen Dorfbewohnern Mut machen ihre Rechte einzufordern."

Das Projekt soll der Fragmentierung der palästinensischen Gesellschaft einen solidarischen Akt entgegensetzen und als Vehikel genutzt werden, um auf die Folgen von Marginalisierung und Verdrängung aufmerksam zu machen, die nicht nur Gesundheitsdienste, sondern auch die Grundlagen für ein gesundes Leben beeinträchtigt.

Die Union of Agricultural Work Committees (UAWC) wurde 1986 als Teil der palästinensischen Graswurzelbewegung gegründet. Sie kämpft gegen die Verdrängung und Entrechtung der palästinensischen Bauern durch den fortgesetzten Siedlungsbau in den besetzten Gebieten.

Die UAWC entwickelte sich zu einer professionellen Nichtregierungsorganisation, die sich für nachhaltige Landwirtschaft und die Bekämpfung der Armut im ländlichen Raum einsetzt. Gleichzeitig bemüht sich die UAWC, ihre ursprüngliche partizipatorische, progressive Haltung zu bewahren. Lokale Bauern- und Dorf-Komitees werden bei jedem Schritt mit einbezogen. Ein eingeführtes System soll sicherstellen, dass Projekte einerseits armen Bäuerinnen und Bauern, sowie marginalisierten Gemeinden zugute kommen, andererseits auch wirtschaftlich sinnvoll und nachhaltig sind. Sie arbeiten auch an der Gewinnung landwirtschaftlicher Flächen und der Weiterbildung von Bauern und suchen nach einer kleinbauerngerechten Erschließung von Märkten.

Die UAWC versteht sieht sich als ein Teil der weltweiten, sozialen Bewegungen. Sie ist global vernetzt und steht der Bewegung "via campensina" nahe, in der sich Bauern, kleine und mittelgroße Produzenten, Landlose, indigene Gemeinden und Landwirtschaftsarbeiter zusammentun. Ihr Ziel ist "Ernährungssouveränität". Folglich kämpft die UAWC nicht um Nahrung, sondern für das Recht auf Zugang zu Land, Wasser und anderen Ressourcen. Sie fordert und fördert eine umweltfreundliche kleinbäuerliche Landwirtschaft innerhalb einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.


Projektstichwort
medico förderte die Arbeit seiner Partnerorganisation Union of Agricultural Work Committees (UAWC) im Jordantal bisher mit 19.000 Euro. Dies wollen wir auch zukünftig fortsetzen.


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Quelle:
Bericht vom 14.04.2009
http://www.medico.de/themen/krieg/nahost/dokumente/power-to-the-bauer/3203/
Herausgeber: medico international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2009