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BERICHT/885: Prozeß gegen Axel, Florian und Oliver geht in die Verlängerung (Einstellungsbündnis)


Kampagnenzeitung "Das Ende einer Dienstfahrt" 1/2009
Zeitung gegen Krieg, Militarismus, Die MG-Verfahren und Repression

Ein Kammerspiel in bislang 17 Akten

Der Prozess gegen Axel, Florian und Oliver geht in die Verlängerung


Seit dem 25. September 2008 findet in Berlin der Prozess gegen Axel, Oliver und Florian statt. Sie sollen laut Anklage als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung, der seit 2001 agierenden militanten gruppe (mg), einen Brandanschlag auf drei Bundeswehr-Lkw in Brandenburg an der Havel begangen haben. Bis Anfang Januar waren 17 Prozesstage terminiert.

Zahlreiche BesucherInnen, darunter ehemalige Bundestagsabgeordnete, ProfessorInnen und internationale BeobachterInnen, nehmen am Prozess teil. Alle ProzessbesucherInnen sind von einer vom Kammergericht erlassenen "Sicherheitsverfügung" betroffen, die mehrheitlich als "Machtdemonstration des Staates" erlebt wird.


Stigmatisierende Machtdemonstrationen

Jeder Prozesstag beginnt mit dem gleichen Prozedere. Lange vor Eröffnung der Verhandlung an der Pforte anstehen, um sich einer genauen körperlichen Durchsuchung zu unterziehen. Der Personalausweis wird kopiert - laut Vorsitzendem Richter Joseph Hoch, um mögliche "Störer" identifizieren zu können. Die Verteidigung vermutet, dass die Daten anderen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt werden.

In den ersten Verhandlungstagen durfte außer einem Blatt Papier und einem Bleistift nichts mit in den Gerichtssaal genommen werden. Mittlerweile sind Kugelschreiber, mehrere Blätter und gar eine ganze Packung Taschentücher erlaubt: Während der Verhandlung halten sich sowohl im Zuschauerraum, als auch im Verhandlungssaal sechs bewaffnete PolizistInnen auf, zuständig für Ruhe und Ordnung. Ob diese Beamten auch einem Ermittlungsauftrag gegen geladene ZeugInnen bzw. ProzessbesucherInnen nachkommen, kann nur vermutet werden. Zahlreiche Anträge der Verteidigung zur Lockerung der Sicherheitsverfügung wurden bisher vom Vorsitzenden abgelehnt.

Auf Antrag des Bundeskriminalamts (BKA) lässt der Vorsitzende Richter zwei BKA-ProzessbeobachterInnen an der Verhandlung teilnehmen. Aus dem schriftlichen Antrag des BKA geht hervor, dass - neben Ausbildungszwecken - eigentliche Gründe für die Maßnahme die Berichterstattung an politische EntscheidungsträgerInnen sowie die Umfeldausspähungen sind, also die Identifizierung von SympathisantInnen.


Auf die Anklagebank gehören die Kriegstreiber

Zur am ersten Verhandlungstag verlesenen Anklageschrift verweigerten die Beschuldigten die Aussage. Axel verlas jedoch im Namen der Drei eine Prozesserklärung. Darin prangerte er die Kriegspolitik der BRD und der NATO an, ebenso die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Kriegsakteure, die Tote und Kriegsflüchtlinge verschleiernd als "Kollateralschäden" abtun.

"Auf die Anklagebank gehören Kriegstreiber, Kriegsbefürworter und Rüstungskonzerne. Sie sind die kriminellen Vereinigungen. Sie sind anzuklagen", heißt es in der Erklärung. Sabotage sei Teil eines Rechtes auf Widerstand, das im besten Fall Schlimmeres, nämlich Kriegseinsätze, verhindern helfe. Zur Deutung ihres Prozesses führen die Drei aus: "Das Verfahren gegen uns kann (...) zu einem exemplarischen Verfahren werden, um zukünftig mit dem Paragrafen 129 vom Farbbeutelwurf bis zum Straßenriot viele Mittel gesellschaftlicher Auseinandersetzung zu kriminalisieren und mit einem Feindstrafrecht zu bestrafen, das vom normalen Strafrecht abgespalten wird."

Das Prozessgeschehen kreiste von Anfang an um die "Ermittlungsakten". Sie sind teilweise unleserlich, vor allem aber unvollständig. Verfahrensrelevante Akten aus einem mg-Verfahren, dass 2001 eingeleitet und vor wenigen Wochen eingestellt wurde, werden der Verteidigung vorenthalten - nicht aber dem Bundesgerichtshof (BGH), dem sie bei der Haftprüfung im Fall der Angeklagten vorlagen. Die Verteidigung sieht darin einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Europäischen Menschenrechtskonvention, Artikel 6).

Wie lax beim BKA mit Ermittlungsergebnissen umgegangen wird, zeigt sich am Beispiel der Asservate. Bei vielen Gegenständen sind der genaue Fundort, der weitere Verbleib nach der Beschlagnahme und deren Weitergabe häufig nicht dokumentiert. In vielen Fällen haben die BKA-ZeugInnen "Gedächtnislücken". Bei ihrer Befragung beschleicht einem der Eindruck, dass das BKA sich keine große Mühe bei der genauen Beweisführung macht. Beispielsweise wurden erst auf Nachfrage der Verteidigung Observationslücken am Festnahmetag bekannt. Auch stellte sich heraus, dass erst nachträglich in einen Bericht die Bewertung eines ersten Treffens der Angeklagten als "konspirativ" eingefügt wurde. Es wird abzuwarten sein, wie der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin diese Umstände bewerten wird, der bisher häufig auf eine genaue Befragung der geladenen Zeugen verzichtete.


Die schützende Hand des Vorsitzenden

Die Befragungen der ZeugInnen, mehrheitlich MitarbeiterInnen des BKA und LKA, die teilweise unkenntlich gemacht vor Gericht erschienen, sind eine Farce. Häufig verweigern die BeamtInnen die Aussage und beziehen sich dabei auf ihre eingeschränkte "Aussagegenehmigung". Gegen die von Behörden ausgestellten Formblätter, in denen als nicht aussagefähige Bereiche z. B. ganz allgemein "polizeitaktische Maßnahmen" genannt werden, protestierte die Verteidigung.

Sie fordert den Vorsitzenden Richter auf, alle Mittel auszuschöpfen, um den Rahmen für eine umfassendere Befragung der ZeugInnen zu klären. Es könne nicht sein, dass "Entlastendes (...) zurückgehalten" wird, "nur um die Funktion einer Behörde zu verbessern". Der Vorsitzende Hoch zeigte sich davon bislang unbeeindruckt. Die Verteidigung reagierte mit einem Befangenheitsantrag. Gleichzeitig versucht sie, mit Eilanträgen beim Verwaltungsgericht die Eckpunkte der Aussagegenehmigungen klären zu lassen.

Die Verteidigung sieht sich dazu gezwungen, gilt es doch Licht in das Dunkle der kontinuierlichen und intensiven Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Staatsschutzorganen zu bringen, die dem Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden widerspricht. Den regen Austausch zwischen BAW und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Zuge der Ermittlungen bestätigte Bundesanwalt Herbert Diemer bereits in einem Interview in der RBB-Abendschau (25.9.2008).

So gab es ein "Vorbereitungstreffen" von MitarbeiterInnen des BKA, bei dem Unterlagen des BfV übergeben wurden. Während der Verhandlung wurde bekannt, dass das BfV das BKA und die BAW die Ermittlungen betreffenden relevanten Unterlagen untereinander hin- und hergeschoben haben. Dabei hat die BAW direkten Einfluss darauf, welche Informationen vom BIV in das Verfahren/ die Ermittlungen einfließen und welche nicht. Gleichzeitig ist es skandalöserweise möglich, dass das BfV die Aussage einer unbekannten "nachrichtenehrlichen Quelle" (Spitzel) einfach in die Verhandlung einführen kann, ohne dass vonseiten der BAW die Aussage dieser Quelle überprüft wird. Dass das Verfahren vom BW zumindest mitgesteuert wird, ist ersichtlich. Interessant wird sein, welchen Beweiswert der Senat den "aus dem Hut gezauberten" Aussagen der unbekannten Quelle beimessen wird.


Ermittlungsthese in der Kritik

Es sind aber nicht nur Verfahrenshindernisse, die die Verteidigung beklagt. Sie widerspricht auch der zentralen Ermittlungsthese von BKA und BAW. So stellte sie die maßgebliche Autorenidentität von mg-Texten infrage, die in der Anklage als Beleg dient, alle Anschlagserklärungen seien von ein und derselben Gruppe. Eine genaue Textanalyse zeige im Gegenteil - so die Verteidigung -, dass die Anschlagserklärung von verschiedenen Personen geschrieben wurden, da sie sich im Sprachniveau, Satzbau etc. unterschieden. Dafür sprächen auch "unterschiedliche Schwerpunktsetzung und inkonsequente Anknüpfungen" an vorangegangene Aktionen. Insofern nimmt die Verteidigung an, dass es sich bei der mg um "inhaltlich wie logistisch selbständig arbeitende Gruppen handelt".

Auch widersprach sie der Auffassung, die Verschickung von Patronen sei eine Drohung mit Anschlägen auf Personen. Vielmehr handele es sich um einen symbolischen Akt zur Kenntlichmachung struktureller Gewalt. Dafür spreche auch, dass die mg bei ihren Aktionen eine Gefährdung von Menschen immer vermieden habe.

Bislang werden die meisten Anträge der Verteidigung rigoros abgelehnt. Auch die wenig sorgfältig anmutenden und knapp gehaltenen Zeugenbefragungen durch das Gericht stimmen nachdenklich. "ProzessbeobachterInnen" des BKA, bewaffnete PolizistInnen im Gerichtssaal und durch nichts gerechtfertigte Sicherheitsverfügungen schüchtern ZeugInnen der Verteidigung, aber auch die Öffentlichkeit ein. Das alles hat einen stigmatisierenden und vorverurteilenden Charakter, der keinen Zweifel aufkommen lässt, wie die drei Angeklagten von dem Berliner Strafsenat eingeschätzt werden.

Als aufmerksame/r ProzessbesucherIn kann man sich oftmals des Eindrucks nicht erwehren, einen Schauprozess mitzuerleben. Einen Prozess, der ausschließlich der Form halber geführt wird, dessen Urteil aber bereits feststeht. Bei einem Kammerspiel ist das Ende schon geschrieben. Die Staatsschutzorgane, deren Ermittlungen im Rahmen der zahlreichen mg-Verfahren Unsummen verschlungen haben, stehen unter großem Druck. Sie brauchen dringend einen Erfolg, um ihre Arbeit legitimieren zu können. Das sind keine guten Voraussetzungen für ein faires Verfahren.


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Quelle:
Kampagnenzeitung "Das Ende einer Dienstfahrt", 1/2009, Seite 2
Herausgeber: Bündnis für die Einstellung der Paragrafen 129(a)-Verfahren
V.i.S.d.P.: Christian Winter
c/o Bündnis für die Einstellung der Paragrafen 129(a)-Verfahren
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2009